Krankheit als Chance?

Der Wert des Lebens und die Werte des Sports im Zeichen der Pandemie zeigt Autor Andreas Höfer auf.

Ein Plädoyer für die olympischen Werte in Krisenzeiten. Foto: picture-alliance
Ein Plädoyer für die olympischen Werte in Krisenzeiten. Foto: picture-alliance

Wenn ein Annus horribilis zu Ende ist, müsste man mit Erleichterung, gerne auch mit Zuversicht nach vorne blicken. Misslich nur, dass sich der Lauf der Dinge nicht an einem kalendarischen Konstrukt ausrichtet. Von daher wäre wohl ein „eigentlich“ hinzuzufügen. Allzu sehr schmerzen die noch offenen Wunden und die Gefahr neuer Verletzungen ist alles andere als gebannt. Immerhin scheint ein Weg der Heilung vorgezeichnet, auch wenn sich dieser offenbar mit vielen Hürden und noch mehr Fragezeichen verbindet. Bei allem Respekt vor gesunder Skepsis gegen-über esoterischen Gedankenspielen, mag man sich - frei nach Rüdiger Dahlkes 2014 erschie-nenen Bestseller - gleichwohl fragen, ob die „Krankheit“, oder sagen wir Krise, auch „als Chance“ begriffen oder gar genutzt werden kann. So gesehen wäre, ohne zynisch erscheinen zu wollen, die Frage aufzuwerfen, ob der schlimmsten Pandemie seit 100 Jahren trotz oder gerade wegen ihrer gravierenden Implikationen auf längere Sicht auch etwas Positives abzugewinnen ist.

Zumindest dies ließe sich sagen, nämlich, dass uns auf höchst schmerzliche und damit eindringliche Weise die Bedeutung und die Fragilität der Determinanten unserer menschlichen Existenz vor Augen geführt werden. Da wäre zunächst der Wert des Lebens an sich und die Erkenntnis, dass wir dieses nicht nur dann zu schätzen und zu schützen wissen sollten, wenn es in Gefahr ist. Ist in diesem Kontext der gedankliche Weg zur Gesundheit ganz kurz, ist auch der zur Freiheit nicht weit. Und wenn wir diese wie jene als ein genuines Menschenrecht betrachten, dann sollte das Bewusstsein greifen, dass Selbiges nicht vom Himmel fällt. Gesundheit wie Freiheit „funktionieren“ vielmehr nur, wenn wir Verantwortung übernehmen und zwar nicht allein für uns. Denn unsere Gesundheit und unsere Freiheit ist auch die Gesundheit und die Freiheit der anderen sowie es auch umgekehrt der Fall ist. Schließlich sind und bleiben wir soziale Wesen und aufeinander angewiesen.

Schon von daher sind Fairness, Respekt und gegenseitige Achtung Gebote der Vernunft und kein gefühliger Luxus, den man sich bei Lust und Laune leisten mag. Schließlich entspricht es unserem ureigenen Interesse, wenn wir Gesellschaft als ein „Wesen“ verstehen, bei dem „gemein“ nicht für Bösartigkeit, sondern für Verbindendes steht, für den Konsens einer humanen Gemeinschaft, die sich durch geschriebene und ungeschriebene Gesetze und Regeln, kurz durch eine Moral definiert, die natürlich hinterfragt und diskutiert werden kann und darf, aber als verbindlicher Rahmen für kollektives und individuelles Handeln gelten muss. Insofern kann der Sport zwar nicht als Allheilmittel, aber doch als ein Beispiel für einen Kosmos dienen, in dem das je persönliche Bestreben sowie die Fehlbarkeit des Menschen in einem gleichsam gemeinnützigen Koordinatensystem aufgefangen wird.

Wenn uns das Übel des Virus also eine Lehre sein kann, dann könnte sich der Gedanke in einem Plädoyer für eine Offensive im Sinne der, sagen wir, olympischen Werte manifestieren, die jenseits aller akut drängenden Fragen und Probleme im organisierten Sport Platz greifen und von dort in die Gesellschaft hineingetragen werden sollte. Dies wäre ein Impfstoff, den wir uns selbst verabreichen können und dessen Wirksamkeit garantiert ist.

(Autor: Andreas Höfer)

In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.


  • Ein Plädoyer für die olympischen Werte in Krisenzeiten. Foto: picture-alliance
    Läufer trägt eine Fackel mit dem Olympischen Feuer, Im Hintergrund die griechische, olympische und japanische Flaggen Foto: picture-alliance