Jugendstil im Wesselinger Ulrike-Meyfarth-Stadion

Der Zweite Teil der Serie Stars und ihre Vereine: Trotz eisiger Kälte übt ein Dutzend Athleten im Ulrike-Meyfarth-Stadion eifrig Starts. Aus der Hocke heraus und ohne Startblock wird immer wieder losgesprintet.

Ein großer Scheinwerfer kämpft tapfer gegen die Finsternis ringsum. Etwas mehr Flutlicht stört die Anwohner in der unmittelbaren Nachbarschaft des Stadions, „das wahrscheinlich als einziges in ganz Deutschland nach einer Frau benannt ist“, wie Hausmeister Klaus Fendel anmerkt. Eiseskälte und früh einbrechende Dunkelheit können die Leichtathleten des Turn- und Sport-Vereins (TuS) Wesseling nicht schrecken. Die Arena mit 400-Meter-Tartanbahn und vorbildlich gepflegtem Rasen kennt keinerlei Verschnaufpausen. Nicht einmal am Sonntagvormittag, wenn das Schmuckstück in dem rund 32.000 Einwohner zählenden Städtchen direkt am Rheinufer zwischen Köln und Bonn regelmäßig zum „Sport für jedermann“ einlädt. 

Die jungen Leute, die im Halbdunkel mit vielen kurzen schnellen Stakkato-Schritten Tempo gewinnen, verkörpern den „Jugendstil“ der Leichtathleten in dem rund 1700 Mitglieder zählenden Verein mit seinen zwölf Sparten von Badminton bis Volleyball. Die da soeben bei Minusgraden schwitzen, heißen zum Beispiel Franziska Glasenapp, Mandy Kleimann (beide 18), Gianna Pezzola, Daniela Huthmacher (beide 19), Janina Gregor (23) und David Scheid (20). Selber rennend, werfend und springend aktiv, sind dieselben jungen Leute als Übungsleiter für die anderen 215 Mitglieder der Abteilung engagiert. Unter den knapp zehn Trainern und Betreuern stellen Teenager und Twens eine überwältigende Mehrheit. Janina, Gianna und Daniela zum Beispiel kümmern sich gemeinsam um die mehr als 50 Kids im Alter zwischen zwei und sieben Jahren. „Allein könnte man das ja gar nicht leisten“, sagt Janina Gregor. Sie war als Sechsjährige zum TuS gestoßen, hat an der Sporthochschule in Köln inzwischen ihr Studium erfolgreich beendet und arbeitet nun zuhause in Wesseling am Gymnasium als Sportlehrerin.

Generation junger Trainer als Erfolgsgarant

Damit hat sie beste Voraussetzungen, um noch viele Jahre für den sportlichen Nachwuchs am Ort zu wirken. Gianna möchte denselben Weg einschlagen und auch für alle anderen jungen Übungsleiter ist das längerfristige Engagement beim TuS eine ausgemachte Sache. Abteilungs-leiter Reiner Brackmann bieten sich ob seiner jungen Truppe und ihres Zusammenhalts prächtige Perspektiven. Diese Kontinuität ist dem 47-Jährigen wichtig. „Wenn der Verein in Trainerlizenzen investiert, dann hat er natürlich ein Interesse daran, dass diese Leute anschließend möglichst lange an Bord bleiben und nicht wegen 50 Euro mehr zum Nachbarverein wechseln.“

Eine Gefahr, die bei den Wesselingern äußerst gering ist. „Wenn man so lange bei seinem Verein ist, dann kommt dieses Verantwortungsgefühl und diese Verbundenheit automatisch. Dann wächst man da rein. Außerdem pushen wir uns gegenseitig“, verweisen Franziska Glasenapp und Daniela Huthmacher auf einen Umstand, der für Günter Nett einen der Erfolgsgaranten darstellt. Immer wieder fähige und qualifizierte Trainer und Übungsleiter aus den eigenen Reihen zu gewinnen, das gehört für den 69-Jährigen, der seit fast 40 Jahren die Geschicke der TuS-Leichtathleten lenkt, zu den wichtigsten Anliegen. Als Lehrer bzw. Schulleiter konnte er jahrelang an exponierter Stelle wirken und bei seinen „Pappenheimern“ oft frühzeitig die Weichen stellen. „Soweit ich mich erinnern kann, hatten wir hier nie einen fremden Trainer“, sagt Nett und verweist gemeinsam mit Brackmann auf die Vorteile solcherlei Personalpolitik. Durch diese Art des „Jugendstils“ sei die Identifikation und Motivation der Kinder und Jugendlichen im TuS-Trikot größer. Außerdem sprächen gerade die jungen Betreuer viel besser die Sprache der Jugend. Überdies glänzen sie mit innovativen Ideen.

