„Safe Sport“

In der Studie „Safe Sport“ gaben ein Drittel der Befragten an sexualisierte Gewalt erfahren zu haben. Deshalb muss es das Ziel sein, Vereine zu einem sicheren Ort zu machen, sagt Autorin Petra Tzschoppe.

Sportvereine können und sollen Selbstvertrauen geben und ebenso Vertrauen zu anderen ermöglichen. Foto: picture-alliance
Sportvereine können und sollen Selbstvertrauen geben und ebenso Vertrauen zu anderen ermöglichen. Foto: picture-alliance

Haben Sie schon vom Plettenberger Turnverein 1868 e.V. gehört oder gelesen? Wahrscheinlich nicht, obwohl der Verein im November des letzten Jahres im Vereinswettbewerb „Starke Netze gegen Gewalt!“ mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurde. Gewürdigt wurde das herausragende Engagement im Bereich der Prävention von Gewalt. Der Verein zeigt Mädchen und Frauen ihre Stärken und wie sie diese selbstbewusst gegen Gewalt einsetzen können. Sie lernen rechtliche Möglichkeiten und Konsequenzen kennen und erfahren, wo es Beratungs- und Hilfsangebote gibt. Mädchen und Jungen werden in ihrer Wahrnehmung bestärkt und ermutigt, „komische Vorfälle oder Erlebnisse“ unbedingt Vertrauenspersonen zu erzählen.

Der Verein hat sich wichtige Kooperationspartner vor Ort gesucht wie Caritas, Diakonisches Werk, Familienzentren, Kitas, die örtliche Gleichstellungsbeauftragte und Gesprächsrunden gegen häusliche Gewalt. Über gemeinsame öffentliche Aktionen wie auch über Soziale Netzwerke und Flyer wurde die Öffentlichkeit sensibilisiert und eine große Beteiligung an den Präventionsangeboten erreicht. So wie der Plettenberger TV knüpfen zahlreiche Vereine vor Ort seit beinahe zehn Jahren im Rahmen der DOSB-Aktion starke Netze gegen Gewalt. Seit wenigen Wochen sind diese auch in der Angebotsdatenbank "Starke Netze gegen Gewalt" dokumentiert.

Da Medien dazu neigen, Themen eher über Skandalisierung zu setzen, ist es aber wahrscheinlicher, dass Sie Ende letzten Jahres über erschreckende Fälle von sexuellem Missbrauch im englischen Fußball und im US-amerikanischen Turnverband gelesen haben. Hunderte Betroffene, denen dies in ihrer Kindheit und Jugend in den 1980er- und 90er-Jahren von Trainern oder Scouts in ihren Fußballclubs angetan wurde, haben sich bereits gemeldet. Ebenso gelangen nun nahezu 400 Fälle sexuellen Missbrauchs von Trainern und anderen Verantwortlichen an jungen amerikanischen Turnerinnen und Turnern an die Öffentlichkeit.

Welcher Bezug besteht zwischen diesen entsetzlichen Vorfällen und dem Eingangsbeispiel? Sie drängen zu der Frage, ob der Bereich des Sports ein besonders hohes Gefährdungspotenzial für sexualisierte Gewalt aufweist oder aber ob er tatsächlich stark macht gegen Gewalt und sexuelle Übergriffe. Wir hören von einzelnen Fällen, aber was wissen wir jenseits von Behauptungen und Vermutungen gesichert darüber, ob Sport ein mehr oder weniger gefährliches Feld für sexuelle Gewalt ist als andere Bereiche der Gesellschaft?

Empirische Ergebnisse dazu liefert erstmals für Deutschland die Studie „Safe Sport“, erarbeitet von Wissenschaftler/innen der Deutschen Sporthochschule Köln und des Universitätsklinikums Ulm. Konkret wurden Daten für Häufigkeiten und Formen sexualisierter Gewalterfahrungen von 1.799 befragten Kaderathleten/innen erhoben. Des Weiteren wurde der Umsetzungsstand von Präventions- und Interventionsmaßnahmen im organisierten Sport analysiert. Die Studie wurde beim 7. Forum „Gegen sexualisierte Gewalt im Sport!" am 15. November 2016 in Leipzig öffentlich vorgestellt. Nun hat sich auch der Sportausschuss des Deutschen Bundestages in seiner Sitzung am 22. März 2017 mit diesem Thema beschäftigt.

Projektleiterin Dr. Bettina Rulofs gab einen Überblick zu den Hauptergebnissen, im Anschluss diskutierten die Abgeordneten mit Experten/innen von DOSB, Deutscher Sportjugend (dsj) und dem durch die Bundesregierung berufenen Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs über die Befunde und mögliche Schlussfolgerungen.

In den Hauptbefunden der Studie heiß es, dass etwa ein Drittel der befragten Kaderathleten/in-nen bereits einmal sexualisierte Gewalt erfahren hat. Zugrunde gelegt wurde dafür ein weites Begriffsverständnis, das Formen wie verbale und gestische sexualisierte Übergriffe, sexualisierte Handlungen ohne Körperkontakt und sexualisierte Gewalt mit Körperkontakt erfasst. Diese Zahl besagt zugleich, dass das Ausmaß an sexualisierter Gewalt im Spitzensport ebenso groß ist wie in der Allgemeinbevölkerung. Dies ist freilich keine Aussage, die zu Zufriedenheit veranlasst, ganz klar, es ist eine alarmierende Zahl, jeder einzelne Fall ist einer zu viel und fordert den Sport, den Kampf gegen sexualisierte Gewalt zu intensivieren.

