Interview mit Marieluise Beck, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration

8 Fragen an Marieluise Beck zum Stand der Integration der Bevölkerung ausländischer Herkunft, zu der Rolle und den Möglichkeiten des Sports bei der Bewältigung dieser wichtigen Aufgabe.

 

   Die Integration von ausländischen Menschen in Deutschland ist eine wichtige Aufgabe, um den sozialen Frieden zu erhalten. Worauf muss aus Ihrer Sicht in den kommenden Jahren der Schwerpunkt bei der Integration liegen?

 

Marieluise Beck: ”Um eines vorweg zu schicken: Es kann nicht den einen Schwerpunkt bei der Integration geben, wir müssen deutlich differenzieren. Migranten sind keine homogene Gruppe, sondern Menschen mit den unterschiedlichsten Voraussetzungen. Das war schon immer so und wird auch bei den zukünftigen Zuwanderern so sein. Der überwiegende Teil der in Deutschland lebenden Ausländer hat sich gut integriert, auch wenn über die gelungene Integration weniger gesprochen wird als über die Probleme, die wir zweifellos noch haben. Schlüssel für Integration ist die Sprache. Nur wer sich verständigen kann, hat die Chance auf gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen, sei es im Bildungssystem, auf dem Arbeitsmarkt oder auch im sonstigen alltäglichen Leben.

 

   Es leuchtet unmittelbar ein, dass Deutschkenntnisse die Grundvoraussetzung für Integration sind, wieso gibt es denn hier noch Probleme?

 

Marieluise Beck: „Nun, wir haben über Jahrzehnte versäumt, uns als Einwanderungsland zu definieren und die damit verbundenen Maßnahmen zu ergreifen. So wurde sowohl der angestammten als auch der zugewanderten Bevölkerung vorgegaukelt, die Zuwanderer würden wieder gehen. Eine Konsequenz war, dass die deutsche Seite viel zu wenig Sprachkurse angeboten hat – übrigens ist das noch heute so – und die Migranten sich mit den geringen Deutschkenntnissen zufrieden gaben. Schließlich dachten sie, ihr Aufenthalt in Deutschland sei eh nur vorrübergehend. Nun müssen wir diese Defizite beseitigen und dürfen keine neuen erzeugen.

 

<typohead>"Der Sport hat eine ganz wichtige Rolle, denn hier kommen Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammen."</typohead>

   Derzeit wird zwischen den Parteien im Bundestag immer noch über ein Zuwanderungsgesetz verhandelt. Wird es denn kommen?

 

Marieluise Beck: ”Wenn ich das wüsste hätte ich hellseherische Fähigkeiten. Ich weiß es wirklich nicht. Beim Verhandlungsprozess zwischen Regierung und Opposition schwingen einfach zu viele andere Interessen mit, die mit der Sache nichts zu tun haben und die den Einigungsprozess erschweren.“

 

   Was kann der Sport bei diesem Prozess der Integration leisten? Hat er Vorteile, die andere gesellschaftliche Bereiche nicht haben? Kann er die gesellschaftliche Integration stärker vorantreiben?

 

Marieluise Beck: ”Der Sport hat eine ganz wichtige Rolle, denn hier kommen Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammen. Er bietet die Möglichkeit zum ersten Kontakt wie auch zu dauerhafter Freundschaft. Ich muss mir nicht aufwändig vornehmen, Ressentiments abbauen zu wollen und Menschen anderer Kultur kennen zu lernen. Um beim Sport mitzumachen, müssen keine großen Vorbedingungen erfüllt werden. Der Sport hilft, sich zu nähern und Unwissen über einander zu mildern.  Beim Sport müssen die Menschen nicht einmal unbedingt miteinander sprechen können.“

 

   Was kann der Sport denn noch mehr tun, um ausländische Menschen besser zu integrieren?

 

Marieluise Beck: ”Sportvereine leisten schon heute einen wichtigen Beitrag bei der Integration ausländischer Jugendlicher. Gerade in Fußball- und Kampfsportvereinen sind viele Ausländer längst Mitglied. Dennoch gibt es noch Nachholbedarf bei Migranten, insbesondere ausländische Frauen fühlen sich noch zu wenig angesprochen. Wir brauchen noch mehr niedrigschwellige Angebote, die die Zielgruppen auch wirklich ansprechen. Offene Angebote, die nicht gleich einen Vereinseintritt erfordern, könnten hier helfen. Die Geschlossenheit der Vereinsstrukturen ist für viele schon ein Problem.”

 

   Sie haben angesprochen, dass ausländische Frauen in Sportvereinen deutlich unterrepräsentiert sind. Kann der Sport ausländischen Frauen bei der Integration in die Gesellschaft helfen?

 

Marieluise Beck: ”Ja, das wäre wirklich wünschenswert. Ausländische Frauen brauchen den Kontakt nach außen ebenso wie deutsche Frauen. Gerade in der Lebensphase der Erziehung von Kleinkindern sind viele Frauen isoliert. Das gilt zwar auch für deutsche Frauen, aber es ist natürlich in einer solchen Phase besonders schwierig, wenn man noch nicht lange im Land lebt und noch über keine funktionierenden Netzwerke verfügt. Aber auch ausländische Mädchen und Frauen, die keine Kleinkinder betreuen, profitieren von Kontakten. Nicht zu vernachlässigen ist auch der gesundheitliche Vorteil des Sports.“

 

   Welche Sportangebote sprechen denn ausländische Frauen besonders an?

 

Marieluise Beck: „Viele ausländische Frauen kommen aus Ländern, in denen es keinen Frauen-Breitensport gibt. Diese Frauen müssen an den Sport herangeführt werden. Umfragen zeigen, dass es ein großes Interesse ausländischer Frauen an sportlicher Betätigung gibt. Es gibt erste Modellprojekte, die sich gezielt an ausländische Frauen wenden. Es gibt hier  interessante Ansätze, z.B. die Ausbildung von ausländischen Frauen zu Übungsleiterinnen oder Kooperationen mit Moscheen. Durch solche Projekte können auch die Frauen für den Sport gewonnen werden, an die wir sonst nicht so leicht herankommen. Ich denke, das ist der richtige Ansatz. Wir müssen ausprobieren, womit wir diese Zielgruppe ansprechen und die Erfahrungen dann auswerten.“

 

<typohead>"Viele ausländische Frauen kommen aus Ländern, in denen es keinen Frauen-Breitensport gibt. Diese Frauen müssen an den Sport herangeführt werden."</typohead>

   Der Sport spricht vor allem Jugendliche sehr stark an. Die Mehrzahl der deutschen Kinder ist schon einmal in einem Sportverein gewesen. Auch bei ausländischen Jugendlichen ist dies vermutlich der Fall, es liegen uns keine Zahlen vor, die zwischen deutschen und ausländischen Jugendlichen unterscheiden. Sollten nicht noch mehr ausländische Jugendliche für die Mitgliedschaft im Sportverein gewonnen werden?

 

Marieluise Beck: ”Hier müssen wir sehen, welche Sportarten betreiben die Jugendlichen aus Migranten-Familien . Bei den Türken und vielen anderen muslimischen Jugendlichen ist es der Fußball, der bevorzugt wird. Angenommen werden sicherlich auch noch die Kampfsportarten. Insgesamt wissen wir aber über die Akzeptanz der verschiedenen Sportarten viel zu wenig. Wir müssen mehr Erkenntnisse haben, um die Nachfrage zu kennen. Ich würde gerne eine Studie darüber sehen, welche Sportarten von Migranten angenommen werden.”