Privilegien sind für Grafs Ex-Trainings-Verein in Brühl ein Fremdwort

Der neunte Teil der Serie Stars und ihre Vereine: Die Zeiten, da Brühl der Nabel der Damen-Tenniswelt gewesen ist, sind längst vorüber.

 

Manchmal seien „Legionen von Schaulustigen“ in die rund 15.000 Einwohner zählende Ortschaft nahe Mannheim gekommen, berichtet Bürgermeister Ralf Göck. Vor allem in den 80er Jahren sei das Interesse an Steffi Grafs Zuhause sehr groß gewesen, erinnert sich der 46-Jährige, der für die SPD damals dem Gemeinderat angehörte. 1988 hatte die Frau, die 377 Wochen und so lange wie keine andere Spielerin die Weltrangliste anführte, alle vier großen Turnier in Melbourne, Paris, London und New York gewonnen und dazu die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Seoul - ein bislang unerreichter„Golden Slam“. Inzwischen lebt die Tennis-Königin mit Ehemann Andre Agassi und den gemeinsamen Kindern in den USA. Am 14. Juni wird sie ihren 40. Geburtstag feiern.

Aktuell sind Tennis-Touristen dort, wo die Karriere des „Wunderkindes“ einst begann, die seltene Ausnahme. Nicht einmal die nahesten Nachbarn in der Straße am Luftschiffring können genau sagen, ob das riesige, von einer zwei Meter hohen Klinkerziegel-Mauer umgebene und mit einem Dickicht von großen Bäumen versehene Graf-Anwesen noch tatsächlich von Vater Peter bewohnt wird. „K. Mustermann“ steht am Klingelschild. Gleich nebenan im kommerziell betriebenen „Sportcenter“ sind zwei der ehemals drei Indoor-Tennisplätze einem Fußball-Kleinfeld mit Kunstrasenbelag gewichen. Allein dies und die Tatsache, dass der heimische Tennisclub Brühl 1965 e.V. nicht einmal über ein eigenes Winterquartier verfügt, illustrieren: Tennis ist hier keineswegs eine privilegierte Sportart. Das gilt für die Gegenwart und für die Vergangenheit gleichermaßen.

„Das ging alles sehr unaufgeregt vonstatten“

„Manchmal hat man Steffi im Stadion gesehen, wenn sie ihr Fitnesstraining absolviert hat. Insgesamt ist das, mit Ausnahme der offiziellen Empfänge, eher an uns vorbei gegangen“, berichtet ein Taxifahrer. „Als Kind konnte sie sich im Freibad ganz normal bewegen. Später hat man sie ja kaum noch gesehen. Das ging alles sehr unaufgeregt vonstatten“, berichtet Claudia Schneider, die in ihrer Jugend ebenfalls eine Weile zum Tennisschläger gegriffen hatte - animiert von den Erfolgen Boris Beckers. „Leimen ist ja gar nicht weit von hier entfernt“, fügt die 38-Jährige fast entschuldigend hinzu. TC-Präsident Helmut Geigges bestätigt, dass Brühl zwar durch Stefanie Graf in aller Munde war, aber im Ort das Leben ganz normal und „ohne Show“ vor sich hin plätscherte. Nicht einmal ein Tennis-Boom sei vor der Haustür ausgelöst worden.

„Dieser Sport hat sich hier nicht anders entwickelt als sonst irgendwo in Deutschland“, weiß der 61-Jährige, der vor 30 Jahren aus Konstanz kam. Nomen est Omen. Etwa 300 Mitglieder hatte der 1965 gegründete Verein zu Grafs Karriere-Hochzeiten in seinen Reihen. Und so viele sind es noch heute, davon rund 100 Jugendliche und 40 Passive. Womöglich hätten es früher ein paar Mitglieder mehr sein können, doch auf den sechs Plätzen kam der Verein schnell an natürliche Grenzen. Wegen der Nähe zu einem Wohngebiet durfte zum Beispiel an Wochenenden nicht vor 9 Uhr aufgeschlagen werden. Zudem war die Anlage in einer Senke und somit im Brühler „Souterrain“ angesiedelt und mithin nicht gerade besonders attraktiv für einen Sport, der seinerzeit noch mit dem elitären Etikett behaftet war.

Mitglied im „TC“ ist Steffi Graf nie gewesen, doch regelmäßiger Gast im Vorfeld der French Open. Weil das Turnier in Paris zischen Mitte Mai und Anfang Juni traditionell auf rotem Sand ausgetragen wird, kam ihr die Anlage unweit des Elternhauses für die Vorbereitung gerade recht. Stets war hier vor dem zweiten Grand-Slam-Turnier der Saison ein Platz für die berühmte Brühlerin reserviert - und sie durfte das Klub-Terrain mit ihrem Trainerstab sogar kostenlos benutzen.

Platz für eine Zweifelderhalle ist vorhanden, nur kein Geld

Vor fünf Jahren gab der einzige Tennisclub im Ort seine tiefer gelegte Anlage auf. Dass die Gemeinde auf dem relativ zentral gelegenen Gelände nach diversen Erdaufschüttungen Wohnungen bauen wollte, erwies sich für den Tennisclub als Glücksfall. Von der Kommune wurde ihm ein doppelt so großes Erbpacht-Grundstück im nördlichen Zipfel von Brühl im Naturschutzgebiet zur Verfügung gestellt. 2003 begannen die Bauarbeiten auf dem 16.000 Quadratmeter großen Areal, ein Jahr später wurde das neue Domizil am Rennerswald ganz in der Nähe des Rheinauer Sees eingeweiht. Investiert wurden insgesamt rund 1,6 Millionen Euro, einschließlich der Kosten für den Bau einer Zufahrtstraße.

