Prävention im Kinderschutz ist eine Daueraufgabe

Seit neun Jahren investiert der organisierte Sport in Prävention. Es ist jedoch an der Zeit zu diskutieren, wie neue Dynamik in den Prozess kommt, so Autor Jan Holze.

Seit dem Missbrauchsskandal 2010 setzt sich der Sport verstärkt für die Prävention sexualisierter Gewalt ein. Foto: picture-alliance
Seit dem Missbrauchsskandal 2010 setzt sich der Sport verstärkt für die Prävention sexualisierter Gewalt ein. Foto: picture-alliance

Der Sportausschuss im Deutschen Bundestag hatte zum Thema „sexualisierte Gewalt im Sport“ geladen. DOSB und dsj haben berichtet, auch der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM). Nun lesen wir bei einzelnen Twitteraccounts „Vereine sollen nur dann Fördermittel bekommen, wenn sie ein entsprechendes Präventionskonzept haben.“ Oder „Keine Sponsorengelder, Sportförderung, auch wenn der Missbrauch passiert ist.“ Die Forderung danach, den Sportvereinen oder  -verbänden den Geldhahn zuzudrehen, ist schnell ausgesprochen. Es ist die einfache Lösung, die Idee ist nicht neu.

Seit 2012 erleben wir es immer wieder, dass Städte oder Kommunen das Bundeskinderschutzgesetz so interpretieren, dass es ohne erweiterte Führungszeugnisse in Sportvereinen kein Geld mehr gibt. Die Wenn-Dann-Lösung wird als brauchbares Mittel gesehen, um in Sportvereinen Präventionskonzepte einzurichten. Die wissenschaftliche Begleitforschung zum Pilotprojekt „Qualitätsbündnis“ des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2016 kommt zu anderen Erkenntnissen: Die Einführung von Präventionskonzepten in ehrenamtlichen Vereinsstrukturen ist ein längerer Prozess, der niedrigschwellig angelegt sein muss, reine formale Vorgaben durch die Vereinsführung führen zu Widerständen. Erst eine gemeinsame Auseinandersetzung schafft Akzeptanz.

Im Deutschlandfunk-Interview kommentiert der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs nach der Sitzung im Sportausschuss: „Wenn 50 Prozent der Vereine in Deutschland sich bisher noch keine Gedanken über Prävention und Hilfen bei sexueller Gewalt gegen junge Sportlerinnen und Sportler gemacht haben, dann muss ich sagen, wir brauchen mehr Dynamik.“ Die Zahl stammt aus der Studie Safe Sport aus dem Jahr 2016 und basiert auf Zahlen aus dem letzten Sportentwicklungsbericht. Es gibt keine vergleichbare Studie in einem ähnlich ehrenamtlich besetzten Feld.

Ist das Glas also halb leer oder halb voll? Ist es nicht so, dass wir seit dem Missbrauchsskandal 2010 eine enorme Dynamik in der Prävention sexualisierter Gewalt im Sport erfahren? 10.000 Sportvereine haben laut selbiger Studie eine Ansprechperson benannt. Über die Lizenzausbildungen in den Sportverbänden werden tausende Menschen für den Schutz vor sexualisierter Gewalt sensibilisiert. Ja, bei den Spitzenverbänden und anderen Mitgliedsorganisationen wird seit 2019 der Druck erhöht, sei es mit dem dsj-Stufenmodell oder durch die neue BMI-Eigenerklärung mit Mindeststandards für Prävention im Verband.

Die Wenn-Dann-Lösung ist hier das letzte Mittel, um den Arbeitsauftrag Prävention sexualisierter Gewalt wieder oben auf die Tagesordnung zu setzen. Ohne eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Potenzialen und Risiken im Sport ist aber nichts gewonnen. Dynamik wird anders erzeugt. Wir sensibilisieren, wir setzen Impulse, wir schulen, wir bilden fort. Wir erstellen Arbeitshilfen, starten Kampagnen, laden zu Fachtagungen ein. Wir vernetzen, wir reden, wir unterstützen uns gegenseitig. Wir machen Grenzverletzungen, sexuelle Übergriffe und Missbrauch ansprechbar.

Seit neun Jahren investiert der organisierte Sport in Prävention. Er schafft Anlaufstellen in Verbänden und Vereinen, bildet eigene Referenten/innen aus, erstellt eigene Materialien, schreibt Wettbewerbe und Auszeichnungen aus. Und natürlich müssen DOSB, dsj und ihre Mitgliedsorganisationen auf Basis des gemeinsamen Beschlusses der Mitgliederversammlung 2018 sich selbstkritisch betrachten. Setzen wir uns aktiv für Prävention ein? Gehen wir kompetent mit Verdachtsfällen um? Stellen wir uns der Aufarbeitung? Was tun wir, um unsere Vereine zu erreichen?

Jedoch kommen wir täglich an unsere Grenzen. Sportverbände und -vereine sind keine Ermittlungsbehörden, keine Psychotherapeutischen Praxen, keine Fachberatungsstellen für sexualisierte Gewalt – und werden es auch nicht werden. Aber die werden dringend benötigt, um vor Ort – ob in städtischen oder ländlichen Regionen – wirksame Präventionskonzepte im gesamten Sozialraum von Kindern und Jugendlichen zu erstellen und zu leben.

Es ist Zeit zu diskutieren, wie neue Dynamik in den Prozess kommt. Ein Vorschlag wäre: Runde Tische auf Bundes-,  Landes- und Kommunaler Ebene, die unter Beteiligung aller Organisationen – nicht nur des Sports – Lösungsansätze für den Schutz von Kindern und Jugendlichen weiterentwickeln. Denn die Prävention jeglicher Form von Gewalt und Diskriminierung ist weder im Sport noch anderswo ein Projekt, sondern eine Daueraufgabe.

(Autor: Jan Holze ist 1. Vorsitzender der Deutschen Sportjugend)

In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.


  • Seit dem Missbrauchsskandal 2010 setzt sich der Sport verstärkt für die Prävention sexualisierter Gewalt ein. Foto: picture-alliance
    Seit dem Missbrauchsskandal 2010 setzt sich der Sport verstärkt für die Prävention sexualisierter Gewalt ein. Foto: picture-alliance