Interview DOSB-Vizepräsident Leistungssport, Eberhard Gienger

Der Vizepräsident Leistungssport, des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Eberhard Gienger, beschreibt in einem Interview seine Vorstellungen von der Entwicklung des Leistungssports in Deutschland. Der Bundestagsabgeordnete erklärte Schwerpunktsetzung und neue Projekte.

   Herr Gienger, Ihre Wahl zum neuen Vizepräsidenten Leistungssport des neuen Deutschen Olympischen Sportbundes kam für manchen überraschend. Welcher Grund hat den Ausschlag gegeben, dieses Amt zu übernehmen?


EBERHARD GIENGER: „Es ist eine reizvolle Aufgabe, den Leistungssport in Deutschland, den ich viele Jahre lang selbst betrieben und lieben gelernt habe, zu gestalten und vorwärts zu bringen. Eine Hauptmotivation war darüber hinaus, dass mit Thomas Bach schon seit Jahren eine gute Kooperation besteht. Wir haben schon in den 70er und 80er Jahren im Aktivenbeirat eng zusammen gearbeitet. Ich denke, es ist eine echte Herausforderung, in einem harmonierenden Team die Weichen für die Zukunft zu stellen. Nun werde ich auch meine Zusage erfüllen: Mein Amt als Vizepräsident des Deutschen Turner-Bundes gebe ich Anfang Juli auf. Diesen Entschluss habe ich bereits schriftlich mitgeteilt. Bei der nächsten Sitzung werde ich mich von den DTB-Präsidiumsmitgliedern verabschieden.“ 
 
   Wird der Leistungssport innerhalb des Deutschen Olympischen Sportbundes unter Dr. Thomas Bach und Ihnen eine neue Ausrichtung bekommen?


EBERHARD GIENGER: "Wir müssen natürlich eine Entscheidung für die Zielsetzung treffen: Wollen wir Medaillen gewinnen oder wollen wir die Teilnahme als Hauptkriterium ansetzen? Wenn es nach mir geht, möchte ich unter den Vorzeichen eines manipulationsfreien Sports ganz klar ergebnisorientiert an Medaillen arbeiten und in diese Richtung die Weiche stellen. Im Wintersport haben wir bei den zurückliegenden Olympischen Spielen in Turin erneut die Spitzenposition in der Nationenwertung behaupten können. Diese Erfolge gilt es auch zukünftig zu festigen. Im Sommersport  muss es zunächst das  Ziel sein, unseren Platz von den letzten Olympischen Sommerspielen zu verteidigen. Das  wird mit Blick auf Peking schwierig genug werden. Aber auch im Sommersport verfügen wir über zahlreiche Sportarten mit hohem Entwicklungspotenzial, die es gezielt zu fördern gilt. Wir müssen unser System so zukunftsfähig machen, dass wir für London 2012 weiterführende Konzepte auf den Weg bringen. Bei der Erfolgsorientierung wollen wir nicht pauschal handeln, sondern wir müssen immer den Einzelfall betrachten. Man kann nicht einfach sagen, wir gliedern hier eine Sportart aus und geben kein Geld mehr dorthin. Es muss sehr überlegt angegangen und die Auswirkungen auf das große Ganze betracht werden.
In diesem Zusammenhang müssen wir feststellen, dass unsere Konzepte und Strukturen im Ausland gern kopiert werden, dort jedoch die Umsetzung schneller und  besser gelingt als im eigenen Land."
 
   Wollen Sie eine grundlegende Reform des Systems oder halten Sie die Strukturen für weiterhin erfolgsträchtig?


EBERHARD GIENGER: „Das Sportsystem in Deutschland zeichnet sich durch ein flächendeckendes Netz von sehr aktiven Vereinen aus, dem, übergreifend gesehen, auch ausreichend kommunale oder auch eigene Sportstätten zur Verfügung stehen. Aber nur relativ wenige Vereine können sich leistungssportlich orientierte Abteilungen in olympischen Sportarten finanziell leisten. So ist ein ergänzendes leistungssportliches Fördersystem aus Landes- und Bundesstützpunkten, Landes- und Bundesleistungszentren bis zu den Olympiastützpunkten und Eliteschulen des Sports entstanden. Dieses vorhandene Netz gilt es zu koordinieren, zu effektivieren und in einen Verbund mit zentralen Fördereinrichtungen des Bundes zu bringen. Ich glaube, dass wir kein neues System, sondern Aufdeckung und Behebung der Schwachstellen und eine zielorientierte Steuerung brauchen."

