Sie ist nicht leicht zu fassen. Das betrifft die Gesprächspartnerin Andrea Petkovic – die Weltranglistenzehnte ist schwer gefragt wie schwer beschäftigt, selbst am Ende der Saison; es betrifft sie aber auch als Person: Petkovic gibt mehreren Kulturen ebenso Raum wie Eigen- und Leidenschaften aller Art. So hätte sich die Aufsteigerin am Netz auch bestens vorstellen können, Musik- statt Tennisprofessional zu werden, und ihrem Faible für Politik geht sie im Fernstudium nach. Um dieser multiplen Frau halbwegs gerecht zu werden, haben wir ihre herausragenden Züge getrennt voneinander befragt.
Die Multikulturelle:
Sie sind Deutsche. Darmstadt ist Ihr Wohnort, Bosnien‐Herzegowina Ihr Herkunftsland, Jugoslawien ihr Geburtsstaat, die Welt Ihr Zuhause. Was bedeutet Ihnen Heimat?
Heimat hat für mich eine sehr zentrale Bedeutung. Ich bin knapp 40 Wochen im Jahr rund um den Globus unterwegs und lebe die meiste Zeit in Hotels. Das ist zwar komfortabel, ein Heimatgefühl ersetzt das aber nicht. Ich versuche daher, so oft wie möglich zwischen den Turnieren nach Hause zu kommen, um meine Familie und Freunde zu sehen. Meine Heimat ist also Darmstadt, wobei es tatsächlich nicht leicht ist, mich auf eine Nation festzunageln. Mein Trainer Petar Popovic zum Beispiel ist Serbe, und ich spreche mit ihm auch nur Serbisch. Und ich habe viele Fans aus Bosnien, die mich als jemand aus ihren Reihen wahrnehmen - da wird kaum ein Unterschied zu „echten“ serbischen Spielerinnen wie Ana Ivanovic gemacht. Dass ich einen deutschen Pass habe und für das deutsche Fed‐Cup‐Team spiele, vergessen sie dabei fast schon (lacht).
Andrea Petkovic
Die Tennisprofessional wurde 1987 im bosnischen Tuzla geboren, eine jener Städte im früheren Jugoslawien, in denen die vielen Völker des Staates recht gut und friedlich zusammenlebten. Im Alter von etwa sechs Monaten kam sie mit ihrem Vater, ein bosnischer Serbe, und ihrer bosnischen Mutter nach Deutschland. Petkovic, seit 2006 auf der Frauen-Tour unterwegs, gewann 2011 das Turnier von Straßburg und stand bei drei der vier Grand Slams im Viertelfinale. Das beförderte sie von Weltranglistensposition 30 aus in die Top 10, wo sie als insgesamt erst sechste Deutsche angelangt ist.
Die Freizeit-Musikerin:
Sie sind ein Musikfreak: Sie spielen Gitarre und Schlagzeug, für Ihre Website stellen Sie Ihre persönlichen Soundtracks zusammen. Musik wird ebsenso wie der Sport als kulturverbindend dargestellt: Stimmt das Ihrer Erfahrung nach?
Musik ist ein großer Bestandteil in meinem Leben - wenn ich unterwegs Zeit habe, recherchiere ich so oft es geht nach neuen Bands. Dass Musik über Kulturen hinweg verbindet, stelle ich dabei immer wieder fest. Auf der Tour stammen die Spielerinnen ja aus allen möglichen Ländern und haben ihre eigenen kulturellen Gewohnheiten. Sobald aber irgendwo ein guter Song läuft, ist schnell vergessen, woher jemand kommt – dann wird mitgeschnipst, mitgenickt oder die Hüfte geschwungen. Ich gehe auch gern auf Konzerte. Da habe ich ebenfalls das Gefühl, dass das Publikum eine homogene Masse bildet, die zusammen Musik feiert und genießt, unabhängig von der Herkunft. Heutzutage sind ja die Bands oft bunt zusammengewürfelt nach dem Motto: vier Bandmitglieder, fünf verschiedene Herkunftsländer.
Die Politikstudentin:
Begegnen Ihnen im Studium Themen wie Interkulturalität oder Integration beziehungsweise suchen Sie sie?
Das Thema Interkulturalität begegnet mir im Studium natürlich, allerdings nur theoretisch. Mit der Praxis werde ich tagtäglich im Beruf, konfrontiert. Wenn ich in die Player’s Area gehe, sitzen da Spielerinnen und Spieler aus aller Herren Länder und ich lerne durch den persönlichen Austausch, aber auch das ständige Reisen viel über andere Kulturen.
Die Tennis‐Tänzerin:
Ist Ihr Tanz eine Sprache, die überall auf der Welt ankommt, oder haben Sie da schon mal interkulturelle Missverständnisse erlebt?
Der Tanz ist zunächst einmal Ausdruck purer Freude und damit eines positiven Gefühls. Ich warte auch immer, bis die Gegnerin vom Platz ist, damit das nicht falsch rüberkommt. Ein interkulturelles Missverständnis hat es dabei noch nicht gegeben. Es gibt höchstens Leute, die sich darüber mokieren. Aber die meisten Fans erfreuen sich glücklicherweise daran und das gilt für alle Länder. In China – einem Land, das ich jetzt nicht unbedingt als tanzverrückte Nation kenne – waren die Zuschauer beispielsweise ganz enttäuscht, als ich ursprünglich nicht vorhatte, zu tanzen. Sie kamen sogar extra gegen Ende des Matches von der ganzen Anlage zu meinem Court, um den Tanz zu sehen.
Der Medienstar:
Sportlicher Erfolg lässt die Frage von Herkunft meist verblassen. Als deutsche Tennisspielerin Nummer 1 werden Sie von Medien und Öffentlichkeit kaum als Frau mit „Migrationshintergrund“ wahrgenommen. Ist das ein Privileg, nervt das oder ist Ihnen das egal?
Im Grunde genommen ist mir das nicht wichtig. Ich fühle mich als Deutsche mit serbischem Temperament und bin von beiden Ländern beziehungsweise Kulturen geprägt. In den serbischen Medien bin ich fast präsenter als in den deutschen. Solange alles einen positiven Grundton hat, freut mich das. Ich finde es nur schade, wenn Sportler ausschließlich dazu benutzt werden, eine Nation nach außen hin besser dastehen zu lassen, obwohl sie mit dem jeweiligen Land gar nicht so viel verbindet. Bei den Fußballern passiert das ja oft. Da beginnt dann ein heftiges Tauziehen um die Jungs und sie geraten in die Lage, sich entscheiden zu müssen. Bei den ganzen Interessen, die da mitspielen, ist es schwer, seinem Herzen zu folgen. Und nicht selten ist die Nation, die das Tauziehen verliert, gekränkt und der Sportler wird dort anschließend ausgepfiffen oder gedemütigt.
(Quelle: DOSB / Das Interview führte Nicolas Richter)