In Berlin wuchs im Sport zuerst wieder zusammen, was zusammengehörte (2)

Der zweite Teil der vierteiligen Serie zu zwanzig Jahren deutsche Einheit auch im Sport von DOSB-Autor Friedrich Mevert rückt Berlin und Niedersachsen mit zahlreichen sportlichen Ost-West-Begegnungen und Partnerschaften in den Fokus.

Hand in Hand stehen am 15. Dezember 1990 beim Bundestag des DSB in Hannover die Landesverbandsvorsitzenden Professor Dr. Gerhard Junghähnel (Brandenburg), Andreas Decker (Sachsen), Professor Dr. Klaus-Dieter Malzahn (Sachsen-Anhalt), der DSB-Präsident Hans Hansen, und die Landesverbandsvorsitzenden Wolfgang Remer (Mecklenburg-Vorpommern) und Professor Dr. Manfred Thies (v.l.) nach der Vereinigung des deutschen Sports unter dem Dach des Deutschen Sportbundes (DSB).
Hand in Hand stehen am 15. Dezember 1990 beim Bundestag des DSB in Hannover die Landesverbandsvorsitzenden Professor Dr. Gerhard Junghähnel (Brandenburg), Andreas Decker (Sachsen), Professor Dr. Klaus-Dieter Malzahn (Sachsen-Anhalt), der DSB-Präsident Hans Hansen, und die Landesverbandsvorsitzenden Wolfgang Remer (Mecklenburg-Vorpommern) und Professor Dr. Manfred Thies (v.l.) nach der Vereinigung des deutschen Sports unter dem Dach des Deutschen Sportbundes (DSB).

Der LSB Berlin war am 3./4. November 1989 Gastgeber für die turnusmäßige Herbsttagung der Ständigen Konferenz der Landessportbünde gewesen. Als wir nach Ende der Tagung vom Hotel Steglitz International in der Albrechtstraße zum Rückflug zum Flughafen Tempelhof fuhren, drehte der Taxifahrer das Autoradio etwas lauter an. So konnten wir „Westdeutschen“ aus dem Norden und dem Süden zwar keine Augen-, aber wenigstens Ohrenzeugen der größten Protestdemonstration in der Geschichte der DDR auf dem (Ost-) Berliner Alexanderplatz werden. Ein persönliches Dabeisein war uns leider nicht möglich: die Volkspolizei hatte alle Übergänge nach Ost-Berlin für Westbesucher an diesem Tag geschlossen.

Auch am Radio spürten wir deutlich die Spannungen, die in der Luft lagen, doch niemand konnte ahnen oder gar ernsthaft hoffen, dass bereits fünf Tage später - am 9. November - die Mauer in Berlin eine große Öffnung bekommen würde, dass schon am 17. November der freie und unreglementierte deutsch-deutsche Sportverkehr verkündet werden würde, dass bereits am 20. November auf Initiative des Berliner LSB-Präsidenten Manfred von Richthofen Volleyballerinnen des TSV Rudow (West) mit Sportlerinnen des TSC Berlin (Ost) und Boxer des Spandauer BG (West) mit denen des TSC Berlin (Ost) zusammen trainieren würden oder gar, dass sich nach einer langen Silvesternacht 1989/90 über 30.000 Läuferinnen und Läufer aus West- und Ostberlin zum traditionellen Berliner Neujahrslauf am ersten Januar-Morgen des Jahres 1990 zusammenfinden würden, der erstmals durch das Brandenburger Tor führte.

Berlin und Niedersachsen als Erste gefordert

Berlin als seit Jahrzehnten geteilte alte deutsche Hauptstadt und Niedersachsen als Bundesland mit der bei weitem längsten Grenze zur DDR waren mit ihren Sportorganisationen nach dem Mauerfall nicht nur als Erste gefordert, sondern reagierten auch sehr schnell, nachdem DSB-Präsident Hans Hansen und DTSB-Präsident Klaus Eichler bei ihrer ersten Begegnung am 17. November 1989 in Berlin den „Deutsch-deutschen Sportkalender 1990“ außer Kraft gesetzt und Absprachen getroffen hatten, die es Verbänden und Vereinen in beiden Organisationen ermöglichen sollten, selbständige Vereinbarungen über die künftige Zusammenarbeit und den Sportaustausch zu treffen.

Bereits eine Woche danach - am 24. November - verkündeten Manfred von Richthofen als damaliger Präsident des LSB Berlin und der Ost-Berliner DTSB-Bezirksvorsitzende Rudi Ebmeyer auf einer gemeinsamen Pressekonferenz die beiderseitige Absicht, die Zusammenarbeit bei der Organisation des Sports in beiden Teilen der noch geteilten Stadt zu verstärken. Der spätere DSB-Präsident und heutige DOSB-Ehrenpräsident Manfred von Richthofen, dem gemeinsam mit seinem DSB-Amtsvorgänger Hans Hansen die größten Verdienste bei der späteren Verwirklichung der sportlichen Einheit zukommen, plante allein für Berlin rund 80 sportliche Ost-West-Begegnungen noch bis zum Jahresende 1989. Uwe Hammer, Präsident des (West-)Berliner Fußball-Verbandes (BFV), rief Ende November alle West-Berliner Fußballvereine zu Freundschaftsspielen mit Ost-Berliner und DDR-Vereinen auf.

