Ihr Vorname ist „Filip“, Herr Adamski, polnische Schreibweise. Eine Ihrer E-Mail-Adressen beginnt aber mit einem abgekürzten „p“ wie „Phillip“: Hinweis auf ein binationales Selbstverständnis?
Das hat eher mit meiner Einwanderung zu tun. Als ich mit Fünf nach Deutschland kam und hier gemeldet wurde, hat mich die Sachbearbeiterin „Phillip“ geschrieben. So wurde ich geführt, bis ich 2005 eingebürgert wurde. Da hat man die polnische Schreibweise aus der Geburtsurkunde übernommen. Und weil ich keine Lust hatte, alle Kontaktdaten zu ändern, habe ich mich ans EU-Prinzip gehalten: Wegen eines neuen Mitgliedslandes erneuert man nicht ständig die Flagge. Es sind immer noch zwölf Sterne.
Sprechen Sie Polnisch fließend?
Ja. Seit ich 2006 zur Nationalmannschaft kam, habe ich weniger Kontakt mit Polen, deshalb muss ich mich manchmal etwas reinquatschen. Aber nach, zwei, drei Tagen im Land kann ich mich immer fließend verständigen. Das Schreiben musste ich mir halt selbst beibringen, und das Lesen könnte besser klappen.
Zwischen Breslau und Dortmund
Filip Adamski hat im Alter von 13 mit dem Rudern begonnnen. Bei der WM 2006 gewann er seine erste Medaille im Männerbereich: Silber im Vierer ohne Steuermann. Seitdem hatte er in verschiedenen Bootsklassen Erfolg, wurde 2009 unter anderem Weltmeister und Weltcup-Sieger im Deutschland-Achter, mit dem er 2012 auch zum Olympiasieg ruderte. Adamski, am 5. Januar hatte er 30. Geburtsag, ist in Breslau geboren. Mit Fünf kam er nach Deutschland, und zwar zu seinen einzeln vorausgereisten Eltern – Vorwendezeiten. Der Student der Wirtschaftswissenschaften, 2014 will er Diplomarbeit schreiben, startet für die Mannheimer Rudergesellschaft, trainiert aber am Leistungszentrum Dortmund.
Und wie ist es mit dem binationalen Selbstverständnis?
Na ja. Mich haben beide Länder und Völker geprägt und ich möchte beiden gerecht werden. Aber ich habe hier wie da Integration als auch Ablehnung erfahren. Bei einigen Polen hieß es „Du bist nach Deutschland abgehauen, bleib doch, wo Du bist“ und in Deutschland „Du bist aus Polen, geh doch zurück“. Ich sehe mich als Anhänger der Europäischen Idee, insofern scheint mir die Bezeichnung „Europäer“ letztlich am Zutreffendsten.
Die Olympiamannschaft ist in London erstmals mit einem Claim gestartet: „Wir für Deutschland“. Wie fanden Sie das?
Es ist gut, dass es so einen Slogan gibt, weil Patriotismus in Deutschland durch die Geschichte negativ bestimmt ist und ich einen gesunden Patriotismus für wichtig halte. Ich glaube auch, dass er das Wegrutschen in Rechtsextremismus verhindern kann. Jede Nation, ob die USA, die Türkei oder Polen, ist stolz auf ihr Wappen, bei Deutschland und dem Bundesadler habe ich das immer anders wahrgenommen. Das hat sich erst mit der WM 2006 geändert, und das finde ich richtig. Umso richtiger finde ich, dass es diesen Slogan gibt.
Das klingt sehr rational. Spricht Sie „Wir für Deutschland“ auch persönlich an?
Gefühlsmäßig nicht so wirklich, ich bin halt ein Mischkind. Meine Motivation kommt auf jeden Fall auch aus dem Zusammenhalt der Olympiamannschaft, aber das war immer so - der Slogan hat diese Einstellung nur bestätigt. Ich freue mich über eine polnische Medaille genauso wie über eine deutsche.
Sie saßen im Deutschland-Achter, Königsboot und vielzitierter „Mythos“. Hat man da eher das Gefühl, in einer Art Nationalmannschaft zu rudern als in anderen Bootsklassen?
