Mit Handicap zum Schwung

Der Deutsche Golfverband führt ein Inklusionsprojekt mit dem GC Skyline Oberursel, der Hans-Thoma-Schule Oberursel und der Phorms Schule Steinbach durch.

Das Inklusionsprojekt vermittelt den Schülerinnen und Schülern viele positive Erfahrungen. Foto: DGV
Das Inklusionsprojekt vermittelt den Schülerinnen und Schülern viele positive Erfahrungen. Foto: DGV

Als der Golfclub Oberursel 2006 gegründet wurde und in seine Satzung den Passus, „Förderung der jugendlichen Mitglieder, Nachwuchsspieler, Schüler, Senioren und Menschen mit Behinderung“ aufnahm, konnte keiner ahnen, dass aus den danach jährlich durchgeführten Schnupperkursen für Kinder und Jugendliche unterschiedlichster Beeinträchtigungen, im Jahre 2014 ein erfolgsversprechendes Inklusionsmodel des Golfsports erwachsen würde.

Inklusion als Teil des schulischen Alltags

Im Herbst 2013 wurde die Hans-Thoma-Schule Oberursel, Förderschule mit den Förderschwerpunkten körperliche und motorische Entwicklung und Lernen, zu einem Golfschnuppertag auf die Anlage in Winnrod eingeladen. Mit der Einladung waren sich die Organisatoren des Golfclubs Skyline Oberursel einig, sollte dieser Tag für beide Seiten erfolgreich verlaufen, wollte man der Schule das Angebot unterbreitet, sich gemeinsam beim Deutschen Golfverband (DGV) für das Projekt „Abschlag Schule“ zu bewerben.

Am Schnuppertag in Winnerod war auch der DGV Referent für den Schul- und Hochschulsport anwesend und noch während der Veranstaltung liefen die Gespräche nur noch in eine Richtung, für diese begeisterten Schüler eine allgemeinbildende Partnerschule zu suchen und „Abschlag Schule“ zu einem Inklusionsprojekt aller Beteiligten zu entwickeln. Ziel: Schüler mit und ohne Behinderung sollten unbefangen miteinander das Golfspiel erlernen.

Noch in Winnerod kam von Seiten der Hans-Thoma-Schule ein deutliches und erwartungsfrohes „Ja“ zu dieser Idee.

Nach einigen Gesprächen war dann auch mit der Phorms Schule Steinbach eine Partnerschule gefunden, bei der von Beginn an deutlich wurde, dass die Schulleitung nicht nur die sportliche Herausforderung für ihre Schüler sah, sondern primär auch den sozialen Kontakt zu Schülern, mit denen sie im Alltag nur selten zusammen kommen, als wichtig herausstellte. Über Inklusion sollte nicht nur gesprochen, sondern sie sollte in einem Teilbereich des schulischen Alltags umgesetzt werden.

Ehe der Antrag beim DGV gestellt werden konnte, galt es unter allen Partnern ein tragfähiges Konzept zu entwickeln.

Da es in Oberursel keinen Golfplatz gibt, wurde die Anlage des Bad Vilbeler Golfclubs Lindenhof e.V. ausgewählt. Das hatte zur Konsequenz, dass nicht unerhebliche Transportkosten entstanden, um die Schüler beider Schulen gemeinsam zum Golfunterricht zu bringen. Ebenfalls ein Problem, die Trainingszeit am Nachmittag festzulegen und mit den schulinternen Abläufen zu koordinieren. Gerade für die Förderschüler und ihre Eltern galt es nun die Heimfahrt nach dem Unterricht zu organisieren, da sie am frühen Morgen aus dem gesamten Hochtaunuskreis mit Fahrzeugen abgeholt und am Nachmittag wieder zurück gebracht werden. Eine Golfstunde zwischen 16 Uhr und 17 Uhr, eine andere Möglichkeit ergab sich nicht, bedeutete deshalb für diese Schüler einen sehr langen Tag und kostete in der ersten Zeit erhebliches Durchhaltevermögen. Doch dieses Durchhaltvermögen zahlte sich für alle aus.

"Alle haben ihr Bestes gegeben"

Die größte Unterstützung kam nun von Seiten des DGV, der ganz erheblich zur finanziellen Absicherung des Projektes beitrug.

Vom 30. April 2014, nur unterbrochen von den Sommerferien, wurde durchgehend bis zu den Herbstferien wöchentlich geübt. Beide Schulen benannten je acht Schülerinnen und Schüler, die von einem Golflehrer unterrichtet wurden. Dieser erhielt meist Unterstützung von zwei bis drei weiteren Personen, die dann individuelle Hilfe gaben oder sich um Teilgruppen kümmerten.

Von Beginn an war bei den Schülern beider Schulen die Motivation hoch. Fast alle begannen bei null, mussten sich mit ihren Individuellen Schwächen und Stärken auseinandersetzen und kamen wöchentlich mit großer Begeisterung und entwickelten Ehrgeiz.

Auch wenn nicht immer Übungssituationen hergestellt werden konnten, bei denen die Schüler nicht nur miteinander spielen, sondern auch kommunizieren mussten, so wurde über Eltern und Lehrer zurückgemeldet, dass es doch auch eine nonverbale Kommunikation untereinander gab. Besonders nahm man sich in der Unterschiedlichkeit wahr, beobachtete, verglich und stellte fest, dass der Mitschüler, ob mit oder ohne Behinderung sich auf seine individuelle Weise bemühte und Erfolge erlebte.

