Kinder und Jugendliche haben keine Lobby

 

„Wer an der Jugend spart, spart an der Zukunft.“ Ein Satz, der häufig in Sonntagsreden von Politikern und Funktionären zu

hören ist. Doch diesmal stand der Satz nicht als Phrase in einem Manuskript, sondern in großen Lettern in der Mitte einer Anzeige des Landesjugendrings Berlin, die in Tageszeitungen geschaltet wurde. Nach dem Motto: An die eigenen Worte erinnern, wollten die Initiatoren den hehren Anspruch und die politische Realität in der Jugendpolitik deutlich machen.

Viele Prominente, darunter etwa Herthas Manager Dieter Hoeneß und der Ex-Spieler Michael Preetz, die ehemalige Jugend-Senatorin Hanna Renate Laurien, der Schauspieler Wolfgang Völz oder die Schriftstellerin Leonie Ossowski unterstützten mit ihrer Unterschrift den Protest von Jugendorganisationen, denen durch Kürzungen mittlerweile die Arbeit schwer, wenn nicht unmöglich gemacht wird. In der Hauptstadt, so befürchtet der Vorsitzende des Landesjugendrings, Heiko Kleyböcker, werden 2004/2005 wahrscheinlich die Hälfte der 450 Berliner Jugendfreizeiteinrichtungen schließen müssen. Der Trend, Mittel zu kürzen, hält in Berlin schon seit den 90er Jahren an. Landesjugendring-Geschäfts-führer Gregor Ziese-Henatsch sieht in den neuerlichen Rotstift-Aktionen eine „globale Weichenstellung“. Öffentlich inserierte Gegenwehr als letztes Mittel, um wach zu rütteln? Wen? Entscheidungsträger? Bürger, die gleichzeitig Eltern und Großeltern sind? Versuche, Jugend- und Kindereinrichtungen oder Frauen-, Kultur- und Sportprojekte zu retten, gibt es auch anderswo. Ohne großen Erfolg.

Wer die Klagen des Deutschen Städte- und Gemeindebundes hört, der resigniert: Wer will denn aus leeren Kassen etwas fordern? Aber wie sind die politischen Prioritäten? Diejenigen, die eine Lobby unter den Entscheidungsträgern haben, werden nach wie vor bedient. Aber Kinder und Jugendliche haben keine Lobbyisten. Auch wenn Politiker selbst Nachwuchs haben, entscheiden sie in den meisten Fällen nicht für den Spielplatz, sondern für die neue Asphaltdecke der Hauptstraße.

Alle jammern über ein schlechtes Bildungssystem, Lehrstellenmangel und wachsende Jugendarbeitslosigkeit und die damit zusammenhängenden Probleme wie Werteverfall, Kinder- und Jugendarmut sowie eine wachsende Zahl obdachloser Straßenkinder. Und ausgerechnet dann werden Jugendclubs und Betreuungsprogramme wie Personal gekürzt?

Auch im Kinder- und Jugendsport haben Schulen, Vereine und andere Betreuungseinrichtungen mehr und mehr zu kämpfen: Sporthallen und- anlagen verfallen und werden aus Sicherheitsgründen geschlossen, Kooperationsangebote zwischen Schule und Verein werden mangels Masse in der Kasse gestrichen. „Seit unser Jugendclub, wo wir Tischtennis- und Basketball gespielt haben, aber auch manchmal eine Disco organisierten und mal Diskussionsveranstaltungen über unsere Probleme hatten, geschlossen ist, hängen wir alle nur noch frustriert herum. Unser Treffpunkt war so was wie ein Zufluchtsort. In unserem Kaff ist nichts los, ich habe trotz gutem Realschulabschluss und vieler Bewerbungen seit zwei Jahren immer noch keine Lehrstelle. Wie mir geht es vielen hier. Ich habe keine Perspektive: Es bleibt mir eigentlich nur der Griff zur Flasche oder zum Strick, aber ich will nicht aufgeben. Unterstützt uns doch und gebt uns unseren Treffpunkt zurück.“ Dies schrieb ein junger Mann in seiner Heimatzeitung im letzten Jahr. Er hatte Glück: Ein kleines Unternehmen hatte ein Herz für den Jugendlichen. Der Leserbriefschreiber bekam eine Lehrstelle und sein Jugendzentrum zurück.

„Ich investiere so auch in meine Zukunft - und habe mir ein bisschen eigene Jugend zurückgeholt“, wurde der Firmeninhaber nach seiner guten Tat zitiert. Ungewöhnliche Zeiten erfordern offensichtlich ungewöhnliche Mittel, wie auch die Berliner Anzeigen- Aktion zeigt. Und immer mehr Bürger und Bürgerinnen in Deutschland scheinen zu erkennen, dass es Zeit ist, sich für Schwächere einzusetzen, für menschliche und gesellschaftliche Wertvorstellungen auch öffentlich Farbe zu bekennen. Kinder- und Jugendliche werden es ihnen danken.