Im Dienste der Zivilgesellschaft (Teil 4)

Wer in der beruflichen Ausbildung gut aufpasst, der kann an seinem späteren Arbeitsplatz mitunter für enorme Transferleistungen sorgen. Bei der staatlich geprüften Sport- und Gymnastiklehrerin Heike Striegl ist es so gewesen.

Sportvereine dienen auch im Bereich der Kinderbetreuung als gesellschaftliche Stütze. Copyright: picture-alliance
Sportvereine dienen auch im Bereich der Kinderbetreuung als gesellschaftliche Stütze. Copyright: picture-alliance

An der Glucker-Berufsschule in Stuttgart erlebte sie das Modell einer so genannten Kindersportschule (KISS) hautnah im Rahmen ihrer beruflichen Qualifikation mit. Später initiierte sie zusammen mit dem TV 1860 Fürth die erste Einrichtung dieser Art in Nordbayern. Im Jahr 2007 schließlich eröffnete die 35-Jährige eine KiSS unter dem Dach des ATV Frankonia Nürnberg e.V. Schon vor etwa zehn Jahren hatte das zertifizierte Bewegungs-Modell aus dem „Ländle“ erstmals die baden-württembergische Grenze in Richtung Bayern überschritten. Der Verein Wacker Burghausen gilt dort als Vorreiter, der das 1989 vom Schwäbischen Turnerbund entwickelte KiSS-Konzept erstmals in den blau-weißen Freistaat importierte. Inzwischen gibt es in Bayern bereits 21 Vereine, die das bewährte Modell in die Praxis umsetzen. Als vorerst letzter erhielt jüngst der TuSpo 1888 Nürnberg die Ernennungs-Urkunde für eine Vereins eigene KiSS.

„Grundsätzlich geht es darum, Kindern von zwei bis zehn Jahren ein altersgerechtes Bewegungsangebot für ihre gesunde körperliche und geistige Entwicklung anzubieten und dabei bestimmte Qualitätsstandards einzuhalten“, erklärt Heike Striegl. Beim MTV Stuttgart hatte sie zuvor eine spezielle KiSS-Zusatzqualifikation erworben, um später in Nürnberg mit einer eigenen Kindersportschule an den Start zu gehen, diese Einrichtung selbst zu leiten und natürlich die Kids auch selber zu betreuen und sportlich zu bewegen. „In Baden-Württemberg ist dieses Modell ziemlich bekannt. Es ist relativ leicht auf andere Standorte zu übertragen, wenn man die richtigen Kooperationspartner und vor allem die Hallenkapazitäten und qualifizierte Sportlehrer zur Verfügung hat“, berichtet die KiSS-Chefin des etwa 1.600 Mitglieder zählenden ATV Frankonia.

160 Kinder ab zwei Jahren werden professionell bewegt

Aktuell sind in der fränkischen Metropole etwa 160 Mädchen und Jungen mit Freude und Begeisterung bei der Sache. Die rund 60 zwei- bis vier jährigen KiSS-Knirpse bekommen einmal pro Woche ein sportliches Angebot, das auf sämtliche motorische Fähigkeiten abzielt. Die etwa einhundert Sechs- bis Neun-Jährigen schlüpfen pro Woche zweimal nachmittags zum selben Zweck zwischen 14 Uhr und 17 Uhr ins Sportdress und auch sie werden ausschließlich von lizenziertem Fachpersonal betreut. Zum Team von Heike Striegl gehören zum Beispiel drei Sportlehrer, die am KiSS-Projekt nach und zusätzlich zum Unterricht mitwirken.

Stätte des gezielten und qualitativ hochwertigen Kindersports sind hauptsächlich vier Sporthallen im Nürnberger Stadtgebiet, die vom ATV Frankonia mangels eigener Kapazitäten für das Nachmittags-Projekt angemietet wurden. Vorzugsweise in Grundschulen und also dort, wo die kleinen Sportler als Schüler der Klassen der Klassen 1 bis 3 – ab nächstem Jahr kommen die ersten Viertklässler hinzu – ohnehin zuhause sind. „Außerdem versuchen wir natürlich vor allem mit denjenigen Kitas zusammenzuarbeiten, die sich in der Nähe der Turnhallen befinden“, erklärt Heike Striegl. Schließlich wolle man, dass sie Wege zum KiSS-Training nicht allzu weit sind. Wer nicht nur über den Schulhof laufen muss, wird von Mama, Papa oder den Großeltern zu den Sportstunden gefahren. Die Mitgliedschat beim ATV ist für die Kids Pflicht, zusätzlich zum Monatsbeitrag werden für das spezielle KiSS-Bewegungsangebot monatlich zehn Euro für die Kleinen bis zum vierten Lebensjahr und monatlich 20 Euro für jedes Kind ab fünf Jahren erhoben.

Prüfsiegel vom Bayrischen Landessportverband

Derzeit sind lediglich zehn Plätze bei den 2- und 3-Jährigen nicht belegt und ein Dutzend bei den 5- und 6-Jährigen frei. „Ansonsten gibt es Wartelisten“, freut sich die KiSS-Chefin über die große Resonanz, die „ihre Schule“ binnen zwei Jahren gefunden hat. Kein Wunder, werden die Standards wie Gruppengröße von maximal 15 Kindern, professionelle Betreuung durch hauptamtliche Sportpädagogen und qualifiziertes und Alters gerechtes Training alle zwei Jahre vom Bayrischen Landessportverband überprüft.

