Licht und Schatten bei Sport-Entwicklungshilfe

Wie eng Freud und Leid bei den deutschen Sportentwicklungshelfern mitunter beieinander liegen, das lässt sich ganz aktuell anhand zweier Projekte des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) illustrieren.

Auch in Afghanistan herrscht große Fußballbegeisterung. Copyright: picture-alliance
Auch in Afghanistan herrscht große Fußballbegeisterung. Copyright: picture-alliance

Flucht aus Madagaskar nach fünf Monaten 

Die deutsche Unterstützung für den Fußball in Madagaskar findet bereits nach fünf Monaten ein vorläufiges Ende. „Von dem Entschluss, das Land zu verlassen, bis zum Abflug lagen nur ein paar Stunden“, berichtet Günter Zittel. Der 57 Jahre alte Fußballlehrer hatte wegen der dramatischen politischen Entwicklung auf der Insel vor der Ostküste Afrikas gemeinsam mit Ehefrau Christine und den Kindern Florian (6) und Anne (4) am 1. Februar die Heimreise angetreten. Erste Vorboten für die dramatische Entwicklung im zweitgrößten Inselstaat der Welt hatte es schon fünf Tage zuvor am so genannten „Schwarzen Montag“ gegeben. Aufgebrachte und unzufriedene Menschen hatten in der Hauptstadt Antananarivo die privaten Supermärkte des Präsidenten geplündert. Dabei sei es rund 300 Meter vom Hause der Zittels entfernt auch zu Schießereien gekommen. „Wir lagen auf dem Boden, um uns vor Querschlägern zu schützen.“ Fortan war die Atmosphäre angespannt, Lebensmittel wurden knapp. Milch war überhaupt nicht mehr zu bekommen. Bei jedem Einkauf drohte Gefahr. Als Zittel nach Rücksprache mit der DOSB-Zentrale, der Botschaft und anderen Hilfsorganisationen Kenntnis davon bekam, dass zum Beispiel die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit bereits ihre Helfer ausflog und sich am 31. Januar auf einer Kundgebung in der Hauptstadt der Bürgermeister kurzerhand zum Präsidenten des Landes ausrufen ließ, war für Zittel klar: Die politische Lage verschärft sich weiter und wird immer explosiver - bloß schnell weg. Am selben Tag um 20.20 Uhr saß die Familie im Flugzeug in die Heimat.

„Dafür muss man ein Gespür bekommen“, berichtet der erfahrene „Sport-Diplomat“, der zuvor unter anderem in Botswana, Grenada, Guyana und Uganda aktive Aufbauhilfe direkt am Ball leistete bzw. indirekt, indem er für funktionierende Rahmenbedingungen sorgte. Inzwischen hat Zittel mit seiner Familie vorübergehend wieder zuhause in Karlsruhe Quartier bezogen. Im Badischen will die Familie abwarten und hofft, dass sich die Lage beruhigt. Von zuhause aus besorgt sich Zittel mit Hilfe der deutschen Botschaft, über seine privaten Kontakte nach Madagaskar bzw. dank des Internets Informationen über die neuesten Entwicklungen. Maximal fünf Monate lang darf sich der Helfer zuhause gedulden. So lange wird er in einem Krisenfall wie diesem über Mittel des Auswärtigen Amtes weiter finanziert, auch wenn das entsprechende Projekt in dieser Zeit ruhen muss. Zittel möchte allerdings „nicht herumsitzen, sondern möglichst schnell wieder nach Antananarivo zurück“.

Warum, das liegt für den gestandenen Entwicklungshelfer auf der Hand. Zwar gibt es in Madagaskar eine erste und eine zweite Liga, und in den Schulen ist der Fußball beachtlich verankert. „Doch aus dem gut organisierten Schulsport hält sich der Verband leider heraus, und die Ligateams gehen auf die Schüler erst zu, wenn sie schon 17, 18 oder 19 Jahre alt sind. Das ist für die Ausbildung von Fußballspielern viel zu spät“, nennt er eines der Probleme. Darüber hinaus hat er seinen Auftrag noch längst nicht abgeschrieben, Schiedsrichter und Physiotherapeuten auszubilden und die Trainer- bzw. Sportlehrerausbildung voranzutreiben. Gerade den Pädagogen komme auf der großen Insel wegen des gut organisierten „Schulsports Fußball“ eine Schlüsselrolle zu. Bis August 2010 ist das Hilfsprojekt für Madagaskar laut Vertrag angelegt. Danach könnte um zwei Jahre verlängert werden. Für Günter Zittel eine solidarische Perspektive, an der er trotz der aktuellen Unruhen im Lande weiter festhält. Die Entscheidung, vorerst nach Deutschland zurückzukehren, sei in jedem Fall richtig gewesen. „Im Nachhinein sind wir durch die Situation in unserem Entschluss bestätigt worden.“

