„Programm 'Integration durch Sport' ist ein wesentlicher Baustein der Integrationsförderung in Deutschland“

Fünf Fragen an Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern, zum Jubiläum 20 Jahre Integration durch Sport.

 

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble

DOSB PRESSE: Herr Dr. Schäuble, das Programm „Integration durch Sport“ fällt nicht nur aktuell in die Zuständigkeit Ihres Ressorts, Sie haben es auch vor 20 Jahren selbst mit auf den Weg gebracht. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus diesen zwei Jahrzehnten?

SCHÄUBLE: Als Geburtshelfer habe ich die Entwicklung des Programms, das ursprünglich unter der Bezeichnung 'Sport für alle - Sport mit Aussiedlern' an den Start gegangen ist, auch als ich nicht mehr Innenminister war, mit Interesse verfolgt. Zunächst als Integrationsmaßnahme für Aussiedler in vier Bundesländern gestartet, wurde das Programm ab 1990 flächendeckend in der alten Bundesrepublik fortgesetzt und 1991, also gleich nach der Wiedervereinigung, auf die neuen Bundesländer übertragen - immer in guter Zusammenarbeit mit den Sportorganisationen. Bereits 2001 wurde das Programm für alle Zuwanderergruppen geöffnet und erhielt seinen jetzigen Namen. Aus integrativen und - angesichts vorhandener Fremdenfeindlichkeit - auch präventiven Gründen öffnete es sich auch für benachteiligte deutsche Jugendliche.

Heute können wir zu Recht behaupten, dass sich das Programm als wesentlicher Baustein der Integrationsförderung in Deutschland etabliert hat. Maßgeblich hierfür sind aus meiner Sicht vor allem das Verantwortungsbewusstsein und das Engagement aller am Programm Beteiligten - sie alle haben entscheidenden Anteil daran, dass sich das Programm frühzeitig und vorausschauend den wandelnden Herausforderungen der Integrationsarbeit gestellt hat. Diesen Weg sollten und werden wir gemeinsam weiter beschreiten.

DOSB PRESSE: Sie haben sich durch die Evaluation der Universität Potsdam wissenschaft-lichen Rat geholt, der jetzt vorliegt: Was sind aus Ihrer Sicht die Stärken von „Integration durch Sport“ und was lässt sich verbessern?

SCHÄUBLE: In der Tat ermöglichen uns die Ergebnisse des Evaluationsberichts der Universität Potsdam ein differenziertes Urteil darüber, welche Programmelemente sich bewährt haben und wo wir Verbesserungen herbeiführen sollten. Ich möchte dies an zwei Kernaussagen aufzeigen:

Das Programm ist bei der Heranführung von Zugewanderten an den organisierten Sport, also bei der Integration in den Sport, sehr erfolgreich: 1.900 überwiegend breitensportlich orientierte Sportgruppen im Bundesgebiet werden von 1.167 Übungsleitern betreut - davon haben 49% Migrationshintergrund. 38.000 Sporttreibende sind in den Gruppen aktiv, mit einem Anteil von 55% sind dies mehrheitlich Zuwanderer.

Ansätze zur Verbesserung bieten sich bei der Integration in die Gesellschaft durch den Sport. Dank der Evaluation können wir eindeutig feststellen, dass Integrationsprozesse durch die Beteiligung am Sport nicht 'von selbst' ausgelöst werden. Daraus folgt eine ganze Reihe von Handlungsempfehlungen, die ich nur kurz anreißen möchte: Angefangen bei einer notwendigen

Zieldiskussion zwischen dem DOSB und seinen Mitgliedsorganisationen zur Festlegung eines einheitlichen Integrationsbegriffs über eine verbesserte Ansprache der Zielgruppen, eine Zielgruppenerweiterung und die Ausweitung der interkulturellen Weiterbildung bis hin zu einer konsequenteren Gewinnung von Funktionsträgern mit Migrationshintergrund - es gibt eine Menge konkreter Ansätze, die jetzt aufgearbeitet werden.

DOSB PRESSE: Der Sport ist Bestandteil des Nationalen Integrationsplans, der konzertierten Aktion der Bundesregierung. Was kann er dort leisten?

SCHÄUBLE: Grundsätzlich ist festzustellen, dass im Sport - insbesondere dem Vereinssport - ein großes Integrationspotenzial steckt: Dort vermittelte Verhaltens- und Orientierungsmuster wie Teamgeist, Fair Play und gegenseitige Wertschätzung tragen immer auch ein Stück weit zur Integration in die Gesellschaft bei. Demokratische Mitwirkung und gemeinwohlorientiertes bürgerschaftliches Engagement zum Beispiel sind in den Vereinen gelebter Alltag. 

