„Runder Tisch“ zum Thema Sturzprävention in Stuttgart

Bei einem „Runden Tisch Sturzprävention“ haben sich in Stuttgart Vertreter der Mitgliedsorganisationen des DOSB zusammengefunden, um das Thema Sturzprävention im organisierten Sports zu beraten.

Bewegung im Alter ist ein wesentlicher Beitrag zur Sturzprävention. Copyright: picture-alliance
Bewegung im Alter ist ein wesentlicher Beitrag zur Sturzprävention. Copyright: picture-alliance

Fünf Millionen Mal pro Jahr kommen schätzungsweise Bundesbürger zu Fall. Laut Statistik stürzt jeder Dritte über 65 Jahre mindestens einmal pro Jahr, bei den über 80-Jährigen sogar jeder Zweite. Doch bei einem Sturz brechen nicht nur die Knochen, die individuellen wie auch gesellschaftlichen Folgen der Stürze sind erheblich: viele Ältere verlieren danach ihr Selbstvertrauen und ziehen sich zurück, oftmals entsteht eine Pflegebedürftigkeit, und für die unmittelbare medizinische Behandlung entstehen in Deutschland Kosten von über einer Milliarde Euro im Jahr. 

Durch ein regelmäßiges Bewegungsprogramm können laut Untersuchungen ein Drittel der Stürze verhindert werden. Grund genug für den Sport, sich in diesem Bereich noch stärker zu engagieren. Dabei ist ein Bewegungstraining für Ältere, wie es in vielen Vereinen stattfindet, bereits schon eine wichtige Maßnahme, um Kraft und Gleichgewicht auch im hohen Alter zu erhalten und Stürze zu verhindern. 

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am „Runden Tisch Sturzprävention“ waren sich einig, das Angebot für alte Menschen in den Vereinen hier stetig ausweiten zu wollen und somit auch der demographischen Entwicklung Rechnung zu tragen. 

Der Deutsche Turner-Bund und einige Landessportbünde haben zudem zielgerichtete Sturzpräventionsprogramme aufgelegt, die vor allem das Kraft- und Balancetraining in den Vordergrund stellen. 

Wichtig erscheint, das Bewusstsein über die hohe sozial- und gesundheitspolitische Bedeutung von Bewegungsprogrammen für Ältere zu erhöhen, denn durch Sport und Bewegung können bis ins hohe Alter positive Effekte für die Gesundheit erzielt werden. Hier wäre es wünschenswert, wenn noch mehr Vereine für Angebote für Ältere, bis hin zu den Hochaltrigen, aktiviert werden könnten. Konzepte liegen bereits vielfältig in den Verbänden vor, neben dem allgemeinen Bewegungstraining und der Sturzprävention auch in den Bereichen „Bewegung bei Demenz“, „Osteoporose“, „Diabetes“ und vieles mehr. Dabei kommt auch der Aus- und Fortbildung von
Übungsleitern eine große Bedeutung zu, denn bei der steigenden Zahl der Älteren wird hier immer mehr qualifiziertes Personal gebraucht. 

Das Thema „Sport der Älteren“ ist in den Mitgliedsorganisationen des DOSB angekommen und erhält dort steigende Bedeutung. „Senioren sind unsere Zukunft“ - die Vielfalt des Angebotes des Sports hält sie in Bewegung! 

"Vereine habe große, viel versprechende Aufgaben vor sich"

Interview mit Privatdozent Dr. Clemens Becker, Chefarzt der Klinik für Geriatrischen Rehabilitation des Robert-Koch-Krankenhauses Stuttgart und Leiter des baden-württembergischen Programms zur Sturzprävention bei Heimbewohnern und Leiter der Arbeitsgruppe des europäischen Netzwerks zur Sturzprävention (ProFaNe).

DOSB PRESSE: Jährlich werden in Deutschland ca. 120.000 sturzbedingte Hüftfrakturen und rund 160.000 Brüche von Handgelenk, Unterarm oder der Schulter registriert - Tendenz steigend. Was sind die Ursachen für diese vielen Stürze, die oft ja auch zu persönlichen Schicksalen werden? 

