Nora Petersen: Das All ist ihr Fall

Weltraumfahrer müssen sich auch einem intensiven sportlichen Training unterziehen. Diplom-Sportlehrerin Nora Petersen (Foto) bringt Europas Astronauten in Form.

Fitnesstraining in der Schwerelosigkeit - Nora Petersen macht`s vor. Foto: ESA
Fitnesstraining in der Schwerelosigkeit - Nora Petersen macht`s vor. Foto: ESA

"Laufen direkt nach dem Essen ist nicht gut“, sagt Nora Petersen. Klar. Weiß jeder Sofasportler. Aber wie ist das bei einer Berufsgruppe, die sich in Pillenform und aus Tuben ernährt? Und deren Mitglieder mangels Zeit und Platz doch kaum die Gelegenheit haben, eine Runde zu drehen?

Astronauten müssen fit sein? Stimmt, schon gehört, aber dann werden sie ja wohl auch wissen… Natürlich, im Prinzip wissen sie. Aber ihre Tage sind so gepresst, dass sie ihr Training öfter mal einschieben müssen. Besser, man erinnert sie ab und zu an die Allerweltsregel. Verstanden?

Nora Petersen, 33 Jahre alt: Es ist nicht schwer, sich diese große, schlanke Frau mit dem zurückgebundenen dunkelblonden Haar als Fitnesscoach vorzustellen. Wie sie Anweisungen gibt, freundlich lächelnd darauf beharrt, dass der Trainingsplan eingehalten wird: Liegestütze, Hanteltraining, Laufen, aber nicht nach Mahlzeiten – stopp.

Wie bitte trainiert man im Weltraum? In Schwerelosigkeit? Wir sind doch nicht in „2001 – Odyssee im Weltall“, wo Astronaut David Bowman dank der Zentrifugalkraft im sich drehenden Hamsterrad seines Raumschiffs joggen kann. Wir haben doch unten, in der Halle mit ihrem riesigen, maßstabgetreuen ISS-Modell, die dosenförmigen Trainingsmodule gesehen. Und begriffen, unter welch beengten Verhältnissen die Raumfahrer arbeiten.

Nora Petersen aus dem Crew Medical Support Office des Europäischen Astronautenzentrums (EAC) der Europäischen Weltraumagentur (ESA) lächelt wieder. All diese Fragen hat sie sich auch mal stellen müssen. Sie ist die erste Sportwissenschaftlerin, die in der ESA das operative Training der Weltraumfahrer übernommen hat.

Das EAC sitzt in einem modernen Gebäudekomplex mit Wellblech-Fassade in der Wahner Heide, neben dem Flughafen Köln-Bonn. Hier hatte Petersen 2002 ein Praktikum absolviert, hier ließ sie sich nach ihrem Diplom im Jahr darauf beruflich nieder. Das EAC-Team betreut die Astronauten medizinisch aus dem Kontrollzentrum und wacht darüber, dass ein täglicher Bewegungsplan eingehalten wird.

Petersen sagt, sie betreibe „Training on the job“. Im Grunde ist der bemannte Weltraumflug längst Routine. Doch wie der menschliche Körper auf die Schwerelosigkeit reagiert, auf die Strapazen bei Start und Landung, wie sich Muskeln, Knochen und Herz-Kreislauf- System in einem erschreckend beschleunigten Alterungsprozess anpassen und was sich vorbeugend, während des Fluges und in der Rehabilitation gegen die Folgen tun lässt: All das lässt sich erst nach und nach beantworten.

Klar ist laut Nora Petersen: „Sport ist zurzeit das einzige Mittel, um längere Raumflüge einigermaßen unbeschadet zu überstehen.“ Die russische Weltraumfahrt, früh auf Langzeitflüge spezialisiert, hat das als erste umgesetzt. Mit dem amerikanischen Skylab flogen in den siebziger Jahren erste Trimm-dich-Geräte wie Fahrrad oder Minigym ins All. Seit einiger Zeit gibt es „Countermeasure“-Pläne mit geeigneten übungen.

