Mehr Zeit und Zuwendung für Kinder

Am 20. September ist Weltkindertag. Und wie alle Jahre werden wir wieder von allen Seiten mit aufrüttelnden Appellen, ernüchternden Fakten

und nervenden Phrasen traktiert. Doch unsere Republik ist deshalb an diesem Tag nicht kinderfreundlicher, weder in politischen Entscheidungen noch im gesellschaftlichen Verhalten gegenüber den jüngsten Bürgern.

Kinder sind teuer, laut, nervig, einfach Störenfriede und nicht Hoffnungsträger in den Augen vieler Erwachsener, die offenbar schon als Erwachsene auf die Welt gekommen sind und lachende Kinder als Zumutung betrachten. Ein Staat wie unserer leistet sich ein kaum wettbewerbsfähiges Schulsystem, leistet sich Kinder, die immer mehr mit Zivilisationskrankheiten wie Allergien, Herzkreislauferkrankungen, Dickleibigkeit oder Magersucht zu kämpfen haben. Er leistet sich Eltern, die ihre Jungen und Mädchen misshandeln oder allein auf der Straße leben lassen. Kinder haben in der Welt der hektischen, ewig nörgelnden Erwachsenen keinen rechten Platz.

Sie suchen Zuflucht bei Freunden oder in Organisationen wie Sportvereinen, um dort nicht nur Bewegungsabenteuer zu erleben, sondern Zusammengehörigkeitsgefühl zu erfahren. Eltern wollen, dass ihre Sprösslinge es gut haben, dass es ihnen an nichts fehlt. Und versuchen auf verschiedene Weise, ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen. In einer Gesellschaft, in der Äußerlichkeiten soviel zählen, muss man mithalten. Auch, wenn Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsflaute herrschen: Das Beste ist gerade gut genug. So sind nach wie vor viele Jungen und Mädchen immer “in“, was das neueste Spielzeug oder die teuerste Markenklamotte angeht, aber es fehlt ihnen an Zuwendung. Die Eltern basteln an ihrer Karriere, der Nachwuchs wird von der Betreuungsstätte über die Schule zur Kinderfrau herumgereicht, wird mit Aquarellmalkursen über Segeltörn bis zur Zen-Mediation beschäftigt, erstickt in Konsumgütern und bleibt nicht selten sich selbst überlassen.

Kindern wird vorgelebt, sich am äußeren Schein zu orientieren. Sie entwickeln ein ungesundes Anspruchsdenken, erfahren weder Grenzen noch können sie wirkliche Werte schätzen. In einer Ellbogengesellschaft hat der ausgeprägte Egoist seinen Platz. Doch wollen wir diese Ich-zentrierte Spezies? Wenn nicht, dann sollten wir schleunigst damit anfangen, sie abzuschaffen. Wie? Kinder brauchen Zeit und Aufmerksamkeit. Sie sind schon mit kleinen Dingen zufrieden: Etwa mit einem Spaziergang mit den Eltern, einem gemeinsamen Essen mit der Familie pro Tag, einem Fußballspiel mit Papa, Mama und Geschwister im Garten.

In einer konsumorientierten Wegwerfgesellschaft scheinen Begriffe wie Zugehörigkeit, Familie, Zuhause überholt. Der Kinderpsychologe Bruno Bettelheim sieht diese aber gerade als notwendige Voraussetzung für Kinder, wenn sie mit ihrem Leben zurecht kommen sollen. Also: Schenken wir unseren Söhnen und Töchtern vor allem gemeinsame Zeit – und nicht nur am Weltkindertag eine Stunde im „Hamburger“-Restaurant.