Afghanistan-Projekt nach sechs Jahren beendet

Ein Trainingslager der afghanischen U16-Auswahl in der Sportschule Ruit in Baden-Württemberg bildet aktuell den vorläufigen Schlusspunkt des im Auftrag des Auswärtigen Amtes durchgeführten Langzeitprojektes von DOSB und DFB in Afghanistan. Klaus Stärk hat gemeinsam mit Holger Obermann und Ali Askar Lali innerhalb der vergangenen sechs Jahre dem Fußball nach all den Verheerungen des Bürgerkrieges neues Leben eingehaucht. Obermann, Stärk und Lali, der 1979 aus seiner Heimat nach Paderborn geflohen war, leisteten Aufbauarbeit fast vom Nullpunkt an. „Natürlich waren sechs Jahre eine besonders lange Zeit, denn normalerweise sind Hilfsprojekte auf maximal vier Jahre begrenzt. Die Ausnahme war durch die besondere Situation dieses Landes gerechtfertigt“, sagt Stärk und gesteht: „Das politische Klima in Afghanistan ist weiter instabil. In diesem Jahr sind dort Wahlen. Ich bin in Sorge, ob alles reibungslos weitergeht.“ Vor allem beunruhigt ihn, dass die Hilfe zur Selbsthilfe - die Trainerausbildung durch qualifizierte einheimische Trainer vor Ort - neuerlichen Unruhen und kriegerischen Auseinandersetzungen zum Opfer fallen könnte. Die jüngsten Nachrichten von den brutalen Anschlägen bestätigen die Befürchtung, dass die Lage im Vorfeld der Wahlen zu eskalieren droht.

Welche Wohltat muss es vor diesem Hintergrund für die afghanische U16-Mannschaft sein, zum Abschluss des Hilfsprojektes zwei Wochen lang in Deutschland unbeschwert trainieren zu dürfen. Allein beim Anblick des Rasens auf dem Trainingsgelände geht den Teenagern das Herz weit auf. „Dieser Platz ist wunderschön", sagt zum Beispiel der 15-jährige Mir Ahmed Farshad. Kein vergleich mit den Verhältnissen in Kabul. Dort stehen gerade mal zwei Plätze eher schlecht als recht zur Verfügung, in die sich die zwölf Mannschaften der ersten Liga sowie noch andere Teams teilen müssen. Trotzdem ist es ein Erfolg, dass dank der deutschen Hilfe mittlerweile in 32 der insgesamt 34 Provinzen der Spielbetrieb wieder läuft.

Gegen den heftigen Widerstand der Taliban wurden auch Frauen als Trainerinnen ausgebildet. Sie erhielten sogar die Möglichkeit, selbst Fußball zu spielen, auch wenn das von manchem Fanatiker nicht gern gesehen wird und Spielerinnen nach wie vor bedroht werden. In Kabul wurde eine Schule eröffnet, in der 600 Kinder vormittags Englisch lernen und in den Umgang mit dem Computer eingeweiht werden und nachmittags die Fußballschuhe schnüren. Es existieren mittlerweile in allen Altersklassen Auswahlmannschaften, und die Nationalmannschaft hatte sogar an der Qualifikation für die WM 2010 in Südafrika teilgenommen. Gleich in der ersten Runde scheiterte man zwar mit 0:3 und 1:2 an Syrien. Aber die Mannschaft habe sich „alle Achtung verdient“, sagt Stärk, der vor Monaten als Helfer nach Namibia weiterzog.

Von Gefahrensituationen, wie Zittel sie jüngst in Madagaskar miterlebte, kann ebenfalls der Afghanistan-Helfer mehr als ihm lieb ist berichten. In der Lobby des Nachbarhotels wurde nach einem Überfall ein wahres Blutbad angerichtet, und nur dank einer glücklichen Fügung saß er an jenem Tag nicht in seinem Internet-Stammcafe, als sich dort ein Selbstmordattentäter in die Luft sprengte. Der Deutsche hatte seine Mails von dort glücklicherweise einen Tag vorher abgeschickt. „Wir haben mit großem Einsatz Einiges erreicht und uns nicht geringen Gefahren ausgesetzt. Das darf nicht umsonst sein“, fast Stärk zusammen und hofft, dass der Kontakt zum afghanischen Fußball nach der Abreise der Teenager aus Ruit am 21. Februar nicht abreißen wird. Das große Hilfsprojekt ist offiziell zu Ende. Doch sind zur Stabilisierung des Erreichten in den kommenden zwei Jahren Einzelmaßnahmen in Gestalt von Trainingslagern oder gezielten Lehrgängen für Trainer, Spieler oder Schiedsrichter in Planung.


  • Auch in Afghanistan herrscht große Fußballbegeisterung. Copyright: picture-alliance
    Auch in Afghanistan herrscht große Fußballbegeisterung. Copyright: picture-alliance