In der Fitness-Warenwelt wird die Kundschaft immer jünger

 

Seltsame Vorbilder und fragwürdige Ideale

 

Der Typ hinter dem chromgestylten Ladentisch ist für manchen wohl schon Kaufanreiz genug: Braungebrannt, blond, mit

Muskelpaketen, die aus dem ärmellosen Designer-Shirt quellen, entspricht er dem Klischee, das viele von Bodybuildern haben. Auch seine Kollegin, die ihm zur Seite steht, bedient Vorurteile, die viele von Fitness- Trainerinnen haben: Sie könnte bei der amerikanischen Schönling-Serie Baywatch durchaus eine Nebenrolle besetzen.

Wir befinden uns in einem Berliner Tempel für Bodybuilder und Fitnessfreaks, in dem nicht nur Training angeboten wird, sondern auch Nahrungsergänzungsmittel und anderes sportliches Zubehör verkauft werden. Zwischen den Regalreihen, in denen optisch ansprechend Dosen und Döschen, Riegel, Tuben, Tüten, Röhrchen, Flaschen, Packungen, Bücher und Sportgeräte sortiert sind, ist die Klientel sehr gemischt: Der hagere Herr, passionierter Marathonläufer, sucht nach einem Nahrungsergänzungsmittel, das ihm ein Bekannter empfohlen hat. Und wird mit Hilfe der Fitnesstrainerin schnell fündig. Auch die beiden Herren im Format eines Arnold Schwarzenegger werden prompt bedient: Ihre Bestellung aus den USA ist angekommen.

Nur die drei Jungen, etwa 15 Jahre alt, stehen unentschlossen vor den Dosenstapeln mit Fitnessnahrung in allen Variationen: Mit 35 Euro pro Dose für zwei Wochen sind sie nicht dabei. Überall in der Hauptstadt - und das gilt für die ganze Republik - schießen Läden aus dem Boden, die mit ihren speziellen Nahrungsergänzungen, Fitnessfood und Kraftshakes nicht nur Muskeln versprechen, sondern wunderbare Körper, Fettabbau und Bodyfeeling. „Wir können alles besorgen, auch aus den USA, in wenigen Tagen, zu günstigen Preisen.“ Damit wird nicht nur in manchen Geschäften, sondern vor allem auf den Online-Seiten der diversen Companies, Bodyshops und Depots geworben. Was mag nur mit „alles“ gemeint sein?

Nahrungsergänzungsmittel - speziell aus dem Herstellungsland USA - sind in den letzten Wochen durch die jüngste Dopingaffäre um die Designer-Droge Tetrahydrogestrinone (THG) noch mehr in Verruf geraten, als sie es ohnehin schon waren. Abgesehen davon, dass Experten die Meinung vertreten, dass viele dieser chemischen Nahrungsmittel wirkungslos sind, den Leuten nur das Geld aus der Tasche ziehen, sind gesundheitliche Risiken bei Mixturen, die auch als Dopingmittel eingesetzt werden, bisher kaum erforscht.

Vor etwa zwanzig Jahren wurde in den USA eine Studie der Universität Massachusetts veröffentlich, in der mit Besorgnis der Anstieg von Anabolikakonsum bei Kindern und Jugendlichen festgestellt wurde. Die täglich vorgeführten Superkörper in der Werbung, die muskelbepackten Kino- und Serienhelden wie Terminator, Rambo oder ... beeindruckten den Nachwuchs ebenso wie Ben Johnson nach seinem Jahrhundertlauf, der sich wenig später als pharmazeutische Mogelpackung herausstellte. Kinder wollen keine Weicheier sein - gerade in einem Land wie den USA, wo nie aufgebende Pioniere und für das Gute kämpfende Haudegen, Vorbilder, starke Frauen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen und immer wie Sauberfrau Doris Day aussehen, nachahmenswert, wo ewige Stärke, Jugend und Schönheit Ideale sind.

