Mit Sport zu mehr Respekt in allen Bereichen, Interview mit Cem Özdemir

Sport kann den Kontakt zwischen Einheimischen und Einwanderern spielerisch fördern und ein positives Gruppengefühl vermitteln, sagt Cem Özdemir, der seit 2004 Abgeordneter des Europäischen Parlaments und Mitglied der Fraktion Die Grünen / Freie Europäische Allianz ist. Einen Schwerpunkt für die Integration sieht er zudem im Abbau von sprachlichen Barrieren.

Cem Özdemir, Abgeordneter des Europäischen Parlaments (Foto: Laurence Chaperon)
Cem Özdemir, Abgeordneter des Europäischen Parlaments (Foto: Laurence Chaperon)

   Wie hinderlich sind sprachliche Barrieren bei der Integration von Menschen unterschiedlicher Herkunft?

 

Cem Özdemir: Das Erlernen der Sprache des Einwanderungslandes ist von zentraler Bedeutung. Das gilt sowohl für die soziale als auch wirtschaftliche Integration. In den 1970er und 1980er Jahren war es noch möglich, mit geringen Deutschkenntnissen eine Beschäftigung als un- oder angelernter Arbeiter zu finden. Durch den anhaltenden Abbau von Arbeitsplätzen in der Industrie hat sich die Situation massiv verändert. Außerdem ist das Beherrschen der deutschen Sprache Voraussetzung, damit Migranten sich an gesellschaftlichen Debatten beteiligen und auch soziale Kontakte außerhalb ihrer eigenen ethnischen Gruppe pflegen können – damit nicht nur über sie, sondern auch mit ihnen geredet wird. Die Debatte um die Integration der Muslime ist hierfür ein gutes Beispiel.

Allerdings muss das Erlernen der deutschen Sprache nicht bedeuten, dass Migranten die Sprache ihrer Eltern bzw. des Herkunftslandes vergessen oder nicht mehr pflegen. Es gibt zahlreiche Fälle von Migranten der zweiten oder dritten Generation, die das Deutsche einwandfrei beherrschen, aber nicht mehr die Sprache ihrer Eltern bzw. Großeltern. Es ist auch im Interesse der deutschen Wirtschaft und im Sinne eines zusammenwachsenden Europas, dass diese Bevölkerungsgruppe die Chance zum Erlernen beider Sprachen von Kindesbeinen auch nutzen kann. Das Einwanderungsland Schweden geht hier einen Weg und fördert nicht nur den Erwerb der schwedischen, sondern auch der Muttersprache.

 

   Laut neuster Statistiken des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen sind Spätaussiedler gemessen am Bevölkerungsanteil besonders häufig in Gewalttaten und Drogendelikte involviert. Wo sehen Sie die Hauptursachen dafür? Kann der Sport der Gewaltbereitschaft entgegenwirken?

 

Cem Özdemir: Vorausgesetzt, dass diese Statistiken fundiert sind, dürfte der Grund für die höhere Anfälligkeit von Spätaussiedlern (bzw. deren Kindern) für Gewalttaten und Drogendelikte in ihrer schwierigen sozialen, kulturellen und beruflichen Lage in Deutschland liegen. Spätaussiedler sind vergleichsweise stark von Arbeitslosigkeit betroffen bzw. haben Schwierigkeiten, eine ihrer Ausbildung adäquate Beschäftigung bzw. überhaupt einen Ausbildungsplatz zu finden. Außerdem beherrschen sie nicht immer die deutsche Sprache, zumindest müssen Familienangehörige bis zum Inkrafttreten des neuen Zuwanderungsgesetzes im Januar 2005 bei der Einreise ihre deutschen Sprachkenntnisse nicht formell nachweisen.

