„Ich war geduldet, dann akzeptiert, später bewundert“

Früher gewann Zita Funkenhauser Medaillen für den Fechtclub Tauberbischofsheim, heute sind es Mitglieder. Gespräch mit einer frühen Spätaussiedlerin.

Zita Funkenhauser als Zahnärztin im Deutschen Haus während der Olympischen Spiele 2012 in London (Quelle: picture-alliance)
Zita Funkenhauser als Zahnärztin im Deutschen Haus während der Olympischen Spiele 2012 in London (Quelle: picture-alliance)

Frau Funkenhauser, als Fechterin waren Sie bei drei Olympischen Spielen, als Zahnärztin im Deutschen Haus bei zwei, 2008 in Peking und 2012 in London. Welche Art der Teilnahme hat ihren kulturellen Horizont stärker geweitet?

Eindeutig die als Sportlerin. Natürlich hat man da eine Brille auf, ist total auf den Wettkampf konzentriert und hat für das Äußere keinen Sinn. Aber das Olympische Dorf ist wirklich ein Schmelztiegel, da gibt’s kein arm und reich, kein schwarz und weiß. Für die Völkerverständigung kann man sich kaum Besseres vorstellen. Als Zahnärztin im Deutschen Haus war ich so etwas wie Zuschauerin. Das ist auch schön, aber nicht vergleichbar.

Der FC Tauberbischofsheim, Ihr Verein, auch der Ihres Mannes und Ihrer Töchter, ist auf Spitzensport ausgerichtet. Finden Sie dieses Ambiente da wieder?

Ja. Auch da gibt es nur den Unterschied zwischen Fleißigen und weniger Fleißigen, Erfolgreichen und weniger Erfolgreichen. Soziale Unterschiede spielen keine Rolle. Ich halte das für sehr wichtig, gerade wenn man immer hört, dass sich die Schere zwischen den gesellschaftlichen Schichten öffnet. Auch schlechte Schüler können sich beim FC viel Selbstbestätigung holen.

 

Integration mit Klinge

Als Zita Funkenhauser 1979 aus Satu Mare (Sathmar) nach Tauberbischofsheim kam, von Rumäniens Fechtzentrum ins deutsche, war von „Spätaussiedlern“ noch keine Rede –  „wir waren Exoten“, sagt sie selbst. Erst später beschritten bekannte Familien den gleichen Weg, und nicht wenige Töchter folgten Zita zum FC. Monika Weber etwa gewann zweimal olympisches Teamsilber: 1984, als sie mit Rumänien das Finale von Los Angeles  gegen Deutschland mit Zita Funkenhauser verlor; und 1992 in Barcelona, für Deutschland, neben Zita Funkenhauser. Letztere erlebte ihren Karrierehöhepunkt 1988 in Seoul, als sie hinter ihren Tauberbischofsheimer Kolleginnen Anja Fichtel und Sabine Bau Bronze im Einzel und mit ihnen Mannschaftsgold holte. Neben ihrer Karriere studierte Zita Funkenhauser Zahnmedizin im nahen Würzburg, wo sie 1994 promovierte. Sie führt eine Praxis in Tauberbischofsheim, wo ihre beiden Töchter erfolgreich fechten und ihr Mann, Ex-Weltmeister Matthias Behr, den Olympiastützpunkt leitet.

 

Sie kamen 1979 aus Rumänien nach Tauberbischofsheim, als sogenannte Sathmarer Schwäbin. Wie würden Sie einem Unwissenden erklären, was das ist?

Eine meiner Töchter hat kürzlich ein Referat zu dem Thema gehalten, insofern habe ich das parat. Im 18. Jahrhundert, nach den Türkenkriegen, sind Menschen aus Baden-Württemberg und Bayern entlang der Donau angesiedelt worden, unter anderem in Sathmar, an der heutigen Grenze zu Ungarn. Der Graf Alexander Karolyi hat damals richtig die Werbetrommeln gerührt, und einer der Geworbenen war mein Ururgroßvater. Bis zum Ersten Weltkrieg gehörte das Gebiet zu Österreich-Ungarn, nach dem Zweiten fiel es Rumänien zu. Die Deutschen waren die Minderheit und haben den verlorenen Krieg zu spüren bekommen. Als Dreijährige konnte ich „Deutschland“ zwar noch nicht aussprechen, aber ich wollte schon dorthin, wie alle Deutschen in Sathmar.

„Und plötzlich bist Du der Ausländer“

Sie sind nicht mit Deutsch aufgewachsen?