Systematisch war all das zunächst nicht. Vor allem die technische Herausforderung, Sport und Bewegung auf eine Raumstation zu übertragen, blieb. Für Nora Petersen war es zunächst schwer, ihr zu begegnen. Sie habe den internationalen Kollegen die ersten Informationen regelrecht aus der Nase ziehen müssen, sagt sie. Auch die Fachliteratur zum Thema „Wie trainiere ich einen Astronauten auf der ISS?“ lautete die erste Info, die ich in Gesprächen mit NASA-Mitarbeitern erhielt.“ Sie lacht. „Wir lernen halt alle noch.“ Mittlerweile hat sie zwei sportwissenschaftliche Kollegen.

Die erste Mission, bei der Nora Petersen 2006 den Deutschen Thomas Reiter betreute, war „eine sehr stressige Erfahrung“. Nicht wegen des Astronauten, „der war großartig“. Aber alle Daten waren neu, Betreuerin und Proband mussten sich ständig anpassen. „Viel Raterei“, sagt sie. Und doch kehrte Reiter, wie er sagte, fitter zurück als von seiner ersten All-Reise an Bord der russischen Raumstation Mir Mitte der Neunziger.

Petersen durfte das als erste Bestätigung ihrer Arbeit nehmen. Als mehr nicht. Denn das Medizinisch-Wissenschaftliche ist nur die eine Seite. Die praktische kommt hinzu.

Manches scheint wirklich wie auf der Erde; so verfügt das EAC über ein Fitnessstudio im Keller. Aber im All endet schon der Versuch, sich anzukleiden, schnell in einem Salto. Dort bringt . Aber im All endet schon der Versuch, sich anzukleiden, schnell in einem Salto. Dort bringt das Trainieren von Arm- oder Beinkraft an einem Hebelgerät Vibrationen hervor, die die Stabilität des gesamten Raumfahrzeugs stören können. Von den sensiblen wissenschaftlichen Experimenten ganz zu schweigen.

Damit Astronauten unter diesen Umständen etwa ihre Ausdauer trainieren können, wurde ein erschütterungsfreies Laufband entwickelt. Die Raumfahrer, gehalten von einem Körpergeschirr, rennen gegen einen elastischen Widerstand an. Es funktioniert, Nora Petersen hat es selbst ausprobiert: auf Parabelflügen umgebauter Passagiermaschinen, auf denen sich auch Astronauten ans Gefühl der Schwerelosigkeit herantasten können. Otto Normalbürger wird schon beim Blick auf Fotos schwindelig, die zeigen, wie Petersen scheinbar im rechten Winkel die Wand hoch läuft.

Eigene Erfahrungen sind wichtig. Zu wissen, wie sich ihre Probanden fühlen. Wie sie Raumfahrer von der Notwendigkeit der übungen überzeugen und sie – aus einer Entfernung von 350 Kilometern – korrigieren kann. Und wie sie mit dem Feedback umgeht, wenn nur einmal pro Monat eine Videoaufnahme vom sportlichen Training in die Bodenkontrolle gesendet wird.

Eine Live-Schaltung gab es bislang nur einmal, an Silvester zum Italiener Paolo Nespoli, der noch bis Mai im All bleibt. Und dafür war eigens ein Antrag an den ISS-Flugdirektor nötig gewesen. Angesichts der eher indirekten praktischen Zusammenarbeit ist Anerkennung der fachlichen Kompetenz besonders nötig.

Die junge Frau hat sie sich offenkundig erarbeitet. „Iron Lady“ hat Thomas Reiter sie seinerzeit genannt, und ihre Kollegen stellen sie gern immer noch so vor. Nora Petersen, die sich selbst „hartnäckig“ nennt, nimmt es hin. Immerhin zeugt es von Respekt gegenüber der ersten deutschen Astronautentrainerin.

(Quelle: <media 28736 _blank external-link-new-window "TEXT, FS Ausgabe2011 01 72dpi, FS_Ausgabe2011_01_72dpi.pdf, 4.6 MB">Faktor Sport 1/2011</media>/Jörg Stratmann)


  • Fitnesstraining in der Schwerelosigkeit - Nora Petersen macht`s vor. Foto: ESA
    Fitnesstraining in der Schwerelosigkeit - Nora Petersen macht`s vor. Foto: ESA
  • Nora Petersen gibt Anweisungen für das Training im irdischen Element Wasser. Foto: ESA
    Nora Petersen gibt Anweisungen für das Training im irdischen Element Wasser. Foto: ESA