„Hochsprung mit Musik“ und mit dem Vereins-Idol als Stargast

Auf die Initiative der aktuellen Übungsleiter-Generation geht beispielsweise zurück, dass die Veranstaltung „Hochsprung mit Musik“ nach vielen Jahren der Unterbrechung seit 2005 eine Renaissance erlebte. Bei dieser Gelegenheit, wenn von den Zehnjährigen bis zu den A-Jugendlichen alle ihre hochspringerischen Fähigkeiten zeigen und sich nebenbei auch die Kleinsten sportlich betätigen, haben sämtlich TuS-Akteure stets auch die Chance der ganz persönlichen Begegnung mit ihrem Idol. Dreimal war Ulrike Nasse-Meyfahrt als Stargast erschienen und hatte Erinnerungen an ihren Olympiasieg von 1972 geweckt. Als 16-Jährige und Mitglied des TuS Wesseling hatte der Schützling von Trainer Günter Janitz damals die Weltrekord-Höhe von 1,92 Meter gemeistert und für eine sportliche Sensation gesorgt. Anschließend führte sie ihr Weg über den ASV Köln zum TSV Bayer 04 Leverkusen, zu zwei weiteren Weltrekorden (2,02 im Jahr 1982 und 2,03 im Jahr 1983) sowie zu ihrem zweiten Olympiasieg 1984.

Bis heute Sternstunden für den kleinen Verein, dessen Aushängeschilder von heute sich regelmäßig für deutsche Meisterschaften qualifizieren. „Ich stamme aus Wesseling, hatte dort als Schülerin kurze Wege und gute Bedingungen. Es gab für mich keinen Grund zu wechseln und der Olympiasieg für den Verein war ja gar nicht absehbar. Der ist mir damals in den Schoß gefallen“, erinnert sich die 52-Jährige an ihren Coup von München. Heute arbeitet sie in der Leichtathletikabteilung des TSV Bayer Leverkusen.

Durch ihren ersten Olympiasieg habe der schon seinerzeit rührige TuS Wesseling innerhalb der Stadt „noch einen zusätzlichen Schub bekommen“, sagt Günter Nett im Rückblick und freut sich, dass dieser Impuls bis heute vorhält. Das Verhältnis zu den Verantwortlichen im Rathaus sei seit jeher glänzend, bestätigt Silke Barelmann, die sportliche Leiterin beim TuS Wesseling. Deutlich illustriert  wurde dies, als die 2004 in „Ulrike-Meyfahrt-Stadion“ umbenannte Arena aus dem Jahr 1952 um die Jahrtausendwende dank kommunaler Investitionen eine gründliche Modernisierung erfuhr. Eine Tartanbahn löste die alte Aschenbahn ab und das alte ebenerdige Vereinsgebäude wurde um eine Etage mit modernen Umkleide- und Sanitärräumen erweitert. Im vorigen Jahr spendierte die Stadt eine elektronische Anzeigetafel. Im Kraftraum im Keller indes blieb bis heute alles beim Alten.

„Wir freuen uns schon auf die WM in Berlin“

Den insgesamt guten äußeren Bedingungen für die TuS-Leichtathleten tut der ältliche Keller keinen Abbruch. Zu den großen Pluspunkten zählt ebenfalls das Engagement der Eltern. Bereits 16 von ihnen haben sich zu offiziell lizenzierten Kampfrichtern ausbilden lassen. Wenn es gilt, Wettkämpfe zu organisieren, ist auf einen Stamm von mindestens 50 Helfern stets Verlass. Das eingespielte Team wird sich 2009 bei gleich Kreismeisterschaften sowie dem traditionellen Schülersportfest und dem Grundschul-Cup gleich fünf Mal beweisen dürfen. Fertig organisiert ist bereits eine Reise zu den Leichtathletik-Weltmeisterschaften im August. Von den Fahrkarten über Tickets und Übernachtungen hat Gabriel Michels bereits alles gebucht. „Insgesamt werden von uns 29 Personen dabei sein. Wir freuen uns schon auf die WM in Berlin“, sagt der 24-Jährige, der - natürlich - ebenfalls als Übungsleiter für die mehr als 200 Kinder und Jugendlichen der Sparte tätig ist.

Die Vorschulkinder finden traditionell über das Turnen und das Schwimmen und „Mund-zu-Mund-Propaganda“ in der Stadt zu den Nachfahren von Ulrike Nasse-Meyfahrt. Schulkinder entdecken den TuS seit 2006 zunehmend über einen speziellen Wettkampf, bei dem die Kids aus den sieben Wesselinger Grundschulen jeweils im September um die Wette rennen, weitspringen und den Schlagball werfen. Allein im vergangenen Jahr beteiligten sich 738 Kinder. Zu den Neuerungen gehören ebenfalls Camps, in denen der Nachwuchs nach Altersklassen gestaffelt in den nahen Niederlanden oder im Münsterland Training und Freizeitvergnügen miteinander kombiniert - städtische Zuschüsse inklusive. Eine WM in Wesseling unter dem Arbeitstitel „Wesseling-Meisterschaften“ als internationaler Vergleich des leichtathletischen Nachwuchses aus allen vier Partnerstädten indes ist noch Zukunftsmusik. Geradezu visionär mutet eine weitere Idee aus der Leichtathletik-Abteilung an. Unmittelbar neben dem „Ulrike-Meyfahrt-Stadion“ wäre doch noch Platz für eine überdachte Halle, wie sie vor allem die Werfer in der kalten Jahreszeit nutzen könnten. Diese Vorstellung hat für Reiner Brackmann und seine junge Truppe etwas Traumhaftes. „So eine Halle fehlt hier leider und bei den vorhandenen kann es schnell mal passieren, dass sie wegen des Karnevals sechs Wochen lang nicht zur Verfügung stehen.“