Safe Sport - Ein Zukunftsplan und eine Roadmap!?

Die DOSB-Mitgliederversammlung wird am 2. Dezember unteranderem über den Zukunftsplan Safe Sport abstimmen. Aber brauchen wir ihn überhaupt, fragen Bettina Rulofs und Sylvia Schenk.

Die Fälle von sexuellen Übergriffen im Sport erfordern weitere Maßnahmen. Foto: picture-alliance
Die Fälle von sexuellen Übergriffen im Sport erfordern weitere Maßnahmen. Foto: picture-alliance

In Bremerhaven steht ein Tennistrainer wegen langjähriger sexueller Übergriffe vor Gericht, im Ruhrgebiet wird ein Judotrainer nach Missbrauch von 23 Kindern zu neun Jahren Haft verurteilt, der Deutsche Schwimmverband zahlt dem Olympiazweiten im Wasserspringen Jan Hempel 600.000 Euro als Schadensersatz und Schmerzensgeld für jahrelangen Missbrauch durch seinen Trainer. Allein die Schlagzeilen aus Oktober 2023 scheinen zweierlei zu belegen: Sexualisierte Gewalt und Missbrauch existieren quer durch die Sportarten und die Republik, und scheinbar funktionieren auch Meldung und Verfolgung, zumindest in diesen Fällen. Wozu dann noch ein Zentrum für Safe Sport, aktuell vom BMI mit einer Roadmap auf den Weg gebracht, und ein Zukunftsplan für Safe Sport, der von der DOSB-Mitgliederversammlung Anfang Dezember verabschiedet werden soll?

Bei näherer Betrachtung der aufgeführten Fälle werden jedoch die bestehenden Defizite und der hohe Bedarf an weiteren Maßnahmen deutlich. Jahrelanger Missbrauch gedeiht in einem naiv-verantwortungslosen Umfeld, wo Erfolg den Machtmissbrauch übertüncht, so dass niemand hinter die Fassade schaut, manche es auch gar nicht so genau wissen wollen. Und Jan Hempel musste sich den Medien offenbaren, weil er keine unabhängige Stelle fand, der er sich anvertrauen konnte.

Um wirksam Gewalt, sexuelle Übergriffe und Missbrauch zu verhindern oder frühzeitig aufzudecken, und den Betroffenen effektive Hilfe zu gewähren, braucht es im Dschungel des deutschen Sportvereins- und Verbandswesen ein Bewusstsein für die Mechanismen der Ausnutzung von Machtgefälle und Abhängigkeiten. Ausnahmslos alle, wo auch immer sie im Sport ehren- oder hauptamtlich tätig sind, müssen sich über eng verstandene Zuständigkeitsgrenzen hinweg in der Verantwortung sehen für den Schutz vor jeglicher Art von Diskriminierung und Gewalt. Das schließt Eltern und die Athlet*innen selbst mit ein.

Der Zukunftsplan Safe Sport, in einem partizipativen Prozess im organisierten Sport entwickelt, betont dementsprechend die originäre Verantwortung der Vereine und Verbände und zeigt auf, wie die derzeit bestehenden Lücken hin zu einem umfassenden Netzwerk für einen sicheren Sport gefüllt werden können. Der strategische Ansatz ermöglicht einen systematischen Aufbau in den kommenden Jahren und kann als Anknüpfungspunkt für Förderbedingungen und staatliche Unterstützung dienen. Allein mit der Errichtung eines von den Sportorganisationen unabhängigen Zentrums für Safe Sport ist es nämlich nicht getan. Im Gegenteil: Ein isoliertes Safe Sport-Zentrum, das nicht auf einer soliden Basis von Aktivitäten zum Schutz vor Gewalt auf allen Ebenen der Sportorganisationen aufsetzt, könnte schnell zu einem Feigenblatt für die Verantwortlichen in Politik und Sport verkommen. Deshalb ist die umfassende Verantwortungsübernahme der Sportorganisationen für einen sicheren, diskriminierungsfreien Sport ebenso nötig wie eine unabhängige, externe Institution, die unterstützt, evaluiert und eingreifen kann, wenn Sportverbände unzureichend tätig werden. Dabei ist ein Traumainformierter Ansatz zentral, der in der bisherigen Vorgehensweise des Bundesinnenministeriums beim Stakeholder-Prozess zur Entwicklung eines Zentrums für Safe Sport leider verloren ging, was ein vertrauensvolles und konstruktives Miteinander in der Sache eher behindert als gefördert hat.

Der Zukunftsplan Safe Sport sieht das Zentrum als „wichtigen Beitrag der staatlichen Akteure, um insbesondere unabhängige Hilfen für Betroffene sowie Expertise in der Aufarbeitung aufzubauen und anzubieten“. Es ist die Bringschuld des BMI, nunmehr eine solche Einrichtung systematisch und rechtssicher aufzubauen und parallel dazu gemeinsam mit DOSB und dsj die Verzahnung mit dem Netzwerk für sicheren Sport in Verbänden und Vereinen zu definieren. Das setzt allerdings eine vertrauensvolle und sachorientierte Zusammenarbeit von Staat, Sport und weiteren Stakeholdern voraus, an der es in den vergangenen Monaten leider gemangelt hat. Für Misstrauen der zentralen Akteure untereinander ist das Ziel des sicheren, gewalt- und diskriminierungsfreien Sports zu wichtig! Deutschland braucht eine wohldurchdachte, solide Safe Sport-Architektur mit einer klaren Verantwortungs- und Aufgabenteilung zwischen Sport und Staat. Der Zukunftsplan Safe Sport von dsj und DOSB liefert wichtige Ansatzpunkte, die Entwicklung im Sport in den nächsten Jahren dahingehend zu steuern, sofern den Worten auch Taten folgen. Die Roadmap des BMI-Stakeholder-Prozesses für ein unabhängiges Zentrum für Safe Sport enthält wichtige Leitplanken, lässt aber noch juristische Fragen offen. Diese sachorientiert, umfänglich und partnerschaftlich zu klären, sollte das gemeinsame Ziel von Staat und organisiertem Sport sein.

Es braucht also beides: Einen Zukunftsplan von DOSB und dsj sowie eine Roadmap für eine unabhängige Clearingstelle. Aber vor allem braucht es ein sachorientiertes Aufeinander-zu-Gehen von Staat und DOSB, damit Gewalt und Machtmissbrauch im Sport wirksam bekämpft werden und Betroffene die nötige Hilfe bekommen.

(Autorinnen: Bettina Rulofs und Sylvia Schenk)

In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.

 


  • Die Fälle von sexuellen Übergriffen im Sport erfordern weitere Maßnahmen. Foto: picture-alliance
    Person drückt die Hände gegen eine beschlagene Scheibe. Foto: picture-alliance