   Steht die genaue Ausrichtung denn schon fest?


EBERHARD GIENGER: „Zunächst werden also die Schwachstellen am Gesamtsystem oder den Teilsystemen zu erkunden sein und die notwendigen Korrekturen eingeleitet werden müssen. Danach wird die zentrale Steueraufgabe für das oben beschriebene Wirkungsnetz beim DOSB liegen und auf hohem Qualitätsstandard wahrgenommen werden müssen. Der Präsidialausschuss Leistungssport hat seine Arbeit bereits aufgenommen, wurde vom DOSB-Präsidium mit der Beratung des Gesamtkomplexes der Leistungssportentwicklung und Erarbeitung von Strategien beauftragt und wird am 9. Dezember 2006 der DOSB-Mitgliederversammlung ein übergreifendes Arbeitsprogramm präsentieren. Die Feinabstimmung hierzu wird erfolgen, wenn das Gebäude DOSB richtig steht. Dazu fehlt noch das neue Direktorium und der Beirat, der das Direktorium beraten soll. Vor diesem Hintergrund ist es im Moment nicht möglich, eine detaillierte Aussage zu treffen. Zudem ist mir die Meinung der Hauptamtlichen wichtig, der Trainer und natürlich der Aktiven, die die Arbeit an der Basis leisten. Wir haben sehr viele Themen auf der Agenda, die es umzusetzen gilt. Wir wissen, wohin wir wollen, aber ob wir es umsetzen können und ob die finanziellen Ressourcen zur Verfügung stehen, das ist die Frage.“
 
   Welches Thema steht denn für Sie vorne auf der Agenda?


EBERHARD GIENGER: „Ein wichtiges Thema ist die Traineroffensive. Wir müssen den Trainerberuf endlich attraktiver und auch gesellschaftsfähiger machen. Dazu müssen wir zunächst genau klären, welche Möglichkeiten wir haben, beispielsweise mit öffentlicher Anerkennung durch einen Trainerpreis, mit Prämiengestaltung, mit der Vertragsgestaltung, Dann wollen wir die Trainerakademie attraktiver machen und überlegen, wie können wir den Einstieg ins Berufsleben gewährleisten, wenn die Ausbildung  abgeschlossen ist. Wir wollen diese schon zu DSB-Zeiten beschlossenen Dinge mit frischem Wind fortsetzen. Die Einzelheiten müssen nun geklärt werden, und das nicht nur von Akteuren, die die Vorgänge nur aus der Theorie kennen, sondern auch von denen, die mit der Nase im Wind stehen, den Praktikern.
Ein weiteres zentrales Thema ist die von unseren Mitgliedsverbänden eingeforderte Entbürokratisierung des Leistungssports. Eine Arbeitsgruppe mit dem BMI wird hierzu konkrete Vorschläge unterbreiten. Auf einer Klausurtagung Ende Juli werden weitere Themen besprochen, u.a. das wissenschaftliche Verbundsystem, und da möchte ich Leute von der Basis dabei haben.“
 
   Gibt es denn schon konkrete Planungen beispielsweise für den Trainer-Preis?


EBERHARD GIENGER: „Es sind konkrete Überlegungen im Gange. Vielleicht  wird es noch im diesen Jahr einen Preis geben. Derzeit arbeite ich noch die verschiedenen Institutionen ab. Mit ihnen stehen viele Termine an, um zu sehen, welche Einrichtungen unsere Belange voran bringen können. Mit welchen Ideen können wir etwas bewirken? Dazu gehören die Trainerakademie, Führungsakademie, das BISp, IAT und FES, universitäre Einrichtungen etc.“
 
   Wo werden Sie denn weitere Schwerpunkte setzen?


EBERHARD GIENGER: „Das wissenschaftliche Verbund-System und die Nachwuchsarbeit gehören auch dazu, sowie die Projekte, um den Verbänden, die in den BL- Leistungsstufen drei und vier sind, eine Möglichkeit zu bieten, aus dem Leistungstal wieder heraus zu kommen. Diese Ausrichtung auf die Zukunft ist für mich ganz wichtig. Ein Beispiel: Die Turnerinnen waren bei niemandem mehr auf dem Plan, irgendwelche Medaillen zu gewinnen. Plötzlich waren sie bei den Juniorinnen für deutsche Verhältnisse immens erfolgreich, und bei den Seniorinnen mit einer Bronzemedaille plötzlich auch wieder in den Medaillenrängen.“

   Vielfach wurde vor allem nach Olympia in Athen der Wunsch nach innovativen Ideen und der Blick ins Ausland gefordert. Wird er kommen?


