Ordenstradition steht nicht für Leistungsverfall

90 Jahre wurde das Deutsche Sportabzeichen im letzten Jahr alt. Und viele der Übungen, die Carl Diem für den „Deutschen Reichsausschuss für Olympische Spiele“ 1913 in der ersten Ausschreibung für die neue „Auszeichnung für vielseitige Leistungen auf dem Gebiete der Leibesübungen“ festschrieb, gelten auch heute noch.

 

Einige davon sogar immer noch mit den gleichen Mindestleistungen, andere geringfügig modifiziert. Männer könnten somit heute ihre Sportabzeichenprüfung in einem „historischen Fitnesstest“ mit Übungen aus dem Jahre 1913 absolvieren. Das beweist auch, dass Carl Diem und seine Mitstreiter sogar das Leistungsvermögen der heutigen Generation gut eingeschätzt haben. Selbst wenn zu berücksichtigen ist, dass viele Grundbedingungen wie optimale Sportanlagen, verbesserte Geräte und leistungsfördernde Bekleidung und Ernährung sich in neun Jahrzehnten verändert haben.

 

Zum historischen Test der Männer – nur ihnen war das Sportabzeichen in den ersten Jahren vorbehalten – würden neben dem Nachweis der Schwimmfähigkeit der Hoch- oder Weitsprung mit unveränderten Mindestleistungen gehören. In der Sprintgruppe waren der 100 m- und der 400 m-Lauf einst wie jetzt im Programm. Gleich fünf Übungen aus dem Jahr 1913 gibt es auch 2004 völlig identisch unter den Bedingungen zum Test auf die Armkraft: Kugelstoßen, 100 m-Schwimmen, Steinstoßen, Gewichtheben und Rudern über 2.000 Meter. Und die damals geforderte Weite mit der Männerkugel gilt auch für die heutigen Bewerber: 8 Meter. Beim Steinstoßen wurde das Gewicht des Gerätes von einem Drittel Zentner auf 15 Kilogramm reduziert. Genau wie 1913 stehen auch 2004 unter den Übungen der Ausdauer das 20 km-Radfahren, Schwimmen über 1.000 m und das Eislaufen über eine Distanz von 10 Kilometern. Wer heute den Radtest wählt, hat wie die Bewerber vor 91 Jahren eine Mindestzeit von 45 Minuten zu erreichen oder zu unterbieten.

 

Verkürzt wurden zwischenzeitlich die Länge der Strecken bei zwei Ausdauerübungen. Mussten von Diem & Co. noch 10.000 Meter gelaufen werden, so können die Männer heute 5.000 oder 3.000 Meter laufen. Im Skilanglauf wurde von 20 auf 15 Kilometer reduziert. In einigen „Traditionsübungen“ wurden im Laufe der Jahre die Mindestleistungen verändert. Meistens zur Erleichterung für die Bewerber. Dabei haben sich die dafür fachlich zuständigen Spitzenverbände des Deutschen Sportbundes meist an Erfahrungswerten aus dem Wettkampfbereich der unteren Leistungsklassen orientiert.

 

Wissenschaftliche Untersuchungen waren selten die Grundlage für solche Veränderungen. Als Beispiele seien die Zeiten im 100 m-Lauf von 13,0 auf 13,4 Sekunden, im 400 m-Lauf von 65,0 auf heute 68,0 Sekunden und im 100 m-Schwimnen von 1:30 auf jetzt nur noch 1:50 Minuten genannt. Im Gewichtheben müssen in diesen Jahren 75 % des Körpergewichtes zur Hochstrecke gebracht werden, 1913 und in den folgenden ersten Jahren des Sportabzeichens waren es noch 100 %. Völlig im Gegensatz dazu steht nur das Steinstoßen: bei minimaler Herabsetzung des Gewichtes des Steines wird heute von den Sportlern ein ganzer Meter mehr an Weite verlangt.

 

Ähnliche Erkenntnisse wie bei den Männern gibt es auch für das Deutsche Sportabzeichen für Frauen, das 1921 erstmals verliehen wurde, also auch schon über 80 Jahre alt ist. Traditionen werden gerade in Deutschland besonders von den Turn- und Sportvereinen gepflegt. Da wäre es eine gute Werbeaktion für den Sportorden, wenn einmal ein Traditions-Sportabzeichen-Fünfkampf auf einer Aschenbahn mit den Gerätschaften von Damals und in der Sportkleidung „von anno dazumal“ angeboten würde. Das hieße dann: keine Startblöcke, aber mit kleinen Schaufeln gebuddelte Löcher zum Start; beim Hochsprung wären Schersprung oder Scher-Kehr-Sprung zugelassen, und der Kugelstoß erfolgte aus einem Ring mit Sandbelag.