Judoka Thiele belohnt sich mit Silber

Die Silbermedaille in London ist für Kerstin Thiele, deren stärkste Gegner zuletzt immer wieder Verletzungen waren, wie ein persönlicher Olympiasieg.

Kerstin Thiele erkämpfte sich beim olympischen Judoturnier von London die Silbermedaille. Foto: picture-alliance
Kerstin Thiele erkämpfte sich beim olympischen Judoturnier von London die Silbermedaille. Foto: picture-alliance

Die 25-Jährige aus Leipzig unterlag im Finale Frankreichs Weltmeisterin Lucie Decosse und verpasste die Chance, zweite deutsche Judo-Olympiasiegerin nach Yvonne Bönisch zu werden, die 2004 in Athen gewonnen hatte. Auf dem Weg ins Finale hatte Thiele Chinas Jungstar Chen Fei, die niederländische Mitfavoritin Edith Bosch sowie die zweimalige Vize-Weltmeisterin Anett Meszaros aus Ungarn ausgeschaltet.

Ihre Betreuer hatten alles gegeben. Bundestrainer Michael Bazynski schrie sich die Seele aus dem Leib, Verbandschef Peter Frese knabberte seine Fingernägel kaputt. Sie trauten ihren Augen kaum - einen Tag nach der nicht unerwarteten Silbermedaille durch Ole Bischof kämpfte die 25-Jährige im perfekten Moment das Turnier ihres Lebens.

"Das hier kam nicht ganz unüberraschend. Kerstin kann alles", sagte Bundestrainer Bazynski über Thiele, die lange sein Sorgenkind gewesen war: "Sie hatte so viele Verletzungen, musste einfach mal über längere Zeit gesund bleiben."

Schon nach dem Halbfinale hatte es Thiele nicht mitansehen können, die Anspannung zerriss sie fast, als die Kampfrichter ihre Entscheidung fällten. Sie blickte zu Boden, und die weiße Fahne ging hoch - ihre Fahne! Thiele, die sonst so standhafte Judoka, haute das fast aus den Socken. Sie brach in Tränen aus, raufte sich die langen blonden Haare, die danach wie wild von ihrem Kopf abstanden. Michael Bazynski, ihr deutlich entspannterer Trainer, musste sie an der Hand halten und von der Matte wegführen.

Dabei war Thieles Olympia-Traum eigentlich schon geplatzt. Sie hatte es versäumt, sich direkt zu qualifizieren, erhielt aber dennoch den Vorzug vor der Berlinerin Iljana Marzok, obwohl diese in der Weltrangliste besser platziert und auf der europäischen Nachrückerliste als erste Deutsche geführt war. Nach Platz fünf beim Grand Prix in Düsseldorf im Februar sah Bazynski jedoch in Thiele das größere Potenzial.

Vier Jahre nach ihrer ersten EM-Medaille, Bronze bei der EM in Lissabon, kam Thiele dennoch als krasse Außenseiterin nach London. Doch nicht ein Hauch davon war auf der Matte zu sehen. Thiele trat in allen Kämpfen selbstbewusst auf, wie eine Favoritin, nicht wie ein Lehrling. Sie beherrschte die Ozeanien-Meisterin Moira de Villiers (Neuseeland), danach schaltete sie die wesentlich höher eingeschätzte Vize-Weltmeisterin Anett Meszaros (Ungarn) aus.

Dass es ihr Tag werden könnte, wurde Thiele spätestens im Viertelfinale klar. Gegen die niederländische Mitfavoritin Edith Bosch, die Vize-Weltmeisterin und Olympiadritte von Peking, gelang Thiele zur Kampfmitte eine mittlere Wertung, die sie souverän über die Zeit brachte.

Im Halbfinale brach dann das Gefühlschaos über Thiele hinein. Gegen die junge Chinesin Chen Fei durchlebte sie eine Achterbahnfahrt zwischen Wut und Mut, Schmerz und Jubel. Die Chinesin hatte Thiele höchst unangenehm im Gesicht erwischt, die Deutsche krümmte sich auf der Matte. Ein packender Fight, in dem niemand punktete. Dann kam die Kampfrichter-Entscheidung. Silber war gesichert - zu Gold reichte es nicht.

(Quelle: SID)


  • Kerstin Thiele erkämpfte sich beim olympischen Judoturnier von London die Silbermedaille. Foto: picture-alliance
    Kerstin Thiele erkämpfte sich beim olympischen Judoturnier von London die Silbermedaille. Foto: picture-alliance