Im Zentrum der neuen Tennis-Anlage steht das schmucke Vereinshaus, dessen Fassade in den Klubfarben Gelb und Blau erstrahlt. In dem hellen, freundlichen Gebäude mit dem Lokal „Filz-Kugel“ wird bei den Medenspielen stets die sportliche Konkurrenz bewirtet - ganz so, wie es sich im geselligen Tennisbetrieb gehört. Ringsum sind insgesamt sieben Courts angelegt, allesamt mit rötlich-braunem Ziegelmehlbelag. Am neuen Standort können endlich einmal Ausflügler und Zufallsbesucher begrüßt werden. Tennis muss in Brühl nun nicht mehr eher unbeachtet und unbeobachtet „im Untergrund“ gespielt werden. „Unsere Anlage ist jetzt viel attraktiver und offener. Vielleicht hat uns das geholfen, den großen Knick zu vermeiden“, sagt der Vereins-Präsident in Anspielung auf eine bundesweite Tendenz. Nachdem die Galionsfiguren Steffi Graf und Boris Becker ihre Karriere beendeten, gingen mancherorts die Mitgliederzahlen schlagartig zurück.

Links zu Seiten des Eingangs zur neuen Anlage ist eine große, etwas wilde Wiese zu sehen. Eine brach liegende Fläche, die man ideal mit einer Zweifelder-Halle für den Winterbetrieb bebauen könnte. „Unter 700.000 Euro ist so ein Projekt leider nicht zu stemmen. Dafür haben wir nicht das Geld. Früher wäre das vielleicht zu machen gewesen, aber da fehlte uns der Platz. Heute haben wir den Platz und es fehlen die Mittel“, erklärt Helmut Geigges, seit 1994 erster Mann beim „TC“. Im Winterhalbjahr behilft man sich, indem die Mitglieder ihre Übungseinheiten und Matches in den Hallen in Oftersheim, Plankstadt und Hockenheim bestreiten und die Zeiten dort - meist im Abonnement - buchen. Für den Nachwuchs sind wöchentlich 25 Stunden auf dem Court im „Sport-Center“ neben dem Graf´schen Anwesen reserviert, wo unter Anleitung von Trainern trainiert wird. Einen Teil der Kosten übernimmt der Verein nach dem Motto: Im Wettkampfbetrieb wird ausschließlich auf eigene Spieler gesetzt. Geld für „Söldner“ wird in Brühl nicht ausgegeben, man bescheidet sich mit der Bezirksklasse. Die Seniorinnen indes schlagen in der Oberliga auf, die Senioren in der Bezirksliga.

„Sie hat uns weltweit Bekanntheit eingebracht“

Bevor Mitte April die nächste Freiluftsaison beginnen kann, müssen pro Platz rund 1,5 Tonnen des rotbraunen Tennis-Sandes speziell entsorgt und anschließend wieder neu aufgetragen werden. Um die 4.000 Euro würde nach Markt üblichen Preisen die Präparation kosten, die beim TC weitgehend in Eigeninitiative erfolgt. Rund acht Arbeitsstunden sind pro Kopf und Jahr an Arbeitseinsätzen zu leisten, um das Gelände in Schuss zu halten. So sieht es das Statut vor. Um wirtschaftlich „auf Ballhöhe zu bleiben“, wurden kürzlich die Beiträge um fünf Prozent angehoben. Für jedes Mitglied macht das etwa zehn Euro mehr pro Jahr. „Schon daran sieht man, wir sind ein ganz normaler Verein wie andere auch“, unterstreicht Helmut Geigges. „Wir sind keineswegs in irgendeiner Weise privilegiert.“

Das Privileg für den Verein scheint einzig darin zu bestehen, in der früheren Heimatgemeinde der weltweit bekannten und geachteten Tennis-Ikone zu wirken. Bürgermeister Ralf Göck streicht dieses ideelle Moment besonders heraus. Natürlich seien Brühl dank der Graf´schen Preis- und Werbegelder in der Vergangenheit erkleckliche Gewerbesteuer-Einnahmen zugeflossen. Doch es sei keineswegs so, dass sich speziell wegen der berühmten Sportlerin Investoren oder Häuslebauer im badischen Brühl angesiedelt hätten. Auch von regelmäßigen Spenden für die Gemeinde nach dem Ende ihrer sportlichen Karriere berichtet der SPD-Kommunalpolitiker nichts. Der eigentliche Wert des großen Namens Graf verbindet sich seiner Meinung nach mit Werten und Wörtern wie „Gemeinsinn“, „Stolz“ oder „Zusammenhalt“. „Sie hat immer wieder betont, dass sie aus Brühl kommt, obwohl sie in Mannheim geboren ist und dort die ersten Jahre gelebt hat. Steffi Graf war und ist für uns ein riesiger Imagefaktor. Sie hat uns weltweit Bekanntheit eingebracht.“ Mitunter gibt es noch persönliche Kontakte. Im Jahre 2003 etwa anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung im Kulturzentrum Villa Meixner, bei der anhand von Pokalen, Bildern und Erinne-rungen Steffi Grafs großartige sportliche Karriere nachgezeichnet wurde und sich die Ehren-bürgerin persönlich die Ehre gab. Zudem bestritt die 22-malige Grand-Slam-Siegerin in den vergangenen Jahren regelmäßig Schaukämpfe in der - stets ausverkauften - großen Arena in Mannheim. Ganz klar, dass bei den anschließenden Empfängen stets auch einige Abgesandte aus dem benachbarten Brühl zugegen gewesen sind.