Nachwuchstrainer muss zugleich Gaspedal und Bremse sein

Ein Jahr nach der Verabschiedung der vielbeachteten "Erfurter Erklärung", in der die deutschen Bundestrainerinnen und Bundestrainer Forderungen an die zuständigen

Stellen in Sport und Politik formuliert hatten, fühlt sich die Trainerschar zwar ernster und wichtiger genommen, ist aber längst noch nicht am Ziel ihrer Wünsche angekommen. Beim Bundestrainer-Großseminar in Kienbaum in Brandenburg berichtete Ursula Klinger vom Beirat der Trainerinnen und Trainer von etlichen Gesprächen mit Sportfunktionären und Politikern, in denen in den letzten Monaten versucht wurde, den Wünschen nach einer verstärkten Einbindung in die Entscheidungsprozesse des Hochleistungs-sports auf allen Ebenen nachzukommen. Im Verlauf der Tagung, die im größten und wichtigsten deutschen Bundesleistungszentrum unter dem Hauptthema "Qualität als entscheidende Größe des Leistungssports" stand, zeigte sich aber, dass die rund 140 Trainerinnen und Trainer, die zu dem großen Jahrestreffen gekommen waren, im Alltag nach wie vor schwierige Probleme zu bewältigen haben.

Der Leitende Direktor des Bundesausschusses Leistungssport im Deut-schen Sportbund (DSB), Armin Baumert, unterstrich zwar in Kienbaum, dass die personelle Erweiterung des Trainerstabes eines der wichtigen Anliegen des deutschen Spitzensports sei, formulierte aber auch glasklar die Zielsetzung für die Olympischen Sommerspiele in Athen 2004: "Wir wollen - gemessen an der Anzahl der Medaillen - den dritten Platz in der Nationenwertung belegen." Baumert lobte die Unterstützung des Hochleistungssports durch die Bundeswehr und den Bundesgrenzschutz und hob die gute Arbeit hervor, die in den Eliteschulen des Sports und den sportbetonten Schulen geleistet wird.

Sein Kollege Rolf Ebeling, als Direktor im Bereich Leistungssport des DSB für die Verbandsförderung zuständig, nannte eine Palette von Maß-nahmen, die den Trainern bei ihrer Arbeit helfen sollen. Dazu gehören die Betreuung der Sportler durch hauptamtliche Trainer mit enger Einbindung der Heimtrainer, die verstärkte Integration ehemaliger Spitzen-athleten in die Trainerteams der Verbände, die Verbesserung der Umfeldbedingungen und ein künftiger Mitteleinsatz unter dem Motto "Klas-se statt Masse". Mit der Maßgabe "Vom Wintersport lernen, heißt siegen lernen" sieht Ebeling hoffnungsvoll den Olympischen Winterspielen von Salt-Lake-City vom 8. bis zum 24. Februar 2002 entgegen, denn die vorolympische Saison sei mehr als erfreulich verlaufen.

Die Trainerschaft sprach sich dafür aus, dass die Spiele von Salt-Lake-City trotz der verwerflichen Anschläge von New York und Washington durchgeführt werden und verabschiedete eine Resolution gegen Terror und Gewalt. Die Trainer übermittelten speziell ihren amerikanischen
Kolleginnen und Kollegen sowie Sportlern und Funktionären der USA ihr Mitgefühl und betonten, dass der internationale Sport gerade in schweren Zeiten zusammenhalten und damit Zeichen gegen den Terror setzen müsse.

Das Dilemma vieler Trainerinnen und Trainer skizzierte Prof. Dr. Eike Emrich von der Universität Frankfurt, der Zeitknappheit als grundlegende Charakteristik des Spitzensportlers bezeichnete. Die schulischen stünden den sportlichen Erfolgserwartungen gegenüber, und der Trainer im Nachwuchsbereich müsse zugleich Gaspedal und Bremse sein. Der frühere Leiter des Olympiastützpunktes Rheinland-Pfalz/Saarland entwickelte interessante Szenarien bezüglich einer effektiveren Struktur des Fördersystems auf Grund seiner empirischen Untersuchungen.

Eine Vielzahl interessanter Anregungen und Hinweise für die Qualitätssicherung und -erhöhung im Leistungssport konnte den Bundestrainerinnen und Bundestrainern auch von anderen international renommierten Referenten vermittelt werden: von Prof. Ernst Pöppel (Ludwig-Maximilian-Universität München) aus dem Bereich der Medizinischen Psychologie, von Prof. Jochen Mester (Deutsche Sporthochschule Köln) aus dem Bereich der Trainingswissenschaft, von Dr. Gudrun Fröhner (Institut für Angewandte Trainingswissenschaft) aus dem Bereich Sportmedizin und von Raymond Valk (Lehrstab der DSB-Physiotherapeuten) aus dem Bereich der Regeneration.

Die Faktoren Zeit und Qualität bestimmten auch die beachtlichen Statements einiger Seminarteilnehmer. "Die Qualität des Trainings muss auf allen Gebieten verbessert werden, und wir brauchen noch mehr Trainingseinheiten, um mit der Weltspitze mithalten zu können", hieß es mehrfach. Frank Mantek, der Cheftrainer der Gewichtheber, nannte die kaum nachzuvollziehende Leistungssteigerung des Iraners Rezazadeh Hossein um fast einhundert Kilogramm, der 1978 mit 375 Kilogramm Junioren-Weltmeister wurde und zwei Jahre später in Sydney mit 472,5 Kilogramm olympisches Gold im Superschwergewicht holte, und kam zu dem Schluss: "Entweder wir heben die Arme und ergeben uns oder wir krempeln die Ärmel hoch und trainieren noch mehr!"

Mehr Training und damit verbunden oft auch mehr Qualität- so ein Fazit von Kienbaum - ist in etlichen Sportarten nötig, aber die vorhandenen Strukturen machen dies häufig unmöglich. "Qualität ist nicht nur eine Forderung an die Trainer, sondern an den gesamten Leistungssport", stellte Beiratsmitglied Ursula Klinger nach den lebhaften Diskussionen von Kienbaum fest und erinnerte noch einmal daran: "Forderungen nach Veränderungen kommen nicht erst seit Sydney auch aus den Reihen der Bundestrainer."