Wie der Stand der Prävention und Intervention in den Mitgliedsorganisationen und Sportvereine gegenwärtig ist, hat die Studie ebenfalls untersucht. Es wurde deutlich, wie bedeutsam der Beitrag von DOSB und dsj bei der Prävention sexualisierter Gewalt ist. Alle Landessportbünde, gut 90 Prozent der Spitzenverbände und 85 Prozent der Verbände mit besonderen Aufgaben bestätigten, dass sie Unterstützung durch den obersten Dachverband erhalten. Insbesondere die dsj wird im Kampf gegen sexualisierte Gewalt seit Jahren als engagierte Impulsgeberin wahrgenommen. Gerade der Schutz von Kindern und Jugendlichen ist ein besonders hohes Gut. Dennoch, und auch das zeigt die Studie: Auch im Erwachsenenbereich gibt es Opfer von sexualisierter Gewalt, und die Täter sind ganz überwiegend Erwachsene.

Die Auseinandersetzung ist deshalb zugleich ein Thema des gesamten DOSB. Dies ist es auch nicht erst seit Veröffentlichung der Studie im November 2016. Aktivitäten gab es bereits vor der Münchner „Erklärung des deutschen Sports zur Prävention und zum Schutz vor sexualisierter Gewalt“ 2010, die das  Prinzip „Vorbeugen und Aufklären, Hinsehen und Handeln!“ bekräftigte. Mit dieser gingen die Mitgliedsorganisationen eine Selbstverpflichtung ein. Einige Jahre später zeigt die Studie nun, dass alle Landessportbünde bereits tätig sind, während sowohl bei den Spitzenverbänden als auch bei den Verbänden mit besonderen Aufgaben noch längst nicht alle entsprechende Maßnahmen ergriffen haben. Besonders groß erscheint der Nachholbedarf auf der Ebene der Vereine. Gut ein Drittel gab im Rahmen der Befragung zum Sportentwicklungsbericht an, sich aktiv gegen sexualisierte Gewalt einzusetzen. Für ein relevantes Thema hält dies lediglich die Hälfte der befragten Sportvereine.

Ziel muss es sein, dass in jedem Verein der Kampf gegen sexualisierte Gewalt als ein bedeutsames Thema verstanden wird. Und das nicht im Sinne „noch einer zusätzlichen Aufgabe“, sondern als grundlegendes Handlungsprinzip, als ganz selbstverständliche Haltung. Denn es sind die Sportvereine, in denen Menschen zum gemeinsamen Sporttreiben zusammenfinden, in denen sie Nähe erfahren – soziale, emotionale und auch körperliche Nähe. Gemeinsame Trainingslager und Wettkampffahrten, Trainer und Trainerinnen als vertraute Personen, miteinander jubeln, sich gegenseitig trösten sind Ausdruck dieser besonderen Nähe. Daraus darf keine gefährliche Nähe werden. Sportvereine können und sollen mit all dem, was sie für Kinder, Jugendliche und Erwachsene bieten, Selbstvertrauen geben und ebenso Vertrauen zu anderen ermöglichen. Mit sportlicher Aktivität können Ängste abgebaut und die Gewissheit der eigenen Fähigkeiten gestärkt werden. Fundamental dafür ist ein Klima des gegenseitigen Respekts und der Wertschätzung. Dazu gehört auch eine klar kommunizierte „Kultur des Hinsehens und der Beteiligung“. In einem solchen Klima kann im Miteinander des Vereins auch die Aufmerksamkeit und Sensibilität gedeihen, um etwa Betroffenen von Gewalt im familiären Bezug (dem häufigsten Tatort) zu helfen, durch ein soziales Umfeld mit Personen, denen sie sich anvertrauen können und die für Hilfe sorgen. Vereine können auch in diesem Sinne eine Schutzfunktion ausüben.

Das heißt auch, vor allem die Vereine in der Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt zu sensibilisieren und zu begleiten. Im Sportausschuss wurde zudem bekräftigt, dass es noch eine Reihe von Spitzenverbänden gibt, die gleichermaßen gefordert und befähigt werden müssen. Dazu bedarf es neben der Verankerung in den Förderkriterien auch angemessener Ressourcen. Zu den formulierten Forderungen gehörten auch das Einbinden entsprechender Inhalte über die Aus- und Fortbildungen innerhalb des Sportsystems hinaus auch in die sportwissenschaftlichen Ausbildungsgänge an Universitäten und Hochschulen. Ebenso wurde der Bedarf an weiteren Forschungen angemahnt, die dann auch Aussagen liefern etwa zu sexualisierter Gewalt im Breitensport oder in ehrenamtlichen und beruflichen Sportkontexten. Die Diskussion im Ausschuss verdeutlichte, dass Sport und Politik den Kampf gegen sexualisierte Gewalt als gemeinsames Anliegen verstehen.

Damit letztlich jeder Verein so wie der Plettenberger Turnverein 1868 e.V. ein sicherer Ort ist, der Schutz bietet und stark macht gegen jegliche Form von Gewalt.

(Autorin: Petra Tzschoppe ist Dozentin für Sportsoziologie und Sportgeschichte an der Universität Leipzig und DOSB-Vizepräsidentin Frauen und Gleichstellung)

In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier als DOSB-Blog veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder. 


  • Sportvereine können und sollen Selbstvertrauen geben und ebenso Vertrauen zu anderen ermöglichen. Foto: picture-alliance
    Sportvereine können und sollen Selbstvertrauen geben und ebenso Vertrauen zu anderen ermöglichen. Foto: picture-alliance