Die ersten Spitzensportler nutzten die Ausreisemöglichkeiten und wechselten von DDR-Vereinen in die Bundesrepublik, bisher dem Leistungssport vorbehaltene Ostberliner Sportstätten wie der Dynamo-Sportkomplex wurden für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht, in Ost-Berlin und der DDR überhaupt wuchs aber auch die Kritik der Bevölkerung an den Privilegien, die bisher nur die Spitzensportler genießen konnten. Verschiedene DDR-Sportverbände schlossen bereits für die DDR-Nationalmannschaften Sponsorenverträge mit bundesdeutschen Firmen ab.

"Nachbarschaftliche Partnerschaften"

Nach Berlin bot von bundesdeutscher Seite der LSB Niedersachsen schon mit Schreiben vom 4. Dezember 1989 nach vorangegangenen Kontakten den benachbarten DTSB-Bezirken Magdeburg, Schwerin, Erfurt und kurz darauf auch Halle eine „nachbarliche Partnerschaft“ an, die - wie LSB-Präsident Günther Volker damals schrieb - „vielfache Formen der Zusammenarbeit und des Austausches im Bereich des Sports umfassen soll“. Das Präsidium des LSB Nieder-sachsen habe diese Möglichkeiten auch deshalb außerordentlich begrüßt, weil Niedersachsen das Bundesland mit der längsten Grenze zu den Bezirken der DDR sei und über Jahrzehnte hinweg persönliche Verbindungen gerade im grenznahen Bereich auch erhalten wurden. Um Einzelheiten miteinander abzustimmen, lud der LSB zu einem Gespräch nach Hannover ein, das dann bereits am 26./27. Januar 1990 stattfand.

Vereinbart wurde in dieser zweitägigen Konferenz mit den Vertretern der vier Bezirke, dass sich die Zusammenarbeit zunächst insbesondere auf die Bereiche Leistungssport, Breitensport, Lehrarbeit/Ausbildung, Sport und Umwelt sowie Organisation/Verwaltung erstrecken, aber auch den Frauensport und die Jugendarbeit einbeziehen sollte. Zu diesem Zweck wurde die Bildung von fünf gemischten Arbeitsgruppen beschlossen, die bereits im Frühjahr 1990 ihre Arbeit aufnahmen und gemeinsame Aktivitäten abstimmten.

Parallel dazu trafen zahlreiche Landesfachverbände des LSB mit den zuständigen DTSB-Bezirksfachausschüssen Vereinbarungen und schlossen viele Kreissportbünde mit DTSB-Kreisverbänden und LSB-Vereine mit DTSB-Sportgemeinschaften Partnerschaften ab. Schon im ersten Halbjahr 1990 gab es dann eine Vielzahl von innerdeutschen Sportbegegnungen von Vereinen und Verbänden, die auch durch die Bundesregierung mit Zuschüssen gefördert wurden.

Auch aus Presseberichten aus den Monaten November und Dezember 1989 ist heute noch zu entnehmen, welche zahlreichen und vielfältigen Aktivitäten im Sport bereits in diesen ersten Wochen nach der Grenzöffnung in die Wege geleitet wurden. So hatte die VW-Stadt Wolfsburg - im unmittelbaren Grenzgebiet gelegen - bereits kurz vor der Maueröffnung eine Partnerschaft mit Halberstadt geschlossen, die nach dem 9. November mit zahlreichen sportlichen Vergleichskämpfen und Begegnungsveranstaltungen ausgefüllt werden konnte. Begeistertes Lob ernteten die Repräsentanten des Wolfsburger Stadtsportbundes, als Sportdelegierte aus dem sachsen-anhaltinischen Halberstadt erstmalig eine Reihe von Sportstätten sowie den Olympiastützpunkt in der VW-Stadt besichtigen konnten.

Beispielhaft für viele andere Organisationen seien noch der Stadtsportbund Wilhelmshaven genannt, der noch vor dem Jahresende von der Nordseeküste nach Mecklenburg fuhr, um mit dem DTSB-Sportkreis Schwerin eine Partnerschaft abzuschließen. Im Harzer Kurort Braunlage veranstaltete der Norddeutsche Rundfunk (NDR) eine Live-Sendung „Sport und Musik“ und führte dabei aktive Sportler aus dem West- und Ostharz sowie Funktionäre der umliegenden Sportkreise aus beiden Teilstaaten zusammen. In Hildesheim wurde eine Partnerschaft des Landkreises und Kreissportbundes für den Sport- und Jugendaustausch mit Sangershausen abgeschlossen und dabei eine Adressenliste von über 300 Hildesheimer Sportvereinen übergeben, die großes Interesse an Wettkämpfen und Begegnungen mit den Betriebssport-gemeinschaften aus Sangershausen zeigten.

