Der Sportentwicklungsbericht (SEB), den der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) in Kooperation mit allen Landessportbünden und dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) vorgelegt hat und dessen wichtigste Ergebnisse in der DOSB-PRESSE in einer neunteiligen Serie zusammenfassend dargestellt wurden, gilt als etabliertes Instrumentarium für die Sportvereinsentwicklung hierzulande. Für die jüngste SEB-Ausgabe wurden 20.546 Sportvereine befragt. Die Ergebnisse werden wiederum in zwei Bänden mit insgesamt 1.350 Seiten vorgelegt. Und es gibt diesmal sogar noch ein Novum:
Zum Kapitel mit weiterführenden Strukturanalysen in Band II gehören nämlich erstmals spezielle Erhebungen zur Situation der Kampf- und Schiedsrichter in sechs ausgewählten Sportarten und mit dem Schwerpunkt Fußball. Der SEB widmet sich damit einer existenziellen Sozialfigur des organisierten Wettkampfsports: Ohne Kampfrichter kein Wettkampf! Ohne Schiedsrichter kein Spiel! Vereine und Verbände wissen längst ein („mehrstimmiges“) Lied davon zu singen, wie schwierig es ist, geeignetes Personal zur Aufrechterhaltung bzw. zur Ausweitung des Spiel- und Wettkampfbetriebs gezielt zu rekrutieren, angemessen auszubilden, beständig zu fördern und möglichst langfristig zu binden. Diese sozialen Talente sind schließlich genauso wichtig wie die sportlichen. Sind sie das wirklich?
Der SEB hält nun erstmals belastbare Daten über Kampf- und Schiedsrichter bereit, die es in dieser empirischen Form in der langen Geschichte der Sportvereinsbefragungen in Deutschland (von Lenk und Schlagenhauf/Timm über Rittner bis Heinemann und Emrich etc.) so noch nicht gegeben hat: Dass das Schiedsrichterwesen speziell im Fußball mit 95 % und in den anderen Sportarten mit 77,8 Prozent (leider) immer noch eine Männerdomäne darstellt, mag man als ein ebenso unbefriedigendes wie wenig überraschendes Ergebnis zur Kenntnis nehmen. Positiv gewendet heißt das aber: Im weiblichen Bereich liegt großes Potenzial! Dazu passt der Befund, dass den Befragten ganz offensichtlich diese ihre Tätigkeit (nämlich: entscheiden!) große Freude bereitet, dass sie gern in dieser ihrer Funktion mit anderen zusammenkommen, die ihnen sympathisch sind, weil sie diese Passion zur ihrer Sportart teilen – mehr noch: Schiedsrichter haben eine deutlich höhere Anzahl an engen Freunden als ein durchschnittlicher Deutscher. So steht es etwa auf Seite 417 im SEB.
Die Übernahme einer Kampf- oder Schiedsrichtertätigkeit hat aber auch etwas mit der (engen) Beziehung zum Verein zu tun, dem die Kampf- und Schiedsrichter angehören. Jedenfalls wurde bei der Befragung der höchste Zustimmungswert bei der Aussage erzielt: „Ich fühle mich mit dem Verein verbunden“. Mit der Abteilung, mit den Mannschaften, mit den Menschen, mit denen ich diese Sportart selbst betrieben habe bzw. heute immer noch betreibe, möchte man ergänzen und als das sozial-ökologische Umfeld bezeichnen, auf dem die Karrieren im Kampf- und Schieds-richterwesen pädagogisch wachsen können.
Fazit: Der SEB kann das Kampf- und Schiedsrichterwesen in den Vereinen und Verbänden allein nicht zukunftssicher reformieren, aber sein Datenmaterial kann das Problem sichtbar machen. Auf der Grundlage seiner Befunde kann nach geeigneten Lösungen gesucht werden. Die wiederum müssen von der Intention geprägt sein, das wichtige Wirken dieser sensiblen Sozialfigur (wieder) attraktiver zu machen. Dabei sind so oder so gute Ideen gefragt. Und gute Ideen lassen sich bekanntlich permanent durch noch bessere ersetzen. Die Daten des neuen SEB sind ein Anstoß dafür!
(Quelle: Prof. Detlef Kuhlmann)
In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier als DOSB-Blog veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.