Sport wird als Therapiehilfe für psychisch Kranke immer wichtiger
Dass Sport gesund ist, ist ein Gemeinplatz. Regelmäßige sportliche Betätigung stärkt die Muskulatur, das Herz-Kreislaufsystem und beugt Übergewicht vor.
Weniger bekannt ist dagegen, dass Sport und Bewegung auch bei psychischen Erkrankungen zur Unterstützung der Therapie eingesetzt werden. „Alle psychiatrischen Kliniken haben eine Abteilung mit Sport- und Bewegungsangeboten“, erklärt Birgit Heuer, leitende Physiotherapeutin an der Tübinger Uniklinik. Denn: „Jede psychische Erkrankung schlägt sich am Körper nieder.“ So gäbe es psychische Erkrankungen, bei denen der Patient eine niedrigere Atemfrequenz aufweise und Krankheitsbilder, bei denen der Körper allgemein verspannt sei.
Ziel der Sport- und Bewegungsangebote der Tübinger Uniklinik ist es, das Körper- und Bewegungsgefühl der Patienten zu fördern und zu verbessern. Darüber hinaus werden die Patienten ermutigt, sich in Beziehung zu Raum und Zeit, zu Partnern und zu Sportgeräten neu zu erfahren. Die Erfolge sind schwer messbar. Aber: Nach Stephanie Gruner, Physiotherapeutin an der Frankfurter Uniklinik, geben 99 Prozent der Erwachsenen Psychiatriepatienten nach dem Klinikaufenthalt an, sie hätten von der Physiotherapie profitiert.
Über die Wirksamkeit der Sport- und Bewegungsangebote in der Psychiatrie und Psychotherapie ist derweil noch nicht das letzte Wort gesprochen: „Es gibt Indizien dafür, aber keine stichhaltigen Beweise“, sagt etwa der Stuttgarter Sportwissenschaftler Prof. Dr. Wolfgang Schlicht vorsichtig. Der Chefarzt der Schweriner Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Prof. Dr. Andreas Broocks, hingegen schreibt in seinem Buch „Neurologie, Psychiatrie und Sport“: „In einer Vielzahl von Studien an Gesunden sind positive Einflüsse von Ausdauertraining auf Depressivität, Stimmung, Ängstlichkeit, Selbstbewusstsein sowie Stressbewältigung wissenschaftlich nachgewiesen worden.“ (Andreas Broocks/ Detlef Reimers, „Neurologie, Psychiatrie und Sport“, Thieme) Oder umgekehrt: „Körperliche Inaktivität wird heute in der Tat als Risikofaktor für depressive Erkrankungen angesehen.“ Darüber hinaus wird unter anderem bei der Prävention und Behandlung von Alzheimer-Demenz, Panikstörung, schizophrenen Erkrankungen und bei Suchterkrankungen von positiven Effekten von Sport- und Bewegungsangeboten ausgegangen.
Andreas Broocks empfiehlt für die Therapie unter anderem Schwimmen, Walking, Laufen, Radfahren, Skilanglauf, Bergwandern und Mannschaftssportarten. Die Frage, ob Kraft- oder Ausdauertraining wirksamer ist, ist dabei noch nicht endgültig geklärt. Derweil geben ohnehin meist praktische Überlegungen das Sportangebot vor: „Wir haben bei uns in der Klinik zum Beispiel Volleyball angeboten“, berichtet Birgit Heuer von der Uniklinik in Tübingen. „Aber da wird bei den Patienten schon ein großes Vorwissen vorausgesetzt.“ Deshalb setzt die Klinik jetzt auf freiwillige Walking- und Joggingprogramme. Und der Psychotherapeut und Lauftherapeut Thomas Böhmer erklärt: „Laufen hat den Vorteil, dass man es überall machen kann. Man kann es in der Gruppe machen oder alleine, und es braucht keine riesigen Anschaffungen, wie etwa ein teures Fahrrad.“