BECKER: Die häufigsten Probleme sind Balancedefizite und muskuläre Atrophie. Weitere wichtige Risikofaktoren sind Seheinschränkungen, Medikamente, die die Reaktionsfähigkeit einschränken und kognitive Probleme, insbesondere die nachlassende Fähigkeit der geteilten Aufmerksamkeit, also gleichzeitig zu gehen und kognitive Probleme zu bearbeiten. Bei älteren Menschen sind die neuromuskulären Problem wichtiger als die oft vorliegende Osteoporose. 

DOSB PRESSE: In Ihrem Ulmer Modell haben Sie nachgewiesen, dass sich ein Drittel der Stürze vermeiden lassen würden. Welche Rolle spielen dabei Bewegungsprogramme? 

BECKER: Das körperliche Training ist der Kernbestandteil des Programms. Die Teilnehmer wollen vor allem möglichst selbstständig sein und aktiver werden. Das erreicht man nur mit regelmäßigem Training. Die anderen Maßnahmen flankieren das Trainingsprogramm. Eine wirksame Sturzprävention ohne aktives Bewegungsprogramm ist bis auf ganz wenige Ausnahmen wirkungslos. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass nicht jedes Programm geeignet ist. Wirksame Programme müssen Balance und Kraft trainieren, sie sind progressiv und fordern die Teilnehmer. Programme sollten anstreben, mehr als einmal in der Woche zu trainieren. 

DOSB PRESSE: Sind diese Bewegungsprogramme für alle Altersgruppen geeignet? 

BECKER: Ohne Einschränkungen ja, wir wissen inzwischen, dass wir auch Hundertjährige muskulär und koordinativ trainieren können. Wichtig ist es bei den Altersgruppen ab 70, verstärkt Balance zu trainieren, dies gilt für Männer und Frauen. Bei Frauen muss außerdem frühzeitig ein Krafttraining beginnen. Nach dem gegenwärtigen Wissenstand sind die Programme am wirksamsten für Frauen ab 75 Jahre, die beginnende Einschränkungen haben oder gestürzt sind. 

DOSB PRESSE: Was ist aus Ihrer Sicht notwendig, um bei einer älter werdenden Bevölkerung Stürze nachhaltig zu verhindern? Welche Rolle spielen dabei die Sportvereine und -verbände? 

BECKER: Etwa 70 % der Stürze und schweren Verletzungen ereignen sich bei Menschen, die zu Hause leben. 30 % der sturbedingten Unfälle finden in Heimen und Krankenhäusern statt. Es geht jetzt darum, dass es uns in den nächsten fünf Jahren gelingt, Bewegungsprogramme für ältere Menschen flächendeckend in Deutschland anzubieten. Dafür müssen wir m. E. etwa 5.000 bis 8.000 Übungsleiter ausbilden. In England und in Neuseeland ist dies bereits gelungen. Das Thema muss beim Hausarzt, beim Facharzt und von den Sozialstationen ernst genommen werden. Für die Ansprache der Teilnehmer sind diese Berufsgruppen enorm wichtig. Natürlich haben auch die genannten Berufsgruppen eine wichtige Aufgabe. Die Physiotherapie wird gebraucht, um bei schwer betroffenen Personen, z. B. nach Schlaganfall oder bei Parkinsonscher Krankheit gezielt zu trainieren. Die Ergotherapie sollte sich um eine gute Anpassung des Wohnumfelds kümmern. Die Vereine haben hier eine große viel versprechende Aufgabe vor sich. Hieraus ergeben sich Pflichten und auch Chancen. Außer den Sportvereinen gibt es kaum eine Organisation, die diese Angebote flächendeckend anbieten könnte. Die Verbände sind aufgefordert, die Qualifikation der Übungsleiter zu gewährleisen und diese fortzubilden.


  • Bewegung im Alter ist ein wesentlicher Beitrag zur Sturzprävention. Copyright: picture-alliance
    Bewegung im Alter ist ein wesentlicher Beitrag zur Sturzprävention. Copyright: picture-alliance