Gesundheitswissen fördern

Im Interview mit dem DOSB spricht Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, über Gesundheitsförderung, Gesundheit als Schulfach und Bewegung im Alltag.

Dr. Klaus Reinhard bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Gesundheitspolitischen Abends 2022 in Berlin; Foto: DOSB / Annette Riedl
Dr. Klaus Reinhard bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Gesundheitspolitischen Abends 2022 in Berlin; Foto: DOSB / Annette Riedl

Das Gespräch mit Dr. Klaus Reinhardt hat Heike Gruner am Rande des 4. Gesundheits- und präventionspolitischen Abends in Berlin geführt : 

DOSB-PRESSE: Hand aufs Herz. Wie weit hat die Corona-Pandemie Deutschland in der Gesundheitsförderung zurückgeworfen?

Dr. Klaus Reinhardt: Ich glaube, dass sie uns im Bereich der Kinder und Jugendlichen erheblich zurückgeworfen hat, weil die Zahl derjenigen, die unter Übergewicht oder psychischen Störungen leiden, deutlich zugenommen hat. Sie hat uns auch zurückgeworfen bei den Menschen, die in Sportvereinen gerne miteinander Sport treiben, weil sie es während der Pandemie nicht tun konnten. Sie haben mit den daraus entstehenden körperlichen und auch seelischen Folgen bis heute zu tun. Und damit sind wir ja noch nicht fertig. Wir laufen im Herbst wieder auf eine Phase zu, in der wir deutlich erhöhte Infektionszahlen beobachten werden. Sollte das Gesundheitswesen dann wieder stärker unter Druck geraten, steht erneut die Diskussion im Raum, ob wir Schulen oder außerschulische Einrichtungen, in denen Sport getrieben wird, schließen müssen. Das sollten wir auf jeden Fall verhindern.

Sie haben auf dem Deutschen Ärztetag Ende Mai ihre 2019 bereits getroffene Forderung nach einem Schulfach Gesundheit in der Grundschule erneut bekräftigt. Warum ist es so wichtig, und welche Inhalte sollten den Kindern dabei vermittelt werden?

Ich denke, dass wir das Thema gesunde Lebensführung deutlicher strukturieren und für Kinder verständlicher aufbereiten müssen. Wir leben in einer Gesellschaft, die viele Verführungen bereithält, von denen einige eben auch gesundheitsgefährdend sind. Denken Sie an falsche Ernährung, legale, aber schädliche Suchtmittel und natürlich an einen übermäßigen Medienkonsum. Insofern finde ich es richtig und gut, dass gesunde Lebensführung schon im Kleinkind- und Jugendalter erlernt wird, weil es mit Wissen und Bildung zu tun hat. Ich glaube, dass sich dieser Einsatz lohnt. Wichtig hierbei: Lehrer sollten das nicht on Top machen müssen. Lehrer müssen dazu ausgebildet und neue Kräfte eingestellt werden. Das kostet Geld und macht Aufwand, aber dieser Aufwand ist sinnvoll und notwendig. Wir haben hier als Gesellschaft eine soziale Verpflichtung.

Welche Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht jetzt erforderlich, um Kinder und Jugendliche wieder zu mehr Bewegung zu animieren?

Es muss ressortübergreifend mehr über das Thema Bewegung im Alltag nachgedacht werden. Das betrifft Verkehrswege, aber auch die Art und Weise, wo zum Beispiel Schulen angesiedelt sind, wie Schulen mit Sportvereinen kooperieren, wie man auch Eltern motivieren kann, zusammen mit ihren Kindern Sport zu treiben oder zumindest für mehr Bewegung im familiären Alltag zu sorgen. Hier sind also verschiedene Akteure gefragt. Das Thema hat so viele Aspekte, dass es gar nicht von einem Ministerium allein bearbeitet werden kann. Ich bin mir sicher, da sind viele Dinge dabei, die durch viele einfache Maßnahmen erreichbar sind, die keinen großen Aufwand bedeuten.

