Interview mit Raimund Bethge, Bundestrainer beim Bob- und Schlittenverband für Deutschland (BSD)- "DOSB-Trainer des Jahres 2006"

Raimund Bethge hat als Bob- und Skeleton-Cheftrainer in den vergangenen 15 Jahren die Grundlage für 105 Medaillengewinne bei internationalen Meisterschaften und Olympischen Spielen gelegt.

 

Allein bei den Winterspielen 2006 in Turin gewannen die deutschen Bobfahrer alle drei Goldmedaillen.

Nach einer erfolgreichen Leichtathletik-Karriere (100-Meter-Lauf, 110-Meter-Hürden) wechselte Bethge 1975 zum Bobsport nach Oberhof. Als Anschieber im Viererbob nahm er 1976 an den Olympischen Spielen teil und gewann 1977 den WM-Titel im Vierer-Bob. 1979 begann er seine Trainerkarriere beim BSD, die mit der Auszeichnung zum "DOSB-Trainer des Jahres" öffentliche Anerkennung bekam. Der 59-Jährige spendete das Preisgeld von 10.000 Euro für die Nachwuchsförderung seines Verbandes.


Im Dezember wurden Sie zum "DOSB-Trainer des Jahres 2006" gewählt. Welche Bedeutung hat diese Ehrung für Sie ?
Die Ehrung in Weimar war das Größte, was mir in den 25 Jahren als Trainer passiert ist. 1979 habe ich in Oberhof angefangen und bin 1990 nach der Wende nach Berchtesgaden gekommen. In der Zeit galt meine Konzentration voll und ganz meinem Job. Ich möchte jedoch betonen, daß ich die Auszeichnung als Anerkennung für die Arbeit des gesamten Teams verstehe. Denn nur wenn die Zusammenarbeit mit Athleten, Heimtrainern und den Betreuern an den Stützpunkten gut funktioniert, kann man Erfolge feiern.

Sie haben sich bei dem Rennen um den Titel gegen starke Konkurrenten durchgesetzt.
Als ich das erste Mal von der Nominierung erfuhr, habe ich mir keine großen Chancen ausgerechnet. Zur Wahl standen wirklich herausragende und sehr erfolgreiche Trainer: Darunter waren der Hockey-Cheftrainer Bernhard Peters, Herren-Bundestraier Frank Ullrich vom Biathlon und der Cheftrainer vom Eisschnelllauf, Joachim Franke.

Wann erfuhren Sie von Ihrer Nominierung ?
Zu der Zeit war ich zu einer weiteren Operation nach dem Unfall beim Weltcup in Cesena im Krankenhaus. Dr. Thomas Bach meldete sich aus Dubai und gratulierte mir zum "DOSB-Trainer des Jahres".

Wie haben Sie die Ehrung bei der DOSB-Mitgliederversammlung in Weimar erlebt?
Gedanken über meine Wertigkeit als Trainer oder Ehrungen lagen mir bisher fern. Aber als in der Laudatio die Erfolge vorgelesen wurden und sie einen Film über meine Arbeit gezeigt haben, wurden meine Knie ganz schön weich.

Welche Themen haben Sie in Ihrer Trainerkarriere besonders beschäftigt?
Eine wichtige Aufgabe war das Zusammenfügen der beiden deutschen Mannschaften nach der Wiedervereinigung. Diese Veränderungen betrafen die gesamte Struktur - u.a. wurde die neue Geschäftsstelle in Berchtesgaden angesiedelt und ich musste an den Königssee umziehen. Zu der Zeit hatten wir ein großes Potential an Leistungsträgern aus dem Osten und dem Westen. Es war sehr schwer und z.T. schmerzlich, die beiden Mannschaften auf eine zu verringern.

Wie haben Sie diese schwierige Aufgabe angepackt?
Mit der alten DDR-Mannschaft hatte ich schon von 1979 bis 1990 zusammengearbeitet - die kannte ich zur Genüge, und wir hatten keine Probleme. Schwieriger war die Situation der Westathleten: Sie standen von einem auf den anderen Tag in direkter Konkurrenz mit Leuten wie Wolfgang Hoppe und Harald Czudaj. Daher wollte ich bei der Vereinigung der Athleten von Anfang an Vorurteilen entgegenwirken und das Vertrauen der Athleten aus dem Westen gewinnen.