EBERHARD GIENGER: „Solches Querdenken ist sicherlich wünschenswert. Wir können manchen Gedanken aus dem Ausland aufgreifen, das ist auf jeden Fall richtig. Aber wir können nicht hergehen, in Nachbarländern funktionierende Ideen 1:1 bei uns umsetzen. Das wird zu Schiffbruch führen, weil die Rahmenbedingungen nie gleich sind. Durchaus nach außen schauen, das wurde in der Vergangenheit schon gemacht. Ein Beispiel ist das wissenschaftliche Verbundsystem, damit alle Trainer bei der Lösung inhaltlicher Fragen kompetent beraten und auf das vorhandene geballte Wissen zurückgreifen können. Das ist für mich eine der zentralen Aufgaben. Es ist wichtig, dass die Trainer sich in alle Richtungen orientieren können.“
 
   Wird Ihnen Ihre Position als Bundestagsabgeordneter hilfreich sein?


EBERHARD GIENGER:  „Natürlich werde ich meine politischen Erfahrungen für den Sport nutzen, wie ich natürlich meinen Sport-Hintergrund auch sportpolitisch in die Waagschale zu werfen versuche.“
 
   Der Kampf um den Nachwuchs wird immer wichtiger. Wo sehen Sie die Schwerpunkte?


EBERHARD GIENGER: Die Eliteschulen sind genau das, was als Talentschmiede bezeichnet werden kann. Von ihnen halte ich sehr viel, aber ein Unterbau für sie wäre wünschenswert. Die Eliteschulen sind sehr unterschiedlich geprägt. Wichtig ist es dort, dass die Sportler die Belastungen meistern, dass sie den Erfolg mit großem Ehrgeiz wollen. Die Schule ist die zentrale Institution, wo die Grundlagen für eine spätere erfolgreiche Sportlerkarriere gelegt werden kann, ob nun durch Stundenplan-Gestaltung, durch Schulzeitstreckung oder durch Nachhilfe: Diese Elemente bergen Potenziale. Mit 38 Eliteschulen sind wir ganz gut bestückt. Ein Mehr wäre sicherlich gut, aber man muss nicht nur nach der Masse schauen, sondern auch nach der Qualität. Darüber hinaus gibt es auch Initiativen im Hochschulbereich, das heißt, dass der Leistungssport auch an den Hochschulen seinen Platz findet. Eine Aufwertung des Leistungssports an den Universitäten wäre wünschenswert.“
 
   Kurz vor Ihrer Wahl gab es Irritationen zum Thema Doping. Hat sich irgendetwas in Ihrer Meinung geändert?


EBERHARD GIENGER: „Meine Position, und unsere Position war, ist und bleibt ganz klar: Wir haben uns beim DOSB die Null-Toleranz-Politik auf die Fahnen geschrieben. Doping ist nicht tolerierbar und wird in aller Konsequenz verfolgt. Dabei wollen wir die starke Mitarbeit der NADA und der WADA und die Hilfestellung bei der Prävention in Richtung Sportler vorantreiben."
 
   Wie wollen Sie den Kampf gegen Doping verstärken?


EBERHARD GIENGER: „Beim Kampf gegen Doping wird es darum gehen, einen gemeinsamen Weg von Sport und Staat zu einer Anti-Doping-Strategie zu finden, die die Athletinnen und Athleten nicht kriminalisiert. Derzeit wird im Sport und im Bundestag überlegt, in welcher Form die Intensivierung umgesetzt werden soll: Soll ein Anti-Doping-Gesetz kommen, für das sich gerade Frank Busemann als einer der drei neuen Anti-Doping-Vertrauensleute des DOSB ausgesprochen hat, oder reichen das Arzneimittelgesetz oder Betäubungsmittelgesetz aus, um die Doping-Problematik in den Griff zu bekommen? Brauchen wir die Schwerpunktstaatsanwaltschaften? All diese Fragen wollen wir in nächster Zeit klären. Sicherlich wäre auch eine stärkere finanzielle Unterstützung der NADA wünschenswert. Aber wir sind in ein Korsett von Rahmenbindungen eingebunden, aus dem wir nicht so einfach ausbrechen können. Der Bund ist der Hauptzuwendungsgeber der NADA. Wir müssen nach weiteren Lösungen auch zusammen mit der Wirtschaft suchen, damit mehr Unterstützung gewährt wird.“