"Lass die Finger von dem Stoff" - NOK-Präsident Dr. Klaus Steinbach im Kicker-Interview zum Thema Anti-Doping

Foto: Dr. Klaus Steinbach
Foto: Dr. Klaus Steinbach

In einem aktuellen Interview des Kicker-Sportmagazins (Ausgabe 14.10.) hat NOK-Präsident Dr. Klaus Steinbach zu aktuellen Fragen der Dopingbekämpfung Stellung genommen. Nachstehend das Interview im Wortlaut:

 

Zwei Dopingaffären erschüttern den deutschen Sport. Der Springreiter-Equipe droht der Verlust der in Athen errungenen Goldmedaille, weil bei Ludger Beerbaums Pferd Goldfever Rückstände einer kortisonhaltigen Salbe gefunden wurde. Gegen Leichtathletik-Trainer Thomas Springstein (Magdeburg) ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf versuchte Körperverletzung im Zusammenhang mit der Weitergabe verbotener Substanzen an jugendliche Sportler. Fragen dazu an den Arzt Dr. Klaus Steinbach (51), Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK).

 

Kicker: Wodurch unterscheidet sich der Fall Springstein vom Fall Beerbaum, Herr Dr. Steinbach?

 

Dr. Klaus Steinbach: Sie sind so unterschiedlich, dass sie beinahe nichts miteinander zu tun haben. Ludger Beerbaums Situation zeigt auf, dass die Behandlung von Pferden das Problem hervorgerufen hat – eine Behandlung, die nicht eine Leistungssteigerung provozieren, sondern Trainingsblessuren lindern sollte. Wir sprechen hier von Restsubstanzen aus vorheriger Versorgung, die in siebter oder achter Stelle nach dem Komma noch nachweisbar sind. Von einer Versorgung, die notwendig war. Das ist mit Ermittlungen einer Staatsanwaltschaft nicht auf eine Stufe zu stellen.

 

Kicker: Wie im Falle Springstein.

 

Steinbach: Während ich bei Beerbaum kein klassisches Doping zur Leistungssteigerung erkennen kann, handelt es sich hier um eine ganz andere Situation. Grundsätzlich jedoch gilt für beide Fälle zunächst die Unschuldsvermutung bei Herrn Springstein sind zudem die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Magdeburg, respektive ein mögliches Gerichtsverfahren abzuwarten. Der Vorwurf gegen Springstein ist zweifellos schwerwiegender als der gegen Beerbaum. Es geht hier um ethisch-moralische Dimensionen des Sports, die möglicherweise die Grenze zum Strafrecht überschritten haben.

 

Kicker: Selbst wenn Springstein, wie behauptet, die gefundenen Mittel nur zum Eigengebrauch nutzte – ist ein solcher Mann als Trainer, als Vorbild, nicht unzumutbar?

 

Steinbach: Ähnlich wie Springstein hat ja auch der Trainer von Kenteris und Thanou, Christos Tzekos , argumentiert. Ich frage mich, wozu ein Mann in seinem Alter (Springstein ist 47, die Red.) solche Substanzen benötigt.

 

Kicker: Das NOK steckt viel Geld in die NADA, die nationale Anti-Doping-Agentur – wie viel und mit welcher Absicht?

 

Steinbach: Es geht um rund 400.000 Euro jährlich, die zu je einem Drittel von Sporthilfe, Deutschem Sportbund und NOK aufgebracht werden. Uns liegt daran, dass in möglichst hoher Frequenz in Deutschland Trainings- und Wettkampfkontrollen durchgeführt werden können. Wir sind hier im internationalen Vergleich wirklich vorbildlich.

 

Kicker: Mit welchem Erfolg?

 

Steinbach: Dass wir bei hoher Kontrolldichte extrem wenig positive Fälle haben. Die in den Statistiken vermerkten Fälle in Deutschland betreffen zumeist ausländische Sportler bei internationalen Wettkämpfen in Deutschland und einige nicht-olympische Sportarten, beispielsweise im Kraftsportbereich. Unsere Athleten erbringen ihre Leistung über Training, Trainingswissenschaft und gute Unterstützung der Physiotherapie, aber nicht über Doping.

