Kindliche Lernmaschinen als Erziehungsideal / „Bildung neu denken“ – ohne Bewegung, Spiel und Sport

Vor einigen Wochen geisterten die Ergebnisse einer Studie mit dem Titel „Bildung neu denken“ durch die Gazetten.

 

Herausgeber ist die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. Über 70 ausgewählte Experten aus den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft und Bildungspraxis hätten an der Studie mitgewirkt, heißt es. Sie erklären das deutsche Schul- und Bildungssystem für gescheitert. Ihre Vorschläge zur Reform sind radikal: Einschulung mit 4, Abitur mit 17, pauken in den Ferien, keine Zeugnisse und dafür permanente Bewertungen der Leistungen von Schülern und Lehrern, völliger Umbau (bzw. Abbau) der Lehrerbildung und –besoldung; um nur einige der „Visionen“ der Reformer zu nennen.

 

Angesichts des desolaten Zustands des deutschen Bildungswesens ist es richtig, dass auch radikale Vorschläge gemacht werden, um ein notwendiges Umdenken in Fragen von Bildung und Erziehung einzuleiten. Niemand bestreitet, dass in unseren Schulen und Hochschulen das Lernen und Studieren effektiver, leistungsorientierter und insgesamt moderner organisiert werden muss. Schülern und Lehrern muss mehr abverlangt werden, aber auch Eltern müssen in den Reformprozess einbezogen werden. Und nicht zuletzt sind die Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitiker gefragt, wenn unsere Schulen erfolgreicher und leistungsfähiger werden sollen.

 

Die Studie zeigt aber auch, dass Vorsicht geboten ist: Nicht alles, was von Bildungsexperten kommt, tut unseren Kindern gut – und um die geht es letztlich, wenn über Bildung und Bildungsreform gesprochen wird. „Sport tut Deutschland gut“, lautet das Motto der Gesellschaftskampagne des Deutschen Sportbundes. Und zwar vor allem deshalb, weil Bewegung, Spiel und Sport unseren Kindern nicht nur gut tut, sondern weil sie dies für ein gesundes Aufwachsen und Lernen in der Schule und außerhalb der Schule brauchen; genauso wie eine angemessenen Ernährung, Versorgung und Liebe im Elternhaus, in Kindergarten und Schule. Der Wert von ausreichender Bewegung und motorischer Ausbildung sowohl für die ganzheitliche Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen als auch für geistige, soziale und emotionale Lernleistungen ist wissenschaftlich klar erwiesen.

 

Von all dem ist in der Studie „Bildung neu denken“ nichts zu lesen, weder von Liebe und Fürsorge für das Kind noch von Bewegung, Spiel und Sport. Kinder werden zu Lernmaschinen degradiert, die möglichst schnell und effizient „beschult“ und dann in den (nicht vorhandenen) Arbeitsmarkt eingespurt werden sollen. Kein Wort, kein Gedanke über die Tatsache, dass das Kind ein menschliches Wesen mit Leib und Seele ist; keine Zeile über Bewegung und „bewegte Schulen“; nichts über die Sorgen und Probleme der Kinder und Jugendlichen von heute, die auch damit zu tun haben, dass ihre soziale und emotionale Reife nicht mit dem von ihnen verlangten kognitiven Lerntempo Schritt halten kann. Sportliche Spiele, Übungen und Wettkämpfe bieten Möglichkeiten, diese Lücken zu schließen. Die Mehrzahl unserer Kinder und Jugendlichen gehen deshalb gern in den Sportunterricht an ihren Schulen und nehmen die Angebote des außerunterrichtlichen Sports, aber auch und vor allem des Sports in den Vereinen mit großer Begeisterung wahr, weil sie hier „Mensch sein“ dürfen und nicht nur intellektuelle Lernmaschinen sein müssen.

 

Wenn man nachschaut, wer an wissenschaftlich verantwortlicher Stelle diese kinderfeindliche Studie „Bildung neu denken“ verantwortete, muss man sich nicht wundern. Prof. Dieter Lenzen von der Freien Universität Berlin. Den Lesern der Zeitschrift „sportunterricht“ ist er wohl bekannt, weil er als einer der anscheinend führenden Erziehungswissenschaftler in Deutschland nachdrücklich für eine Abschaffung des Sportunterrichts an den Schulen eintrat. Heute ist er Präsident der FU Berlin. Sportstudentinnen und Sportstudenten gibt es da nicht. Das Sportinstitut an der FU wurde schon vor Beginn der Amtszeit Lenzens abgewickelt.