Dass der stärkere Underdog nicht nur überlebt, sondern sich aus seinem miesen Umfeld heraus boxen kann, ist ein Argument, warum Kinder und Jugendliche auch chemische Hilfe in Anspruch nehmen, wenn sie den Anforderungen ihrer Umwelt auf normalem Weg nicht gerecht werden. Eine halbe Million US-amerikanischer Teenager soll nach einer neuen Untersuchung mittlerweile zu anabolen Steroiden greifen. Der Doping-Fachmann Charles Yesalis von der Penn State University meint, dass zwei bis drei Prozent der Jugendlichen sich an den High-Schools Anabolika einwerfen. Die meisten haben schon mit zwölf damit angefangen. Die US-Zahlen, so Yesalis, gelten fast genauso für Europa, nur mit dem einzigen Unterschied, dass Jugendliche in den Staaten wesentlich einfacher und billiger an die Dopingmittel kommen als hier zu Lande. Ob im Internet oder Drugstore - man kann sich alles beschaffen. Allein mit Nahrungsergänzungsmitteln - was unter anderem nicht nur am Diätenwahn der Amerikaner liegt - setzten US-Pharmafirmen etwa 18 Milliarden Dollar um. Wie unbeschwert im Sport mit derartigen Mitteln umgegangen wird, zeigt auch, dass in Colleges oder an Universitäten für derartige Produkte geworben wird. Es bringt Geld für die Bildungsanstalten, die sich überwiegend privat finanzieren müssen. Nicht nur für Schecks, sondern auch für einen Studienplatz und eine spätere Karriere lassen sich Jungen und Mädchen deshalb gerne von College- und Uni-Teams umwerben. Weil es um ihre Zukunft geht, greifen sie auch gerne zu „unterstützenden Maßnahmen“, um bei Leistungsabfall oder -stagnation nachzuhelfen. Dass das auf Kosten der Gesundheit geht, ignorieren die meisten.

Zwar ist die Sporttradition in Deutschland eine andere, aber die Sport-Protagonisten stehen unter ähnlichem Druck, und die Werbewelt suggeriert nahezu identische Werte. Auch in old Europe und speziell in Old Germany gibt es clevere Kids, die sich Mittel online oder im Laden besorgen, wenn sie unbedingt äußerlich Power verkörpern wollen. „Ich möchte keine Rekorde aufstellen, sondern ich möchte einfach so aussehen wie ein Sprinter“, erzählt ein 14-jähriger Junge, der für so genannte Eiweißpräparate und Bodybuilding sein ganzes Taschengeld ausgibt. Dass er noch im Wachsen ist und ihm sein Körper einiges übel nehmen könnte, das hat ihm in der Muckibude keiner gesagt.

Seine Eltern finden es gut, dass er etwas für sich tut. Was er nun genau macht, wissen Mama und Papa nicht. Nachfragen, weil die körperliche Veränderung den Eltern eigentlich auffallen müsste, tun sie nicht. Auch die 16-jährige Anna, die ihr Hobby mit „Body-Styling“ angibt, wird nicht nur bewundert für ihren schlanken, muskulösen Körper. „Wer mich anmacht und meint, das wäre nicht normal, wie ich aussehe, der ist ja bloß neidisch“, wehrt sie kritische Fragen nach Hilfsmitteln in Riegelform oder aus der Dose ab. Sie definiert sich über ihr Aussehen. Das sei momentan das einzige, wo sie den anderen gegenüber eine Vorteil habe. „Da fühle ich mich als was Besonderes, ansonsten hänge ich ja nur rum. Bisher habe ich keine Lehrstelle, womit soll ich mich sonst beschäftigen als mit mir selbst?“ Also dann Super-Girl aus der hormonellen Eiweißdose?

Der Körper wird bei dem heute vorgegebenen Schönheitsideal zur fixen Idee - besonders bei jungen Menschen. Abgesehen davon, dass sich (potenzielle) Hochleistungssportler mit Präparaten und Nahrungsergänzungsmitteln, die mit Prohormonen versetzt sein können, in die Gefahr begeben, als Doper entlarvt zu werden, sind manche Produkte einfach zu riskant, vor allem für den jungen, sich entwickelnden Körper. Statt ständig Fast Food und Fertiggerichte zu verspeisen, wären Obst, Gemüse und Vollkornprodukte eine gesunde, risikolose Ernährungsvariante. Und bei entsprechender Bewegung wird der Körper auch trainiert und geformt. Es müssen ja nicht gleich Muskelpakete sein, die das Hemd sprengen. Manchmal ist weniger mehr. Und natürliche Jugendliche kommen auf lange Sicht immer noch besser an, als körperlich und modisch durchgestylte Reißbrett-Kids, die als Boy- und Girl-Groups vermeintliche Trendsetter sind in einer Computer animierten Welt, wo Mädchen aussehen sollen wie Lara Croft und Jungen wie Conan der Barbar: Wenn sie out sind, werden sie einfach gelöscht....