 

Kicker: Sind deutsche Sportler demnach "sauberer" als die anderer Nationen?

 

Steinbach (zögert): Ja. Wobei das leicht fehlinterpretiert werden kann und nicht automatisch den Schluss erlaubt, in anderen Ländern werde gemauschelt. Für mich geht es eher um die Frage, was notwendig ist, damit der Sport in der Zukunft an Glaubwürdigkeit gewinnt. Dazu wäre es wünschenswert, dass in allen 202 NOK-Ländern der Welt internationale Kontrolleure jederzeit auftauchen können, um unangemeldet jeden Athleten innerhalb von wenigen Stunden kontrollieren zu können. Dies bedarf allerdings eines großen finanziellen Aufwands seitens der Regierungen, wenn sie wollen, dass der Sport wieder sauber wird.

 

Kicker: Der 6. Platz der deutschen Mannschaft in Athen hat Unzufriedenheit ausgelöst. Hat das auch mit Doping andernorts zu tun, insbesondere beim Blick auf das Abschneiden der USA und China?

 

Steinbach: Wenn Sie es nicht beweisen können, sollten Sie es auch nicht behaupten. Was sich in den letzten Monaten in den USA entwickelt hat, lässt allerdings Hoffnung schöpfen. Dort ist man über Jahre sehr verdeckt mit den eigenen Sportlern umgegangen. Die scheint sich unter der neuen NOK-Führung in Amerika deutlich gewandelt zu haben – zwar angestoßen durch eine Indiskretion, dennoch hat man auch dort erkannt, dass nur der offensive Weg eine Chance hat.

 

Kicker: Könnten sie sich eine Art Kronzeugen-Regelung in Sachen Doping vorstellen, also einen Schutz für solche Funktionäre, Trainer oder Sportler, die mithelfen, Dopingfälle aufzudecken, in die sie möglicherweise verstrickt sind?

 

Steinbach: Wenn wir einen Sumpf austrocknen wollen, dann muss ich demjenigen eine Möglichkeit bieten, der den Finger hebt und uns auf etwas aufmerksam macht. Es wäre in der Tat zu überlegen, ob man damit nicht noch ein Stück weiter vorankommt. Aber auch hier wäre die Nagelprobe der zuerst einmal zu erreichende internationale Standard. Diesen Weg müssen wir verfolgen. Nur wenn wir die dicken Bretter bohren, gelangen wir ans Ziel. Ich sehe mich hier klar an der Seite mit WADA-Chef Dick Pound und IOC-Präsident Jacques Rogge, denen jeder aufgedeckt Dopingfall zunächst mal wehtut. An dieser Art schmerzhafter Therapie führt dennoch kein Weg vorbei. Die Glaubwürdigkeit des Sports müssen wir erhalten, und Betrüger müssen aus dem System gedrängt werden.

 

Kicker: Nie zuvor wurden bei Olympischen Spielen mehr Doper erwischt als in Athen. Ist das ein Erfolg oder nur die Erkenntnis, dass es Doping immer geben wird, möglicherweise noch raffinierter?

 

Steinbach: Eindeutig ein Erfolg, weil es denen, die vielleicht über Zuhilfenahme von Doping nachdenken klar sagt. Lass die Finger von dem Stoff, die Wahrscheinlichkeit, dass du erwischt wirst, wird immer größer. Wir, das NOK, stehen auf der Seite des sauberen Sportlers, schon aus erzieherischer Sicht, wenn ich die Vorbildfunktion des Sports betrachte. Es geht nicht nur um Kinder und Jugendliche, sondern um die gesamte Gesellschaft, wenn wir von Fairplay oder dem Respekt vor dem Gegner sprechen. Das ist nicht altmodisch, sondern hochmodern. Ohne Ideale hat unsere Gesellschaft keine Überlebenschance.


  • Foto: Dr. Klaus Steinbach
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