IN AFGHANISTAN ROLLT DER FUSSBALL IN RICHTUNG ZUKUNFT

Sport- und Medienexperte HOLGER OBERMANN berichtet vom NOK-Fußballprojekt in Afghanistan

Sport- und Medienexperte HOLGER OBERMANN berichtet vom NOK-Fußballprojekt in Afghanistan

Als vor zwei Monaten eine neue Saison in der 1. Fußball-Liga im Großraum Kabul angepfiffen wurde, ahnten die Verantwortlichen des Fußballverbandes in Afghanistan (AFF) nicht im Traum daran, wie groß das Zuschauerinteresse sein würde. Im Gegensatz zum Vorjahr war das Olympic-Stadium schon fünf Mal bis an den Rand gefüllt und die bisherige Entwicklung lässt auf einen Fußballboom schließen, der das Land knapp zwei Jahre nach Ende des Taliban-Regimes erreicht hat. Zwar mangelt es nach wie vor erheblich an Sicherheitsvorkehrungen im Stadion, sind keine Umkleidekabinen und sanitären Anlagen vorhanden, doch das alles soll sich im Verlaufe der Saison ändern, wenn die Spendengelder einiger Geberländer speziell für die Renovierung des Stadions flüssig werden. Das Olympic-Stadium, noch vor wenigen Jahren vom Taliban-Regime als Hinrichtungsstätte benutzt, ist bisher die einzige Fußballarena im Großraum Kabul.

Kabuls Buergermeister Anwar Jegdalek, auch Präsident des Olympischen Komitees des Landes, versprach schnelle Hilfe, um die Voraussetzungen für internationale Spiele der führenden Klubs und vor allem der Nationalmannschaften zu schaffen, die im nächsten Jahr auf die afghanischen Vertreter im Asien-Cup zukommen. Im Herbst 2oo3 soll dann auch die aus FIFA-Mitteln des Goal-Programms gebaute Anlage mit Klubhaus für den Verband fertig gestellt sein.

Kurios: weder der Fußballverband noch das Afghanische Olympische Komitee partizipieren bisher von den Eintrittsgeldern der Spiele in der 1.Liga. Die Rechte liegen nach wie vor bei einem Konsortium afghanischer Geschäftsleute. Bei Eintrittspreisen von 1o Cent und einem Zuschauerschnitt von 2O OOO sind das immerhin 2OOO Dollar pro Spiel, für afghanische Verhältnisse eine lukrative Einnahme, die bisher von den Rechteinhabern allein vereinnahmt werden. Buergermeister Jegdalek will dafür sorgen, dass die Angelegenheit mit hohen Regierungsbeamten diskutiert wird und hoffentlich zum Wohle des Sports ausfällt.

Spitzenmannschaften der Liga sind vor allem der FC Maiwand, die Elf der Sicherheitspolizei, die Auswahl der Army und Vorjahrssieger Payman. Ganz oben in der Gunst des Publikums liegt Maiwand, kommt dieser Verein doch aus dem am meisten zerstörten Teil der Stadt, aus dem Westen Kabuls, das im Buergerkrieg fast dem Erdboden gleichgemacht wurde und sich nur langsam von den Zerstörungen zu Beginn der neunziger Jahre erholt. Mit Taxen, uralten Bussen, aber vor allem mit Fahrrädern legen viele Fans die 2o km lange Strecke quer durch die Innenstadt bis zum Olympic-Stadium zurück.

Doch nicht nur im Großraum Kabul, auch in verschiedenen Provinzen wie Herat, Kandahar oder Mazar-e-Sharif gibt es inzwischen Fußball-Ligen und schon für das nächste Jahr plant der Verband, die einzelnen Meister der Provinzen zur Endrunde nach Kabul einzuladen, um den afghanischen Gesamtsieger zu ermitteln.

Was die Klubs der ersten und auch zweiten Liga mit übrigens 34 Vereinen vormachen, findet auch bei der Jugend Nachahmung. Allein in Kabul gibt es rund neunzig Straßenfußball-Klubs, die gegeneinander spielen, noch völlig desorganisiert, aber mit voller Begeisterung auf oder zwischen Trümmergrundstücken und teilweise bei Minengefahr.

Der afghanische Verband hat seit Aufnahme der deutschen Fußball-Maßnahme, organisiert und finanziert vom NOK für Deutschland, dem DFB und dem Auswärtigen Amt inzwischen auch 6 Nationalmannschaften aufgebaut, die sich in ständigem Training befinden. Für die Trainingsleitung wurden die besten Absolventen der kürzlich nach Muster der deutschen B-Lizenz durchgeführten Trainermaßnahme nominiert. Während die Nationalmannschaft neu formiert wurde und dabei auch Spieler aus den Provinzen eingebaut wurden, die durch das Engagement von MercedesChrysler in Kabul Ausbildungsplätze erhalten werden, müssen sich aus logistischen-, wirtschaftlichen- und Sicherheitsgründen die Jugendnationalmannschaften aus Spielern rekrutieren, die in Kabul zuhause sind. Doch auch hier wird nach einer praktikablen Lösung gesucht, Nachwuchsspieler aus den Provinzen einzubauen.

Für Aufsehen sorgten erst kürzlich die vom deutschen Projekt aufgebauten und trainierten Jugendnationalmannschaften U-15 und U-19. Der ältere Jahrgang besiegte in einem Freundschaftsspiel vor 2O OOO Zuschauern im Olympic Stadium die englische Militärauswahl mit 4:1 und die U-15 schlug sich großartig beim "Norway-Cup", einem renommierten Fußballjugendturnier in Oslo, Norwegen, wo sie erst in einem Spiel nach Elfmeterschiessen ausschied. Bei ihrer Rückkehr vor einigen Tagen waren alle Medien einschließlich Fernsehen am Flughafen vertreten - und es gab dabei viel Lob für das deutsche Projekt. Der Nachholbedarf an Erfolgserlebnissen ist eben groß in Afghanistan, in dem der Fußball mit all seinen sozialen Komponenten eine so wichtige Hilfestellung darstellt.

H.O.