Wie haben Sie sich das Vertrauen der Athleten erworben?
In unserer Sportart geht es immer um Zeiten und die habe ich als Nominierungskriterium genommen. Wenn die Entscheidungen durch nachvollziehbare und transparente Kriterien zustande kommen, merken die Athleten, dass es allein um die Leistung und den Bobsport geht. Ich habe mich die ersten Jahre ganz strikt daran gehalten und da war es egal, ob ein Athlet vom Königssee, aus Winterberg, aus Altenberg oder Oberhof stammte. Es spielte auch keine Rollte, wieviel Medaillen einer vorher gewonnen hatte - der Schnellste sollte fahren. Durch diese Strategie ist das Vertrauen der Athleten zu mir und meinen Entscheidungen gewachsen.

Wieviele Athleten und Betreuer fahren mit der Nationalmannschaft zu den Weltcups?
In der Nationalmannschaft hat jeder Bereich - Herren-Bob, Damen-Bob, Skeleton - eine eigene Leitung. Den Skeleton-Bereich betreuen vier Personen, also zwei Trainer, ein Mechaniker und ein Physiotherapeut. Im Damen-Bob-Bereich arbeiten auch zwei Trainer, ein Mechaniker und ein Physiotherapeut. Und der etwas größere Herren-Bob-Bereich ist mit drei Trainern und je einem Physiotherapeuten, Arzt und Trainingswissenschaftler bestückt. Der Wissenschaftler zeichnet verantwortlich für die Video- und die Bahnauswertung. Im Weltcup fahren 14 Betreuer für die Gesamt-Mannschaft, zwölf Bob-Damen, 15 Bob-Herren und 8 Skeletonis mit. Insgesamt trage ich in der Zeit die Verantwortung für 46 bis 48 Personen.

Der deutsche Bobsport ist außerordentlich erfolgreich -  können wir auf diese Erfolge bauen?
Wenn man die Medaillenausbeute bei den Olympischen Spielen in Turin 2006 betrachtet - von drei Möglichkeiten haben wir alle gewonnen - trifft das zu. Aber wir sind ein relativ kleiner Verband und ich mache mir auch Sorgen um die Zukunft des Bobsports. Zur Zeit ist die rückläufige Tendenz im Nachwuchs unser größtes Problem. Wenn man den Fakten in die Augen sieht, hatten wir 1990 im A-Kader-Bereich sechs oder sieben Piloten an der Weltspitze. Jetzt kommen wir auf zwei oder drei Top-Piloten, die ganz vorne mitfahren können. Daneben gibt es sechs Piloten im B-C-Kader und vier bis fünf im D-C-Kader, die den Bobsport als Leistungssport betreiben. Bei den Herren kommen wir momentan lediglich auf 30 Athleten - es waren schon einmal 40. Bei den Damen sind nur elf und davon vier Pilotinnen.

Kennen Sie die Ursachen für diese rückläufige Entwicklung?
Im Bobsport haben wir u.a. spezielle strukturelle Probleme, die das Nachwachsen des Nachwuchses erschweren. Ein talentierter, junger Pilot fährt bis zum Alter von 26 im Bobsport als Junior. Bis zum Aufstieg in die Seniorenklasse braucht er Geduld. Wenn dieser Pilot lang genug durchgehalten hat, konkurriert er mit erfahrenen Weltklasseleuten, die selbst noch einige Jahre aktiv sein werden. Insofern haben wir auf Top-Niveau ein Luxusproblem, das junge ambitionierte Piloten möglicherweise verhungern lässt. Da ist es ganz schwer, die Motivation aufrechtzuerhalten.

Bekommen Sie genügend Anschieber und Bremser aus anderen Sportarten?Auch da ist es schwierig, neue Leute zu finden und das ist für mich nur logisch. Wenn die Leichtathletik kaum mehr 8000-Punkte-Zehnkämpfer oder 8-Meter-Springer hervorbringt, wird für uns die Auswahl an Personal auch dünner. Was ich nicht richtig verstehe, ist die Lage im Damen-Bobsport. Da spreche ich nicht mal von Pilotinnen, sondern von kräftigen, sportlichen Mädchen, die sich für Bobfahren interessieren. Noch warten wir auf eine Dame, die sich an den Bobsport heranwagt. Übrigens hätte diese Frau sehr gute Chancen innerhalb von zwei Jahren in die deutsche Olympiamannschaft zu kommen!

