Schwarze Liste für Weiße Elefanten

Mit der Agenda 2020 des IOC sollen teure und große Sportbauten bei Olympischen Spielen künftig der Vergangenheit angehören. Und das ist auch gut so, findet Autor Stefan Klos.

Das Aquatics Centre in London erhielt zu den Spielen 2012 zwei temporäre Anbauten, die nach den Wettkämpfen wieder entfernt wurden. Foto: picture-alliance
Das Aquatics Centre in London erhielt zu den Spielen 2012 zwei temporäre Anbauten, die nach den Wettkämpfen wieder entfernt wurden. Foto: picture-alliance

Wird in Thailand ein Albino-Elefant geboren, geht er als Zeichen von enormem Reichtum in den königlichen Besitz über. Früher soll der König diesen Umstand geschickt zur Erhaltung seiner Macht genutzt haben, indem er die heiligen Tiere an unbequeme Untertanen verschenkt hat. Sie durften nicht zur Arbeit eingesetzt werden, brauchten aber viel Pflege und Futter und so wurden ihre neuen Besitzer nicht selten durch ein vermeintlich großzügiges Geschenk in den finanziellen Ruin getrieben. Denn weiße Elefanten sind groß, teuer und nutzlos.

Auf diese Legende zurückgehend nennt man ambitionierte Prestigeprojekte mit hohen Unterhaltskosten aber ohne nachgewiesenen Bedarf heute oft „weiße Elefanten“. Und während die echten weißen Elefanten akut in ihrem Bestand gefährdet sind, vermehrten sich deren metaphorische Artgenossen in den letzten Jahrzehnten scheinbar bevorzugt in der natürlichen Umgebung von Sportgroßveranstaltungen.

Für Olympische Spiele werden beispielsweise mehr als 30 Wettkampfstätten mit zum Teil zehntausenden Sitzplätzen benötigt. Und die sind während der Spiele tatsächlich meistens gut gefüllt. Denn das Olympische Flair zieht Millionen Menschen zu Sportveranstaltungen, die sonst mit nur einem Bruchteil an Zuschauern rechnen dürften.

Für die wirtschaftlich erfolgreichen Mega-Events der 2000er Jahre wurden deshalb häufig Hallen und Stadien mit viel zu großen Kapazitäten maßgeschneidert, für die es keine gesicherte Nachnutzung gab. Ohne sportliche Nachfrage oder ein Konzept zur Finanzierung der hohen Betriebskosten wurden aus den einstigen Statussymbolen stolzer Sportnationen vielerorts städtebauliche Staubfänger – Monumente für Momente.

Diese weißen Elefanten sind sicherlich nicht der einzige, aber einer der offensichtlichsten Gründe für das öffentliche Misstrauen, das Sportgroßveranstaltungen seit einigen Jahren entgegengebracht wird. Sie wurden zum leicht erklärbaren Stammtisch-Symbol dafür, dass der kommerzialisierte Sport auf Kosten des Steuerzahlers in Saus und Braus lebt. Und sie haben wahrscheinlich zahlreiche Menschen in München, Hamburg, Boston, Sion, Innsbruck oder Calgary bewogen, in Bürgerbefragungen gegen eine Ausrichtung Olympischer Spiele in ihrer Stadt zu stimmen. Darunter viele, die mit großer Freude regelmäßig Sport treiben und Sportgroßveranstaltungen verfolgen.

Das Internationale Olympische Komitee hat diese Zeichen erkannt und deutlich reagiert. Die unter dem Präsidenten Thomas Bach beschlossene Agenda 2020 umfasst alle drei wesentlichen Grundsätze zur Geburtenkontrolle weißer Elefanten:

1) Die Nachnutzung ist die Hauptnutzung

Sportstätten müssen in erster Linie für 30 Jahre langfristige Nachnutzung und nicht für 30 Tage kurzfristige Eventnutzung geplant werden. Die für die Spiele 2012 in London entwickelte Schwimmhalle ist ein Musterbeispiel, dass sich architektonischer Anspruch und Pragmatismus nicht ausschließen müssen. Das Aquatics Centre hatte zwei temporäre Anbauten, die die eigentliche Kapazität von 2.500 Sitzplätzen nur für die olympischen Schwimmwettbewerbe auf 17.500 erhöhten. Nach Ende der Veranstaltung wurden die Erweiterungsflügel demontiert und die Schwimmhalle erreichte ihre endgültige Form und wahre Schönheit.

2) Voll ist besser als viel

Die Atmosphäre einer Sportstätte lebt von der Nähe und einer hohen Dichte und nicht unbedingt von der Größe. In den überarbeiteten Regelwerken des IOC gibt es deshalb keinerlei Mindestkapazitäten mehr, um die Nutzbarkeit bestehender Stadien und Arenen zu maximieren. Die Kapazität des für Tokio 2020 geplanten Olympiastadions wurde beispielsweise noch in der Planungsphase von 80.000 auf 60.000 Plätze reduziert, um zu einem nachhaltigeren und kostengünstigeren Entwurf zu kommen.

3) Dezentral ist nachhaltiger als bauen

Insbesondere für Sondersportstätten, die teuer und schwer nachnutzbar sind, verbietet das IOC mittlerweile sogar ausdrücklich einen Neubau. So sollen für Winterspiele nur noch bestehende Skisprungschanzen oder Bobbahnen benutzt werden, selbst wenn dafür lange Reisezeiten, sogar in Nachbarländer, notwendig werden. In Mailand Cortina 2026 werden beispielsweise mit über 90 Prozent deutlich mehr existierende oder temporäre Sportstätten als bei früheren Winterspielen genutzt. Das führt zwar zu größeren Entfernungen im Vergleich zu den kompakten Spielen der Vergangenheit, vermindert aber die Investitions-, Veranstaltungs- und Folgekosten erheblich.

Olympische und Paralympische Spiele schaffen alle vier Jahre ein Stück Zeitgeschichte. Durch sie rückt die Menschheit zusammen. Es ist das gemeinschaftliche Erlebnis sportlicher Höchstleistungen und mitreißender Emotionen, das ihre Besonderheit ausmacht. Dazu braucht es eine atmosphärische Dichte und manchmal ein Dach über dem Kopf. Aber nicht zwingend monumentale Architektur.

Das erfordert von Veranstaltern und Planern weniger gestalterisches Ego und mehr gesellschaftliche Verantwortung. Das IOC hat das verstanden und mit der Agenda 2020 konsequent umgesetzt. Und das ist auch gut so. Denn weiße Elefanten sind sehr groß, sehr teuer und sehr nutzlos.

(Autor: Stefan Klos, Geschäftsführender Gesellschafter der PROROJEKT GmbH)

In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.


  • Das Aquatics Centre in London erhielt zu den Spielen 2012 zwei temporäre Anbauten, die nach den Wettkämpfen wieder entfernt wurden. Foto: picture-alliance
    Das Aquatic Centre während der Olympischen Spiele in London 2012. Foto: picture-alliance