Gewalt- und Konfliktforscher Gunter A. Pilz fordert Vernetzung von Sport und Sozialarbeit

Was kann Sport bei der Integration nach Deutschland einge­wan­der­ter Menschen wirklich leisten? Welcher Ansatz ist der richtige, damit „Integration durch Sport" funktioniert? Prof. Gunter A. Pilz gilt als einer der renommiertesten Konflikt- und Gewaltforscher Deutsch­lands. Beschäftigt hat er sich mit zahlreichen Themen, zum Beispiel mit Rassismus im Sport. Der Soziologe arbeitet und forscht am Institut für Sportwissenschaft an der Universität Hannover.

Gunter A. Pilz (Foto: Rei­­­ner Kra­­­mer, Nie­­der­­­sächsi­scher Fuß­­ball­­ver­­band)
Gunter A. Pilz (Foto: Rei­­­ner Kra­­­mer, Nie­­der­­­sächsi­scher Fuß­­ball­­ver­­band)

   Herr Prof. Pilz, was kann Sport leisten, wenn es zum Thema Integration kommt?

 

Prof. A. Pilz: Zuerst einmal muss man sich klar machen, was man mit Integration meint. Es gibt drei Möglichkeiten: Die Assimilation, wobei Migranten ihre Kultur ablegen und in der Mehrheitskultur aufgehen. Dann gibt es Parallel-Welten, wo zwei Kulturen nebeneinander ohne Probleme aber auch ohne gegenseitigen Nutzen existieren. Beide sind nicht erstrebenswert. Die einzig wirklich integrative Variante nenne ich die „interaktive Integration". Dabei ist die Mehrheit offen für die Eigenheiten der Anderen und nimmt diese in sich auf. Konkret hieße das: Sportvereine, die Integration wollen, müssen sich in ihren Regeln auch den Neuhinzugekommenen anpassen. Das ist sehr schwierig, deshalb bin ich der Meinung, man sollte den Sport nicht überfordern.  

 

"Sportvereine, die Integration wollen, müssen sich in ihren Regeln auch den Neuhinzugekommenen anpassen."

 

    Wie meinen Sie das?

 

 Prof. A. Pilz: Ich habe manchmal den Eindruck, dass wir Assimilation meinen, wenn wir Integration sagen. Der Sport hat natürlich, weil er mit Begegnung und Bewegung zu tun hat, ein großes Potential, Menschen zusammen zu bringen. Man braucht dafür aber auch Menschen, die sich öffnen gegenüber anderen Kulturen, die sich einlassen können auf Neues. Sportvereine wurden ursprünglich ja nicht gegründet, um Integration zu leisten, sondern damit Gleichgesinnte zusammen Sport treiben konnten. Deshalb entstanden Arbeitervereine oder Betriebssportvereine. Für die Integration ist es wichtig, dass die Menschen, die in solchen Vereinen tätig sind, es wirklich wollen, dass andere Menschen dazu kommen und ihre Eigenheiten einbringen. Wenn sich ein Verein und seine Mitglieder bewusst sind, dass Neues und Anderes positive Veränderungen im Verein hervorrufen können, dann hat der Sport ein riesiges Potential und kann viel leisten. Es kann aber nicht der Sinn sein, dass Ausländer, die mitmachen wollen, ihre Kultur quasi am Vereinstor abgeben müssen.

 

    Eine gegenseitiges Geben und Nehmen und eine Öffnung für die jeweils andere Kultur sind also die Grundvoraussetzungen?

 

Prof. A. Pilz: Es ist zugegeben ein hoher Anspruch. Deshalb sollte der Sport die Existenz von zum Beispiel eigenethnischen Vereinen auch nicht unbedingt als Niederlage vor dem eigenen Integrationsanspruch sehen. Keiner hat gesagt, dass es leicht ist, verschiedene Kulturen zusammen zu bringen. Vielleicht sind eigenethnische Vereine sogar ein sinnvoller Zwischenschritt auf dem Weg in die Integration. Weil dort die ersten Hürden auf dem Weg in die Gemeinsamkeit genommen werden können. Man kann es nicht mit der Brechstange machen. Noch einmal: Der Sport kann Menschen zwar zusammenführen, aber einen Automatismus vorauszusetzen, baut zu viel Druck auf und schraubt die Ansprüche an den Sport viel zu hoch. Es bringt doch nichts, wenn am Ende unerfüllte Erwartungen zu Frust führen und das Gegenteil bewirken.  

 

"Es kann aber nicht der Sinn sein, dass Ausländer, die mitmachen wollen, ihre Kultur quasi am Vereinstor abgeben müssen."

 

  Sport kann Menschen zusammenführen, das haben Sie noch einmal betont. Die Frage ist: Wie motiviere ich Menschen mit Migrationshintergrund dazu, sich einem Verein anzuschließen und mitzumachen?

 

Prof. A. Pilz: Es ist nicht das Problem Menschen mit Migrationshintergrund an Vereine heranzuführen, sondern vielmehr sie zu halten. Ich will ein Beispiel bringen: Es gibt eine Untersuchung über Fußballvereine in drei Städten. Bis zum Alter von 18 Jahren sind 80 Prozent der Ausländer in deutschen Vereinen und 20 Prozent in eigenethnischen gemeldet. Ab dem Alter von 18 Jahren kehrt sich das plötzlich um. Jetzt sind 80 Prozent in eigenethnischen Vereinen und nur noch 20 im deutschen Verein. Offensichtlich haben es die Vereine nicht geschafft, den Menschen bis dahin ein zu Hause zu geben. Da müssen wir ansetzen. Außerdem muss „Integration durch Sport" ja nicht immer heißen Integration durch Sportverein. Besonders bei Problemjugendlichen können Vereine verständlicherweise überfordert werden. Ein Trainer ist kein Sozialarbeiter, er kann bestimmte Konfliktbewältigungsstrategien gar nicht leisten.  

 

   Sie fordern eine stärkere Verbindung von Sport und Sozialarbeit?

 

Prof. A. Pilz: Ja. So wie der Sport sich für die Sozialarbeit öffnen muss, muss sich diese auch für den Sport öffnen. Nur so kann bestimmten Menschen überhaupt erst der Weg in einen Verein geebnet werden. Nur so können Problemjugendliche in ihrem Verhalten für Vereine erst akzeptierbar gemacht werden. Sportvereine und Sozialarbeit, beide sollten viel mehr miteinander vernetzt werden. Bei uns in Hannover gibt es ein gutes Beispiel im Bereich Fußball. Normalerweise reagieren Verein und Verband mit Rausschmiss, wenn ein Jugendlicher auf dem Platz gewalttätig wird. Im Sinne der Integration ist das freilich genau das Gegenteil, was erreicht werden soll. Wir haben einen kurdischen Sozialarbeiter, der mit den Jugendlichen vor brenzligen Spielen Selbstverpflichtungen abspricht, oder bei Problemen zur Stelle ist. Er kann die Sprache, er nimmt mit den Eltern Kontakt auf usw. So werden Konflikte und Gewalt vermieden und der Prozess der Eingliederung durch den Sport kann weitergehen.


  • Gunter A. Pilz (Foto: Rei­­­ner Kra­­­mer, Nie­­der­­­sächsi­scher Fuß­­ball­­ver­­band)
    Gunter A. Pilz (Foto: Rei­­­ner Kra­­­mer, Nie­­der­­­sächsi­scher Fuß­­ball­­ver­­band)