Gibt es Pläne, wie man den Nachwuchs gezielter an den Bobsport heranführen kann?
Aufgrund dieser abnehmenden Tendenz wollen wir verstärkt Pilotenentwicklung machen und neue Wege gehen. Wir denken z.B. an eine  Bobschule oder wollen Bremser zu Piloten ausbilden. Aber wir wollen auch neue Athleten für den Bobsport interessieren. Leider ist Bobfahren ein relativ aufwändiges Vergnügen. Z.B. kostet ein Helm 300 € und Startschuhe 180 €. Dazu kommt ein Gerät, das wir zur Verfügung stellen müssen, weil es für eine Privatperson nicht bezahlbar wäre.
Da für diese Pläne so gut wie kein Geld in der Verbandskasse vorhanden ist, soll das DOSB-Preisgeld als eine Starthilfe für die Kleinen, den Bobsport-Nachwuchs dienen.

2006 wurde die Traineroffensive des DOSB ins Leben gerufen. Darin geht es um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Anerkennung der Trainer. Zur Ihrer Situation als Bundestrainer möchten wir Ihnen gerne noch ein paar Fragen stellen:

Seit 1979 arbeiten Sie als Trainer im Bobsport. Auf welcher Grundlage haben Sie seit der Wiedervereinigung  gearbeitet?
Seit der Wiedervereinigung haben sich die Arbeitsbedingungen insofern geändert, als wir immer 1-Jahres-Verträge erhalten haben. Aus Sicht der Trainer geht es von Jahr zu Jahr um das eigene Überleben. Unter diesen Bedingungen ist eine längerfristige Planung erschwert, schließlich weiß man ja nicht "Geht's überhaupt weiter?"  Unsere Athleten und gerade die Nachwuchsarbeit erfordern aber eine planmässige, kontinuierliche Arbeit über mehrere Jahre. Für beide Parteien wären längerfristiger Verträge sinnvoll!


Wie gehen Sie mit der Verantwortung, die Sie als Bundestrainer für den Bobsport tragen, um?

Verantwortung als Bundestrainer zu tragen, bin ich gewohnt. In den 16 Jahren mit der gesamtdeutschen Nationalmannschaft musste ich lernen, auch unliebsame Entscheidungen zu treffen. Auch wenn man durch manche negative Entscheidungen sehr einsam wird, kommt man in der Position nicht darum herum. Als Bundestrainer erntet man mehr Kritik (für negative Entscheidungen) als Lob. Lob erhalten die Athleten, wenn sie erfolgreich sind. Ich möchte nicht unbedingt vorne stehen, aber meine Trainerkollegen und ich freuen uns über die Anerkennung unserer Arbeit. 


Sie wurden als "Trainer des Jahres" ausgezeichnet. Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung?

Ich habe immer gesagt, dass ich die Auszeichnung als Team-Leistung begreife. Als Bundestrainer ist man auf viele Mitarbeiter und das Funktionieren eines ganzen Teams angewiesen. Die Vorbereitung auf die einzelnen Saisonhöhepunkte oder die Wettkämpfe werden von den Stützpunkten organisiert. Unsere Heimtrainer leisten die Basisarbeit vor Ort und wenn alles Hand in Hand läuft, kann man Erfolge bei Weltcups, Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen abschöpfen. Deshalb schulde ich dem gesamten Team einen großen Dank.


Ein gutes Betreuer-Team trägt viel Verantwortung, steht aber im modernen Leistungssport oft im Hintergrund. Welche Verbesserungen wünschen Sie sich als Trainer?
Viele Trainer arbeiten rund um die Uhr, leben mit ihren Athleten und setzen sich persönlich ein. Leider werden nicht alle für ihren Einsatz durch die Erfolge ihrer Athleten belohnt. Im Vergleich zu vielen anderen Sportarten fühle ich mich in gewisser Weise privilegiert, denn im Bobsport gehören Ausnahme-Athleten seit Jahrzehnten zum Kader. Insgesamt verrichtet man im Trainerberuf viele Managementaufgaben, die eine größere Anerkennung und Wertschätzung und eine verbesserte Entlohnung verdienen. Ich hoffe, dass die Situation der Trainer in Deutschland durch die Traineroffensive und den Preis "Trainer des Jahres" aufgewertet werden kann. 

 


Die Autorin:
Eva Pfaff ist Diplom-Psychologin und DTB-A-Trainerin. Von 1980-1993 spielte sie
als Tennisprofi auf der WTA-Tour.

e-mail:  eva-pfaff(at)web.de
www.eva-pfaff.de

Quelle:    
Leistungssport, Ausgabe Nr. 2, 2007

oder:

Pfaff, E. & Bethge, R. (2007). "Beim Bobsport geht es um Kopf und Kragen". Leistungssport 37 (2), S. 50.