Die Sprache wirkt dann auch als Barriere für die soziale Integration. Schließlich darf nicht vergessen werden, dass Spätaussiedler und gerade ihre Kinder aus ihrem gewohnten sozialen und kulturellen Umfeld herausgerissen werden und zwischen Herkunftsort und Einwanderungsland mitunter große Unterschiede bestehen.

Sport kann hier ganz sicher der Gewaltbereitschaft entgegenwirken und Jugendliche auch vom Drogenkonsum abhalten. Wir sollten vom Sport als Ort der Integration nicht zuviel verlangen, aber wie heißt es zutreffend: Sport kann die Kids von der Straße holen. Sport ist sinnstiftend!

 

 "Ein Weg, mehr Migranten für Sportvereine zu gewinnen, könnte darin bestehen, mehr Migranten als Betreuer, Trainer und Ausbilder zu gewinnen."

  

   Inwiefern kann Ihrer Meinung nach der Sport einen Beitrag für ein vorurteilsfreies  Zusammenleben von Deutschen und Migranten leisten?

 

Cem Özdemir: Sport kann den Kontakt zwischen Einheimischen und Einwanderern spielerisch fördern, er kann ein positives Gruppengefühl vermitteln, er kann Kinder und Jugendliche dazu erziehen, nicht nur im Sport, sondern auch in anderen Bereichen des Lebens ihr Gegenüber zu achten und mit Respekt zu behandeln.

Wie meinte der bekannte französische Philosoph und Nobelpreisträger Albert Camus: „Alles, was ich sicher über Moral und Pflicht weiß, verdanke ich dem Fußball“. Und ist es nicht am wünschenswerten, wenn die Unterscheidung zwischen „Deutsch“ und „Migrant“ auf dem Spielfeld irgendwann keine Rolle mehr spielt?

 

   Migranten haben häufig Hemmungen in Sportvereine zu gehen. Wie könnte der Zugang für Menschen unterschiedlicher Herkunft in die Sportvereine erleichtert werden?

 

Cem Özdemir: Man kann das sicher nicht verallgemeinern. Ich erinnere daran, dass es Migranten gibt, die in Deutschland geboren, aufgewachsen und in ihrer Jugend in deutschen Fußballvereinen gespielt haben, heute aber Nationalspieler des Herkunftslands ihrer Eltern sind, z.B. Yildiray Bastürk von Bayern Leverkusen und Ivan Klasnic von Werder Bremen. Der Grund hierfür war in erster Linie das alte Staatsangehörigkeitsrecht. Seit 2000 das reformierte Gesetz in Kraft getreten ist, bekommen auch Kinder von ausländischen Eltern unter bestimmten Voraussetzungen die deutsche Staatsangehörigkeit bereits bei Geburt.

Gerade in den größeren Städten gibt es mittlerweile von Migranten gegründete Sportvereine. Das muss sich nicht per se negativ auf die Integration auswirken. Für die erste Generation von Migranten kann ein Sportverein mit Angehörigen derselben Ethnie die Orientierung im Einwanderungsland erleichtern. Wichtig ist aber auch, dass ein Austausch mit anderen Vereinen stattfindet, sportlicher Wettbewerb nicht künstlich von einem ethnischen Konflikt überlagert wird und sich die zweite und dritte Generation entscheidet, auch in anderen Sportvereinen aktiv zu sein.

Ein Weg, mehr Migranten für Sportvereine zu gewinnen, könnte darin bestehen, mehr Migranten als Betreuer, Trainer und Ausbilder zu gewinnen. Dies würde zum einen die interkulturelle Kompetenz der Sportvereine steigern. Zum anderen könnte dies helfen, dass sowohl Eltern als auch Kinder Hemmungen abbauen und ihre Bereitschaft steigern, sich aktiv in Sportvereinen zu engagieren.


  • Cem Özdemir, Abgeordneter des Europäischen Parlaments (Foto: Laurence Chaperon)
    Cem Özdemir, Abgeordneter des Europäischen Parlaments (Foto: Laurence Chaperon)