Eigentlich nicht. Ich war schon in verschiedenen Klassen erfolgreich und hatte immer ein ausgepräges Teamgefühl, das bei der Nationalmannschaft auch mit dem Wissen verbunden ist, für Deutschland zu starten. Und der Deutschland-Achter besteht ja nicht aus acht Leuten, sondern aus zwanzig, mit denen man das Jahr über trainiert hat. Im Frühjahr 2012 wurde dann selektiert. Ich bin nominiert worden, aber die hinter mir gehören genauso zur Mannschaft. Sie rücken ja auch nach, wenn sich jemand verletzt.
Vor Weihnachten wurde der Achter sogar zur „Mannschaft des Jahres“ gewählt. Haben all die Erfolge 2012 Ihre Beziehung zu Deutschland verändert, fühlen Sie sich jetzt irgendwie „heimischer“?
Ich fühle mich da heimisch, wo meine Familie und meine Freunde leben, ob das Deutschland ist, Polen oder Großbritannien. Außerdem ist mir inzwischen bewusst, wie relativ Erfolg ist und wie eng mit Misserfolg verbunden. Im vergangenen Jahr bin ich WM-Fünfter im Vierer ohne Steuermann geworden. Das war für mich ein kleiner Misserfolg. Für ander wäre das vielleicht eine Riesensache gewesen. Deshalb empfinde ich es als arrogant, eine Goldmedaille als Maß aller Dinge zu sehen. Ich definiere meine Integration in eine soziale Gemeinschaft auch nicht über Siege und Anerkennung.
Für viele Sportler scheint Anerkennung durchaus eine Triebfeder zu sein.
Aber sie ist ein falscher Indikator, um mich eingegliedert zu fühlen in eine Gesellschaft. Ich kann nur jedem Leistungssportler raten, sich bewusst zu machen, wofür er das macht, nämlich für sich. 2011 wurde bei „Sportler des Jahres“ die Fußball-Nationalmannschaft gewählt, weil sie alle EM-Qualifikationsspiele gewonnen hatte – für uns wäre das gar nichts Besonderes gewesen. Umgekehrt hat auch der Doppelvierer in London Gold gewonnen, aber viel weniger Anerkennung bekommen als wir im Achter.
Inwieweit finden Ihre Erfolge in Polen Anerkennung?
Es gab keine Pressanfragen, aber durch meine Verwandten habe ich mitbekommen, dass über mich diskutiert wurde, und zwar durchweg positiv. Da scheint es keinen Frust gegeben zu haben, sondern Freude, dass ein polnischstämmiger Sportler Erfolg hat.
Hat sich das mit der Zeit geändert? Sie sprachen vorhin auch von Ablehnung.
Die begegnet mir manchmal immer noch. Aber sie kommt von Personen, die nichts wissen über die andere Seite, und ohne das belegen zu können glaube ich, dass das Einzelmeinungen sind, die sich aus irgendwelchen Emotionen ergeben. Die Menschen wissen oft selber, dass sie falsch liegen. Sie können halt nicht anders.
Wie reagieren Sie auf sowas?
Ich versuche mit diesen Menschen, egal welcher Nationalität, zu sprechen und ihnen aufzuzeigen, wie begrenzt so eine Sicht ist, weil man durch das Verhalten Einzelner nicht auf das Verhalten eines ganzen Volkes schließen kann. Und ich belege das mit Gegenbeispielen. Insgesamt müssten aber zum Beispiel die Medien vielfältiger über andere Völker berichten. In den Nachrichten tauchen nach meiner Wahrnehmung immer die Idioten auf, die es natürlich auf allen Seiten gibt – Skandale verkaufen sich halt besser. Das ist aber nicht repräsentativ, und das muss man zum Beispiel auch den Migranten in Deutschland verdeutlichen, damit sie das Land besser verstehen, in dem sie leben. Nichtwissen schafft Raum für Mutmaßungen und Vorurteile.
Was können Sie selbst zu Aufklärung beitragen?
Ich bin eine Person der Öffentlichkeit, aber höchstens als eine Art Z-Promi. Wenn ich meine Meinung zu dem Thema äußern kann, tu ich das gern, und ich finde es wichtig, dann keinen Blödsinn zu erzählen und auch auf Probleme hinzuweisen. Ich werde aber nicht so oft darauf angesprochen wie andere Sportler. Ich weiß auch nicht warum.
(Quelle: DOSB / Das Interview führte Nicolas Richter)