IOC-Präsident Rogge als IOF-Hauptredner: "Wenn der Sport an seinen Preis denkt, verliert er die Werte"

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Als Hauptredner des ersten "Internationalen Olympia-Forums" hat Jacques Rogge, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), am Dienstag in der Frankfurter Paulskirche über die Stellung des Sports in der modernen Gesellschaft gesprochen. Wir dokumentieren den Vortrag des belgischen Comtes, so wie er in der Ausgabe vom 28.09.2005 der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen ist. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung ist Medienpartner des IOF. Das Nationale Olympische Komitee für Deutschland, das Deutsche Olympische Institut und die Wirtschaftsinitiative Frankfurt RheinMain werden das Forum jährlich in Frankfurt ausrichten.

 

 

Die Gründung dieses Internationalen Olympia-Forums in Frankfurt zeugt von Weitsicht der Organisatoren. Der Austausch von Ideen und Meinungen zwischen verschiedenen Sparten der Wissenschaft und der Gesellschaft ist essentiell. Der Sport und die olympische Bewegung können nicht isoliert - "in splendid isolation" - handeln. Wir brauchen den Meinungsaustausch, damit wir uns immer wieder die richtigen Fragen stellen. Diesen Fragen stellen wir uns auch hier in der historischen Frankfurter Paulskirche, der "Wiege der deutschen Demokratie".

 

Wo steht der Sport zu Beginn dieses neuen Jahrtausends, und welche Bedeutung kommt einer der Kernaussagen der Olympischen Charta - "für eine friedlichere und bessere Welt" - zu?

 

Niemand wird bestreiten, daß der Sport in der heutigen Gesellschaft eine sehr wichtige Rolle spielt. Vier Erfolgsfaktoren tragen dazu bei: Volkssport und Spitzensport sind heute populärer denn je. 850 Millionen Menschen treiben in 202 Ländern Sport. Allein in der Europäischen Union gibt es über 700 000 Sportvereine.

 

Die Zuschauerzahlen wie beispielsweise bei den letzten Olympischen Spielen in Athen, die weltweit täglich von 3,9 Milliarden Menschen verfolgt wurden, steigen exponentiell.

 

Zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes in den Industrieländern entfallen auf den Sport. Der Sport kann auf große finanzielle Unterstützung zählen, namentlich die Einnahmen aus Fernsehrechten und von Top-Sponsoren.

 

Der Sport kann auch auf die Unterstützung der Regierungen zählen. Ohne solide gesetzliche Grundlagen ließe sich der Sport in den einzelnen Ländern nicht fördern und könnte den Auswüchsen in einigen Bereichen nicht Einhalt geboten werden.

 

Dies sind aus meiner Sicht die Erfolgsfaktoren des Sports. Es gäbe aber kein schlimmeres Versäumnis, als in Selbstzufriedenheit zu verfallen. Der Sport muß sich wichtigen Herausforderungen stellen. Das Internationale Olympische Komitee scheut sich nicht davor.

 

Als Grundproblem möchte ich eine Aussage in den Mittelpunkt meiner Ausführungen stellen: "Wenn der Sport an seinen Preis denkt, verliert er seine Werte." Diese Aussage gilt sowohl für das Individuum als auch für die Gesellschaft. Um jeden Preis gewinnen zu wollen führt unweigerlich auf Irrwege. Um jeden Preis das meiste aus seinem Sport herausholen zu wollen birgt Gefahren. Um jeden Preis das Prestige eines Sieges auszunützen schadet dem Sport. In der Vergangenheit wie auch heute widersteht der Sport diesen Versuchungen nicht immer. Ich will es gerne eingestehen, es ist nicht einfach, dagegen anzukämpfen, und es gibt schon gar nicht ein Wunderrezept dafür. Wir können und müssen uns aber auf die Grundwerte des Sports besinnen und uns gemeinsam für einen humanistischen Sport, gestützt auf wahre Werte, einsetzen. Die erzieherischen Werte des Sports müssen wieder die Oberhand gewinnen.

 

Wo liegen die größten Gefahren für den Sport? Die Liste ist lang: Doping, Gewalt, Rassismus, Korruption, Gesundheitsschäden, Entwürdigung, Egoismus und neuerdings auch Sportsöldner.

