„Ich kann mich nicht als Vorbild sehen“

Denis Kaliberda, Munkhbayar Dorjsuren, Tahir Güleç: drei Träger deutscher Medaillenhoffnungen für Baku. Was bedeuten ihnen die Europaspiele – und was Integration? Drei Fragen, neun Antworten.

Denis Kaliberda: Außenangriff im Nationaldress (Foto: FIVB)
Denis Kaliberda: Außenangriff im Nationaldress (Foto: FIVB)

Frage 1: Was für einen Stellenwert haben die Europaspiele für Sie – sportlich und darüber hinaus?

Kaliberda: Für mich ist dieses Event schwer einzuschätzen, da im Volleyball nicht klar ist, wie stark genau die Mannschaften sein werden, die antreten. Unabhängig von der Besetzung versucht man jedoch alles, um so ein großes Turnier zu gewinnen. Besonders wenn sich die Europaspiele erstmal etabliert haben, wird ein gutes Ergebnis bei den ersten Spielen rückblickend was Schönes sein. Ein Event mit solchen Ausmaßen kann auf jeden Fall die Kommunikation zwischen vielen Ländern vorantreiben.

Dorjsuren: Ich habe mich immer gefragt, warum es solche Spiele in Europa bis jetzt nicht gab, andere Kontinente haben das ja schon lange. Nun gibt es sie, und das in meiner Karriere noch zu erleben, bedeutet mir sehr viel. Bei Asienspielen bin ich bis 1998 erfolgreich für die Mongolei gestartet, dort habe ich individuelle als auch Team-Medaillen gewonnen. Bei den Europaspielen möchte ich mir auch eine Medaille sichern, wobei es dort leider keine Teamwertung gibt. Europa ist aus meiner Sicht ein starker Kontinent. So ein Sportevent kann die einzelnen Länder präsentieren und ist gut für die Integration.

Gülec: Sportlich gesehen werden die Europa-Spiele für die Taekwondo-Weltrangliste wie eine Europameisterschaft eingestuft. Das passt auch zu meinem persönlichen Empfinden. Als „Olympische Spiele von Europa“, wie zu lesen war, sehe ich sie nicht. Olympische Spiele sind einzigartig, da kommt nichts anderes ran. Aber vielleicht ändert sich ja meine Einstellung noch im Laufe der Zeit.

Frage 2: Sehen Sie sich als ein Vorbild für Integration im Sport?

Kaliberda: Ich persönlich sehe mich als Deutscher. Ich bin im Ausland geboren, aber seitdem ich 4 bin, lebe ich in Berlin. Ich bin in Marzahn aufgewachsen, und der Ort oder das Land, in dem ich geboren bin, spielen keine Rolle. Deswegen kann ich mich nicht als Vorbild für Integration sehen. Vorbildlich ist eher der Fakt, dass ich weder als Kind noch als Erwachsener je mit dem Thema Integration konfrontiert war.

Dorjsuren: Ich bin sicher ein Vorbild, dieses Zeichen geben mir viele Funktionäre, Trainer und Athleten in meinem Sport. Ich glaube, das kommt von meinen Erfolgen und meinem Verhalten, zu dem ich in meiner Heimat erzogen worden bin.

Gülec: Für mich ist es selbstverständlich für Deutschland, das Land in dem meine Familie lebt, anzutreten. Da ich es als Kind türkischer Einwanderer in meinem Sport bis ganz nach oben geschafft habe und Weltmeister geworden bin, sehen gerade auch Kinder und Jugendliche mit ausländischen Wurzeln ein Vorbild in mir. Auch wenn ich mir das nicht ausgesucht habe, bin ich mir der Verantwortung bewusst, die der Erfolg mit sich bringt.

Denis Kaliberda. Der gebürtige Ukrainer (Poltawa), Jahrgang 1990, hat schon weit über 100 Länderspiele absolviert, mit WM-Bronze 2014 als größtem Erfolg. In Berlin ausgebildet, spielt der Außenangreifer nach Stationen in Unterhaching und Italien seit 2014 bei Jastrzębski Węgiel in Polen.

Munkhbayar Dorjsuren. Die 1969 in der Mongolei geborene Schützin (Luft- und Sportpistole) startet seit 2002 für Deutschland. In dieser Zeit wurde sie unter anderem Welt- und Europameisterin und holte 2008 Olympia-Bronze – erste Medaille einer deutschen Pistolenschützin in der Geschichte der Spiele. 

Tahir Gülec. Der 22-jährige Nürnberger wurde 2013 Taekwondo-Weltmeister in der Klasse bis 80 Kilo, ein Erfolg, den er im Mai dieses Jahres bestätigte: WM-Bronze in Tscheljabinsk und einziger Sieger der letzten Titelkämpfe, der wieder eine Medaille gewann.

 
Frage 3: Wie fortgeschritten ist Ihren Eindrücken nach die kulturelle Integration in Ihrem Sport innerhalb Deutschlands?

Kaliberda: Im Volleyball hat sich die Frage von Integration in meinem Umfeld nie gestellt. Ich habe viel mit nicht in Deutschland geborenen Jungs trainiert und gespielt, und die Herkunft war immer egal. Genauso, ob die Familie Geld hatte oder nicht. Jeder hatte das gleiche Trikot an und gehörte zur Mannschaft.

Dorjsuren: In meiner Sportart gibt es viele Athleten mit Migrationshintergrund, selbst in der Nationalmannschaft hatten und haben wir einige. Ich selbst habe im Sport lauter positive Erfahrungen beim Thema Integration gemacht. Negativ fand ich nur, wenn ich von manchen Leuten gefragt wurde, ob ich durch die Heirat nach Deutschland gekommen sei oder „eingekauft“ wurde. Das ist realitätsfremd. Ich bin stolz auf mich, dass ich durch den Sport eine Deutsche geworden bin.

Gülec: Ich denke, dass die deutsche Taekwondo-Nationalmannschaft ein Musterbeispiel ist für gelungene Integration von Menschen unterschiedlicher Abstammung, Religion und Kultur. Die meisten Kaderathleten sind türkischer Herkunft. Außerdem kommen einzelne Sportler aus verschiedenen Ländern Europas und Asiens. „Rein“ Deutschstämmige sind in der Unterzahl. Und das gilt auch für die Bundestrainer! Aber alle tragen den Adler auf der Brust und kämpfen für deutsche Medaillen.

(Quelle: DOSB / Fragen: Nicolas Richter)


  • Denis Kaliberda: Außenangriff im Nationaldress (Foto: FIVB)
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  • Tahir Gülec mit seiner Schwester Rabia: Lächeln nach Platz Drei bei der jüngsten WM (Foto: Deutsche Taekwondo-Union)
    Tahir Gülec mit seiner Schwester Rabia: Lächeln nach Platz Drei bei der jüngsten WM (Foto: Deutsche Taekwondo-Union)
  • Munkhbayar Dorjsuren: Jubel über ihren größten Erfolg - Bronze in Peking (Foto: picture-alliance/dpa)
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