Ein weiterer Pluspunkt liegt darin, dass im Sport ganz ungezwungen Begegnungen, Kooperationen und der Erfahrungsaustausch von Menschen unterschiedlicher sozialer, kultureller und ethnischer Herkunft gefördert und Vorurteile im gemeinsamen Erleben abgebaut werden. Aber allein darauf zu vertrauen, dass Integration im Sport automatisch stattfindet, greift nicht weit genug. Integrationserfolge müssen auch im Sport erarbeitet werden. Sie müssen programmatisch vorbereitet und durch geschultes Personal in Sportverbänden, Vereinen und im Sportbetrieb an der Basis begleitet werden. Außerdem setzen sie bei allen Beteiligten die Bereitschaft zur interkulturellen Öffnung voraus.

Der Behandlung des Themas „Integration durch Sport“ und die Aufarbeitung seiner besonderen Rolle als „Integrationsmotor“ im Nationalen Integrationsplan ist genau diesen Herausforderungen geschuldet. Die Entwicklung von zielgruppenspezifischen Angeboten, insbesondere auch für Mädchen und Frauen aus dem muslimischen Kulturkreis, die Einbeziehung der mittleren und ältern Generation oder auch die Vermittlung interkultureller Kompetenzen sind nur einige der wichtigsten Schwerpunktthemen. Ihre Bedeutung ist auch daran abzulesen, dass sie im Rahmen der vom Bundesministerium des Innern geleiteten ständigen Arbeitsgruppe 'Integration und Sport', die aus dem Nationalen Integrationsplan hervorgegangen ist, fortgeschrieben werden.

DOSB PRESSE: Sie werden sich mit ihren europäischen Amtskollegen auch über das Thema Integration austauschen - welche Rolle spielt der Sport beim Thema Integration für unsere Nachbarn?

SCHÄUBLE: Es ist richtig, dass das Thema „Integration durch Sport“ auch im Rahmen der EU eine wesentliche Rolle spielt. Bei aller Freude über die nunmehr seit 20 Jahren währende sehr gute Arbeit des DOSB mit dem bundesfinanzierten Programm „Integration durch Sport“ sollten wir nicht der Versuchung unterliegen, diese Erfolge als „Exportschlager“ für unsere Partner auf EU-Ebene zu bewerten. Die Verhältnisse in den Mitgliedsstaaten der EU sind zu unterschiedlich, als das sich erfolgreiche Projekte in einem Mitgliedsstaat ohne weiteres auf weitere Mitgliedsstaaten übertragen lassen.

Aus der deutsch-französischen Zusammenarbeit haben wir allerdings vorzeigbare Erfolge mit bilateralen sportbezogenen Integrationsprojekten zu verzeichnen. So haben im Auftrag des deutsch-französischen Ministerrates hundert Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren mit Migrationshintergrund bei einem einwöchigen Besuch im Juni vergangenen Jahres in Berlin erleben können, wie bei allen Problemen mit Sprachbarrieren der Sport zusammen führen kann. Die Gruppe von je 50 Deutschen und Franzosen waren im Bundesleistungszentrum Kienbaum bei Berlin untergebracht. Dort konnten sie nach Rückkehr von Terminen aus der Großstadt durch sportliche Aktivitäten unter Nutzung der für den Spitzensport hervorragend eingerichteten und ausgerüsteten Anlagen, Kontakte knüpfen, die teilweise in Freundschaften mündeten.

Das abschließende Kleinfeld-Fußballturnier wurde von allen Akteuren, gleichgültig ob Deutsche oder Franzosen, Jungen oder Mädchen, als absoluter Höhepunkt des gesamten Aufenthalts bewertet.

DOSB PRESSE: Haben Sie die integrative Kraft des Sports auch persönlich wahrgenommen, haben sie Beispiele dafür selbst erlebt?

SCHÄUBLE: Im März diesen Jahres hatte ich in Offenburg eine beeindruckende Begegnung mit jungen Leuten aus dem Projekt „KICKFAIR/KICKFORMORE“. In einer ungezwungenen Atmosphäre haben mir die Jugendlichen anschaulich berichtet, wie sie über das Fußballspiel gelernt haben, Verantwortung zu übernehmen, später selbst Gruppen zu leiten. Einhergehend mit dieser sportlichen Erfahrung wurde ihr Selbstbewusstsein so gestärkt, dass sie die einmal abgebrochene Schulausbildung bzw. Lehre wieder aufgenommen und zu einem qualifizierten Abschluss geführt haben.

Dies ist nur eines von vielen positiven Beispielen für die Erfolge des Programms „Integration durch Sport“. Es zeigt allerdings, wie gut unsere Mittel angelegt sind. 


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