 

Wie können wir dagegen ankämpfen? Nehmen wir Doping als Beispiel. Während der Winterspiele in Salt Lake City 2002 haben wir mehr Dopingsünder gestellt als je zuvor in der Geschichte aller Winterspiele zusammen. Jede Überführung eines Dopingsünders betrachte ich als einen Erfolg. Wir haben heute präzise Regeln, einen Anti-Doping-Kodex, und auch die nötigen Instrumente, wie etwa die Welt-Anti-Doping-Agentur, um diese durchzusetzen. Wie beim Doping muß auch in den anderen Bereichen nach demselben Modell vorgegangen werden: klare Regeln und die dazu benötigten Mittel, um sie durchzusetzen. So hat das IOC einen Ethikkodex aufgestellt, der für seine Mitglieder, alle Nationalen Olympischen Komitees und auch die Internationalen Sportverbände, verbindlich ist. Eine unabhängige Kommission wacht mit Argusaugen über mögliche Verfehlungen, die dann auch geahndet werden. Dieses Rezept kann und muß in allen genannten Fällen umgesetzt werden, damit wir die Verstöße in den Griff bekommen.

 

Ohne irgend etwas beschönigen zu wollen, stelle ich dennoch fest, daß gerade die Olympischen Spiele in mehreren Bereichen als Vorbild gelten können. Gewalt und Rassismus haben die olympischen Stadien nicht erreicht. Das Fest der Jugend ist bisher immer ein Fest geblieben und hat seinen völkerverbindenden Charakter beibehalten.

 

Der Sport kann und muß zur Verminderung von Problemen wie der Armut, dem sozialen Gefälle zwischen Nord und Süd, der Benachteiligung von Frauen oder der Diskrepanz zwischen Spitzensport und Volkssport seinen Beitrag leisten. In den Industrieländern drohen mit der Konkurrenz anderer Freizeitbeschäftigungen - Stichwort Internet und Game-boy - der Bewegungsmangel und die damit verbundene Tendenz zum Übergewicht bei Jugendlichen.

 

Die olympische Bewegung ist heute universeller denn je, und Athleten aus allen Ländern der Welt wird die Teilnahme an den Spielen ermöglicht. Das IOC unterstützt durch die "Olympic Solidarty" jährlich mit vielen Millionen Euro die Sportbewegungen in aufstrebenden Ländern. Dies ist ein materieller Beitrag für eine friedlichere und bessere Welt.

 

Basisarbeit zur Friedensförderung ist aber vor allem die Weitergabe von Werten. Der Sport ist eine ideale Plattform, um die Jugend für Werte wie Fair play, Toleranz und Respekt zu sensibilisieren. Spitzenathleten kommt dabei eine wichtige Vorbildfunktion zu. Und was im Sport gilt, gilt auch im Leben oder im Verhältnis zwischen den Staaten.

 

Auch wenn ihr Wert vor allem symbolisch ist, trägt die "Olympische Waffenruhe" ("Olympic truce"), basierend auf den Spielen der Antike, ihren Teil zur Friedenssensibilisierung bei. Die Teilnahme aller Balkanstaaten an den Spielen 1992 in Barcelona, das gemeinsame Auftreten von Süd- und Nordkorea an den Eröffnungsfeiern von Sydney und Athen, sind Beispiele dafür. Gefahren wie dem Terrorismus, wie leider schon 1972 während der Spiele in München erlebt, sind und bleiben wir dennoch weiterhin ausgesetzt. Der Sicherheit gilt deshalb unsere oberste Priorität bei den Spielen.

 

Das IOC nimmt auch seine soziale Verantwortung wahr. Es unterstützt in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Paralympischen Komitee den Behindertensport; arbeitet mit UN-Organisationen in humanitären Aktionen zusammen und kämpft gemeinsam mit UN Aids gegen die Verbreitung des HI-Virus. Alle Olympiabewerbungen werden heute auch nach klaren Richtlinien auf ihre wirtschaftliche, soziale und umweltschonende Nachhaltigkeit geprüft.

 

Der Sport und die olympische Bewegung werden auch in Zukunft erfolgreich bleiben, wenn wir all diese Herausforderungen annehmen und vor allem die soziale wie auch die erzieherische Rolle des Sports, verkörpert durch die olympischen Werte, in den Vordergrund rücken. Und vergessen wir nicht: Die Olympischen Spiele bleiben weiterhin der Traum aller Sportler.


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