Wie groß ist aus Ihrer Sicht als Präsident der Bundesärztekammer der Stellenwert von Gesundheitsförderung und Prävention innerhalb der Ärzteschaft allgemein?

Prävention hat viele verschiedene Aspekte. Im Hinblick auf Früherkennungsdiagnostik sind wir auf einem sehr hohen Niveau. Allein durch unsere diagnostischen Fähigkeiten, die wir heutzutage besitzen. Das ist aber nicht alles. Im Hinblick auf gesunde Lebensführung und Vermeidung von Erkrankungen kommt Ärztinnen und Ärzten eine ebenso wichtige Rolle zu. Natürlich ist nicht jede Krankheit vermeidbar, aber es gibt schon Erkrankungen, die sind nicht nur schicksalhaft, sondern haben mit Lebensstil zu tun, und da, denke ich, haben wir sehr viel aufzuholen. Das ist ein Aspekt, den wir als Gesellschaft nicht so wahrgenommen haben, auch nicht alle Ärztinnen und Ärzte, und der auch angemessen berücksichtigt werden muss.

Welche Rolle spielt das Thema in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung?

Prävention spielt sowohl in der Ausbildung als auch in der Weiter- und Fortbildung eine Rolle, aber sicher nicht in dem Umfang, wie man es sich vorstellen kann. Als ärztliche Selbstverwaltung haben wir hier Möglichkeiten, dieses Thema weiter voranzubringen, und die wollen wir nutzen.

Wie kann z. B. das „Rezept auf Bewegung“, welches in vielen Bundesländern etabliert ist und gut angenommen wird, politisch gestärkt werden?

Ich meine, man sollte über Anreizsysteme für die Nutzung des „Rezepts“ nachdenken. Und man sollte prüfen, ob und wie man die Angebote, die es bei Sportvereinen gibt, noch stärker strukturierter einbindet. Das Rezept für Bewegung ist aus meiner Sicht eine Erfolgsgeschichte. Aber natürlich gibt es noch Luft nach oben. Die Bundesärztekammer und die Landesärztekammern setzen sich sehr dafür ein, das Rezept für Bewegung bekannter zu machen. Wenn alle Partner mitziehen, werden wir noch viel mehr Menschen erreichen.

Der Herbst steht bevor. Wie gut sind Bund und Länder, aber auch die Ärzteschaft auf die nächste mögliche Corona-Welle vorbereitet?

Wichtig ist, dass Bund und Länder jetzt die Zeit nutzen, um sich vorzubereiten. Zum Beispiel sollten Kita- und Schulschließungen unbedingt vermieden werden. Aber natürlich ist auch jeder Einzelne gefordert, sich Gedanken über den Umgang mit vermutlich steigenden Infektionszahlen im Herbst zu machen. Wann und wo trage ich eine Maske, in welchen Situationen kann ich durch Abstandhalten mich und andere schützen, zum Beispiel indem ich mich in der S-Bahn nur auf jeden zweiten Platz setze. Hier gibt es viele Dinge, die jede*r von uns in stärkerem Maße im gelebten Alltag unter Pandemiebedingungen integrieren und selbstverständlicher durchführen könnte. Dafür braucht es nicht in erster Linie Zwang und Verpflichtung, sondern gesunden

Menschenverstand. Auch das gehört nach meinem Verständnis zu einer guten Vorbereitung auf den Herbst.

Interview: Heike Gruner

Zur Person:
Dr. Klaus Reinhardt (62) ist als Facharzt für Allgemeinmedizin und Hausarzt in Bielefeld niedergelassen. Seit 2015 Mitglied des Vorstandes der Bundesärztekammer, wurde er 2019 zu deren Präsidenten gewählt.


  • Dr. Klaus Reinhard bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Gesundheitspolitischen Abends 2022 in Berlin; Foto: DOSB / Annette Riedl
    Dr. Klaus Reinhard bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Gesundheitspolitischen Abends 2022 in Berlin; Foto: DOSB / Annette Riedl