Ein Schüler der Phorms Schule beschrieb es seiner Mutter und seinem Lehrer so: „Ich habe natürlich auch die anderen Kinder beobachtet, wie die so spielen. Bei manchen sah es etwas unbeholfen aus, aber alle haben ihr Bestes gegeben und schließlich waren wir ja alle Anfänger. Dass die Kinder der Hans-Thoma-Schule anders waren als ich und meine Klassenkameraden, störte mich bald nicht mehr. Einige waren genau so lustig oder auch mal launisch wie viele meiner Freunde. Manch einer wurde tatsächlich zu einer ernst zu nehmenden sportlichen Konkurrenz! Beim Golf – so sagte unser Trainer – hat man mal schlechte Tage und mal gute Tage. Und dann ist es egal, ob du von der Phorms oder von der Hans-Thoma-Schule kommst. Ich fand das Projekt wirklich toll und würde mich freuen, wenn es weiter geht.“

Motorische Verbesserungen und positives Selbstwertgefühl

Was weder von den Initiatoren geplant oder erwartet wurde, waren die vielen kleinen Erfolge der Schüler der Hans-Thoma-Schule, die von deren Eltern und Lehrern nach den ersten 6 Monaten des Projektes geschildert wurden.

Diese Schüler, die ihre Freizeit größtenteils im häuslichen Umfeld verbrachten waren von ihrer wöchentlichen Golfstunde fasziniert, waren auf die regelmäßige Teilnahme bedacht, erlebten Erfolge und diejenigen, die zu Beginn lieber nicht teilnehmen wollten, weil sie sich überfordert fühlten, entwickelten Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten. Die Lehrer stellten fest, dass ihre Schüler geduldiger, ausdauernder wurden und sich bemühten Regeln einzuhalten. Diese erhöhte Ausdauer und Zunahme an Konzentrationsfähigkeit, zeigte sich im Sinne eines Transfers bisweilen auch im Unterricht.

Bei fast allen Schülern konnte eine Verbesserung der Koordinationsfähigkeit festgestellt werden. Bei grob- und feinmotorischen Bewegungen zeigten sich nach einigen Trainingsstunden differenziertere, zielgenauere Bewegungen. Auch war bei einem Schüler mit einer starken Schwäche der Augen-Hand-Koordination eine deutliche Verbesserung festzustellen.

Die Eltern stellten bei ihren Kindern nicht nur eine höhere Frustrationstoleranz bei Misserfolgen fest, sondern ihre Kinder entwickelten auch ein positives Selbstwertgefühl. Für sie war die Golf-stunde immer der Höhepunkt der Woche. Über positive Veränderungen bei den Schülern kamen auch Rückmeldungen von Seiten von Physio- und Ergotherapeuten. Im Gegensatz zum Alltag, wo 2 Schüler immer wieder von ihren Therapeuten zur Nutzung beider Hände (bei einer vorlie-genden Hemiparese) aufgefordert werden mussten, war dies für sie beim Golfspiel kein Problem. Koordinierte, beidhändige Bewegungsabläufe waren hier nun möglich.

Die Schüler zeigten deutliches Interesse für den Golfsport, schauten sich im Fernsehen Berichte an, berichteten im Gegensatz zum normalen Schulalltag ihren Eltern vom Unterricht und nutzten dabei Golffachbegriffe wie Pitchen, Putten, Eisen und Hölzern.

Schüler mit und ohne Handicap trainieren problemlos gemeinsam

Bemerkenswert sind die Äußerung mehrerer Eltern, dass ihre Kinder verschiedenste Sportarten, Vereinsangebote probierten und jetzt ihre Kinder beim Golf erstmals einen Sport für sich fanden, bei dem sie ohne äußeren Druck, ohne Zeitdruck ihr Spieltempo selbst bestimmen können, jeder seine eigenen Ziele sich selbst setzten kann und damit individuelle Erfolgserlebnisse hat. Die Ruhe, keine Hektik, kein Lärm beim Üben ist für viele Schüler der Hans-Thoma-Schule sehr wichtig. Im Gegensatz zu ihren Mitschülern von der Phorms Schule profitieren sie noch stärker von diesem „Bewegungsausgleich“ zu einem für sie eher bewegungsarmen Schultag und häuslichen Alltag.

Neben den für die Schüler beider Schulen positiven Erlebnissen im Sinne der Inklusion, zeigte sich, dass der Golfsport problemlos gemeinsam von Schülern mit und ohne „Handicap“ betrieben werden kann. Einige der Schüler der Förderschule möchten diesen Sport weiter betreiben und zwei von ihnen zeigen so viel Talent, dass sie, sofern sie dies möchten, bald die Chance erhalten werden, ganz normal in der Jugendgruppe des Golfclub Oberursel Skyline mit trainieren zu können.

Genauso wichtig ist es daher jetzt für die Initiatoren von Schule, Golfclub und DGV Lösungswege zu suchen und zu finden, diesen begeisterten Schülern, die zeigten, dass man Inklusion im Golf realisieren kann, ihnen auch im nächsten Jahr wieder diese pädagogischen und sogar therapeutische Möglichkeiten in Form einer Weiterführung des Golfprojektes zu ermöglichen.

(Quelle: DOSB-Presse, Ausgabe 48/Norbert Fleischmann)


  • Das Inklusionsprojekt vermittelt den Schülerinnen und Schülern viele positive Erfahrungen. Foto: DGV
    Das Inklusionsprojekt vermittelt den Schülerinnen und Schülern viele positive Erfahrungen. Foto: DGV