Neunzig Minuten

 

Ein Fußballspiel dauert neunzig Minuten. So war es und so wird es sein. Oder auch nicht. Schließlich ist es lange

her, seit Sepp Herberger die ewige Wahrheit des deutschen Nationalsports so trefflich auf den Punkt zu bringen vermochte. Inzwischen sieht die Sache anders aus: Längst darf es auch ein bisschen mehr sein. Nicht selten dehnen sich jene sprichwörtlichen eineinhalb Stunden leicht auf das doppelte, wenn nicht noch Verlängerung angesagt ist.

Wird hier die neue Interpretation goldener Regeln reflektiert, steht, der geneigte Leser mag es schon ahnen, der moderne Fernseh-Sport in Rede. Gemeint ist namentlich der Trend, das Eigentliche auf der Mattscheibe in immer aufwendigeren Verpackungen zu präsentieren. So haben wir uns, nolens volens, an ein ausladendes Vor- und ein erschöpfendes Nachspiel, also daran gewöhnt, dass selbsternannte und/oder ausgewiesene Experten uns in epischer Breite nahe zu bringen versuchen, was wir zuvor schon selbst gesehen haben. Dazu die unvermeidlichen O-Töne, frei nach dem Motto: „Wie fühlen Sie sich nach dem großen Sieg?“ Oder: „Was haben Sie gedacht, als der Schuss nach hinten losging?“ Nichts gegen journalistische Kerner-Arbeit – die Frage ist nur, ob wir dies alles wissen müssen geschweige denn wollen. Immer öfter beschleicht einen das Gefühl: Weniger wäre mehr gewesen!

Als neulich einmal unser aller Teamchef, nach einer (wiederholten) Nullnummer seiner Auserwählten, öffentlichkeitswirksam die Qualität der Berichterstattung - sagen wir - in Frage stellte, war der Ball ins Rollen gebracht. Alsbald diskutierte die ganze Nation, und selbst der Bundeskanzler fand die Zeit zu einem Statement, ohne freilich von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen. Tatsächlich aber darf man sich, auch jenseits aller Kompetenz fragen, Gedanken machen, ob der Sport nicht mehr und mehr kaputt gesendet wird.

Wenn das Fernsehen das Ereignis nämlich wie ein Wiederkäuer durch die Mangel dreht, muss am Ende nicht unbedingt etwas Handfestes dabei herauskommen. So wäre der Konsument wohl besser bedient, wenn via Bildschirm vornehmlich das Wesentliche rüber käme. Schließlich spricht das sportliche Geschehen in aller Regel ohnehin für sich. Und dafür reichen so in etwa neunzig Minuten allemal aus.