Die Motive der Eltern, für ihre Kleinen die Frankonia-Offerte gern anzunehmen, seien unterschiedlicher Natur. Einmal seien es die motorischen Defizite, die beispielsweise bei Schuleingangsuntersuchungen immer wieder reihenweise aufgedeckt und nicht zuletzt von den Medien immer wieder aufgegriffen werden. Neben dieser präventiven Komponente und dem Wunsch, dem Hang zu PC-Spielen, Fernsehen und ungesunder Fast-Food-Ernährung etwas Nützliches entgegenzusetzen, indem die Kinder in der KiSS ihren ganz natürlichen Bewegungsdrang ausleben können, spiele laut Striegl auch eine Rolle, „dass der Sportunterricht an den Grundschulen in der Regel etwas kurz gehalten“ wird. Überdies sei das Sportangebot für die KiSS-Kinder überhaupt nicht auf bestimmte Sportarten spezifische Spezialisierungen abgestellt, sondern im Gegenteil als „gute Grundlage und Basis“ für die gezielte sportliche Betätigung ab dem 11. Lebensjahr anzusehen. Soll heißen: Um die „KiSS-Absolventen“ müsste zwischen den einzelnen ATV-Abteilungen bzw. zwischen den anderen Sportvereinen am Ort geradezu ein Wettrennen entbrennen.

Ganz so sei es zwar nicht, aber zur typischen KiSS-Begleitmusik gehört, dass die einzelnen ATV-Abteilungen die Kurse der Kids – vor allem bei den Grundschülern - besuchen und dort ihre jeweiligen Sportarten und Disziplinen ausführlicher vorzustellen und die kleinen Zuhörer dafür zu entflammen. Zusätzlich Vorteil der kleinen Gruppen: Die qualifizierten Übungsleiter kennen ihre Pappenheimer ziemlich gut, wissen über besondere Talente und Fähigkeiten, Stärken und Schwächen gut Bescheid. Das bietet zugleich gute Voraussetzungen für Gespräche mit den Eltern, die nicht nur im Rahmen der offiziellen Elternabende stattfinden. Beim traditionellen Laternenumzug der Kindersportschule, der diesmal am 2. Dezember stattfindet, dürfte ebenfalls reichlich Raum für Gespräche außerhalb der Turn- und Sporthalle sein. Mit dieser Art der Einbindungen der einzelnen ATV-Ressorts von Badminton bis Kegeln würden zugleich Befürchtungen innerhalb der Abteilungen abgebaut, die eigene KiSS würde ihnen die kleinen Mitglieder abspenstig machen. „Diese Angst gab es zunächst durchaus“, erinnert sich Heike Striegl. „Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Mit diesem Angebot wird die Bindung an den Gesamtverein noch enger.“ Kein Wunder demzufolge, dass die Macher beim ATV derzeit alle Hebel in Bewegung setzen, das einmal zum Leben erweckte KiSS-Modell in Nürnberg zu verbreitern. Nach Möglichkeit mehr Turnhallen anmieten und neue Sportlehrer oder anderes qualifiziertes Personal gewinnen, um noch mehr Kinder in kleinen Gruppen in Sachen Bewegung und Fitness zu befähigen, so lautet das ambitionierte Ziel.

„Unsere Kindersportschule soll weiter wachsen“

 „Auch wenn uns das organisatorisch vor neue Aufgaben stellt, soll unsere Kindersportschule weiter wachsen. Das ist unsere Vorstellung. Wir möchten unser Netz gern vergrößern“, blickt die KiSS-Leiterin voraus und hofft, dass möglichst viele Kitas und Grundschulen in der rund 500.000 Einwohner zählenden Kommune mitziehen. Um die Voraussetzungen zu verbessern und in Zukunft nicht mehr ausschließlich auf fremde Hallen angewiesen zu sein, schweben dem ATV und dessen 1. Vorsitzenden Jörg Ammon räumliche Kapazitäten vor, in denen sogar reichlich Platz für eine eigene, vom Verein getragene Sport-Kita vorhanden ist.

Im Herbst dieses Jahres erhielt der Verein von der Stadt Nürnberg den Zuschlag für die Gründung und den Betrieb einer eigenen Kita für jeweils zwei Gruppen von Krippen-, Kindergarten- und Hortkindern. Ein geeignetes städtisches Grundstück für den geplanten Neubau ist ebenfalls schon in Aussicht. Am 1. September 2011, so das ehrgeizige Ziel, soll das Haus seine Pforten öffnen, mit dem selbstverständlich parallel die Spielräume für das KiSS-Netzwerk unter dem Dach der Frankonia deutlich erweitert werden können. Ein Sport-Kindergarten in Regie eines Sportvereins wäre in Nürnberg jedoch kein Novum. Erst kürzlich hatte im Rahmen des „Champini-Projekts“, das von der Tennisabteilung des 1. FC Nürnberg initiiert wurde, die dritte Einrichtung dieser Art in der Dürerstadt ihre Pforten geöffnet.


  • Sportvereine dienen auch im Bereich der Kinderbetreuung als gesellschaftliche Stütze. Copyright: picture-alliance
    Sportvereine dienen auch im Bereich der Kinderbetreuung als gesellschaftliche Stütze. Copyright: picture-alliance