Nein. Meine Oma und mein Opa sprachen noch Schwäbisch, aber durch die ungarische Politik zwischen den Weltkriegen ging das verloren, mein Vater konnte die Sprache nicht mehr. Später haben mich eine Eltern zum Privatunterricht geschickt, damit ich Deutsch lerne. Aber richtig habe ich es erst in Tauberbischofsheim gelernt, im Teilzeitinternat. Ich war ja schon in Rumänien Fechterin und mein Vater wollte, dass ich in den Verein gehe, um mich schnell zu akklimatisieren – wir waren ja die erste Familie aus Sathmar hier, später sind uns 70 andere gefolgt. Weil die Schule mit dem FC kooperiert hat, ist der Verein an das Direktorium herangetreten und hat gesagt, „wir haben hier eine Fechterin, kümmert Euch um sie“.

Fühlen Sie sich noch ein bisschen als Sathmarer Schwäbin?

Nein. Ich habe mich nie als etwas anderes gefühlt als als Deutsche. Wenn man im Ausland lebt, identifiziert man sich ja viel stärker mit der eigenen Kultur. Ich kam zum Beispiel nie auf die Idee, meinen Kindern zu sagen, Du bist Deutsche – ich selbst habe das von meinen Eltern schon als ganz kleines Mädchen gehört.

Demnach könnte Ihr innerer Bezug zu Rumänien durch die Auswanderung gewachsen sein.

Ein bisschen vielleicht. Das ist ja die Ernüchterung vieler Aussiedler: Sie wollen unbedingt nach Deutschland, weil sie sich im Geburtsland fremd fühlen, und wenn sie dann herkommen, sind sie plötzlich die Ausländer. Das war die Stelle, an der mir der Sport so geholfen hat: Ich konnte mich mit anderen Jugendlichen messen, und zwar auf Augenhöhe. Es ging um Leistung, nicht um Herkunft. Am Anfang war ich geduldet, dann sehr bald akzeptiert und später bewundert. Meine Herkunft war nur noch eine Geschichte, für die Identität spielte sie keine Rolle mehr.

Inwiefern begegnet Ihnen Integration durch Sport heute?

Ich habe damit nicht in irgendeiner offiziellen Funktion zu tun. Aber es ist ein Thema, das mich immer wieder bewegt, von dem ich regelmäßig ergriffen werde.

Integration mit Bohrer

In welchen Zusammenhängen?

Einfach so, im Alltag. Gestern zum Beispiel kam eine Mama mit ihren zwei Töchtern in meine Praxis. Sie war das erste Mal da und erzählte, sie sei vor einem Jahr aus Polen übergesiedelt. Die ältere Tochter war sieben und sprach ganz schlecht Deutsch. Ich konnte mir nicht verkneifen, die Mutter zu fragen, ob ihre Töchter Sport machen. Ich wollte ihr bewusst machen, dass die Kinder die Sprache im Verein viel schneller lernen.

Sowas scheint häufiger vorzukommen. Was antworten Ihnen die Eltern?

Die hören sich das an. Ich erkläre ihnen ja auch nur, dass das der einfachste Weg ist und dass es mir selbst sehr geholfen hat. Einige sind dadurch schon zum Fechten gekommen. Ich verabrede mich mit ihnen beim FC, zeige Ihnen die Umgebung und leite sie dann an einen Betreuer weiter.

Fechten ist typischerweise kein Sport, der Menschen mit Migrationshintergrund naheliegt.

Stimmt, einige haben da Berührungsängste, im Fußballverein landet man schneller. Fechten ist unbekannter und finanziell nicht so günstig, das ist für viele Umgesiedelte ein Thema. Beim FC Tauberbischofsheim machen wir in solchen Fällen spezielle Angebote. Wir haben zum Beispiel einige Russlanddeutsche im Verein, und neulich hat mich die Tante einer Fechterin angesprochen, dass sie Probleme habe und ob ich ihr helfen könne. Damit das nicht falsch rüberkommt: Ich bin keine Integrationshelferin, ich gebe einfach meine Erfahrung weiter.

(Das Interview führte Nicolas Richter)


  • Zita Funkenhauser als Zahnärztin im Deutschen Haus während der Olympischen Spiele 2012 in London (Quelle: picture-alliance)
    Zita Funkenhauser als Zahnärztin im Deutschen Haus während der Olympischen Spiele 2012 in London (Quelle: picture-alliance)