Fast alle niedersächsischen Landesfachverbände gingen ebenfalls Paten- und Partnerschaften zu den entsprechenden DTSB-Bezirksfachausschüssen jenseits der Grenze ein, allen voran der Niedersächsische Fußball-Verband mit dem heutigen Fußball-Verband Sachsen-Anhalt. Die Exponenten dieser Patenschaft, Engelbert Nelle (Hildesheim), und Dr. Hans-Georg Moldenhauer (Magdeburg), waren später nicht nur auch die treibenden Kräfte bei der Wiedervereinigung im deutschen Fußball, sondern belebten nach fast zwanzig Jahren Pfingsten 2009 diese Partner-schaft beider Nachbarverbände mit einer Festveranstaltung in Barsinghausen auch wieder neu.

Auch bei überregionalen Veranstaltungen wurde über die noch bestehenden Grenzen hinweg bereits von Jahresbeginn 1990 an kooperiert, so z. B. durch Sportler- und Traineraustausch zwischen den ostdeutschen Leistungszentren und dem Olympiastützpunkt Hannover-Wolfsburg. Am 8. Wasa-Lauf in Celle, mit dem im März 1990 die bundesdeutsche Volkslaufsaison eröffnet wurde, nahmen mehr als 600 Langstreckler aus der DDR teil.

Grenzüberschreitende Veranstaltungen

Erstmalig wurde die Internationale Niedersachsen-Rundfahrt der Radamateure grenzüberschreitend durchgeführt und Halberstadt am 17. April als vorletzter Etappenort einbezogen. Und auch die traditionelle LSB-Staffel zum „Tag der Niedersachsen“ in Stade wurde von den Kreisen Goslar und Helmstedt mehrfach grenzüberschreitend gelaufen. Schließlich wurden auch Sporthistoriker aus den DDR-Nachbarbezirken zur aktiven Mitwirkung beim Niedersächsischen Institut für Sportgeschichte Hoya (NISH) eingeladen und nahmen diese Einladung auch dankbar an.

Durch eine entsprechende Erweiterung seines Sportversicherungsvertrages sorgte der LSB Niedersachsen dafür, dass - bei offiziellen Sportbegegnungen - die Aktiven aus der DDR den gleichen Versicherungsschutz genossen wie die bundesdeutschen Sportler. Gleiches galt für bundesdeutsche Sportler, die zu Wettkämpfen in die Noch-DDR reisten. Dass der Sport bei den Bemühungen zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten außerordentlich große Verdienste habe, auch bei der Hilfestellung zum Aufbau einer neuen demokratischen Vereins- und Verbandsstruktur in den späteren „neuen“ Bundesländern, wurde dann auch bereits im Februar 1990 beim traditionellen „Sportparlament“ der Niedersachsen-CDU in Osnabrück von führenden Politikern mehrfach nachdrücklich unterstrichen.

Auch der damalige niedersächsische Ministerpräsident Dr. Ernst Albrecht hatte in einem Schreiben an LSB-Präsident Günther Volker die umfassenden Initiativen des Landessportbundes begrüßt und betont, dass auch diese sportlichen Aktivitäten im Sinne der Öffnung und der Entwicklung normaler Beziehungen zwischen den Menschen in beiden bisher getrennten Teilen Deutschlands eine ganz wichtige Bedeutung haben würden.


  • Hand in Hand stehen am 15. Dezember 1990 beim Bundestag des DSB in Hannover die Landesverbandsvorsitzenden Professor Dr. Gerhard Junghähnel (Brandenburg), Andreas Decker (Sachsen), Professor Dr. Klaus-Dieter Malzahn (Sachsen-Anhalt), der DSB-Präsident Hans Hansen, und die Landesverbandsvorsitzenden Wolfgang Remer (Mecklenburg-Vorpommern) und Professor Dr. Manfred Thies (v.l.) nach der Vereinigung des deutschen Sports unter dem Dach des Deutschen Sportbundes (DSB).
    Hand in Hand stehen am 15. Dezember 1990 beim Bundestag des DSB in Hannover die Landesverbandsvorsitzenden Professor Dr. Gerhard Junghähnel (Brandenburg), Andreas Decker (Sachsen), Professor Dr. Klaus-Dieter Malzahn (Sachsen-Anhalt), der DSB-Präsident Hans Hansen, und die Landesverbandsvorsitzenden Wolfgang Remer (Mecklenburg-Vorpommern) und Professor Dr. Manfred Thies (v.l.) nach der Vereinigung des deutschen Sports unter dem Dach des Deutschen Sportbundes (DSB).