Schwimmende „Albatrosse“ unterm riesigen Offenbacher Zeltdach

Der dritte Teil der Serie Stars und ihre Vereine: Zu Zeiten, da Michael Groß für den Ersten Offenbacher Schwimm-Club (EOSC) durchs Wasser pflügte, verfügte die Stadt am Main noch über mehrere Bäder.

Im heimischen Freibad  konnte der „Albatros“, der es bei einer Körpergröße von 2,01 Meter auf eine Arm-spannweite von 2,13 Meter brachte, nur in der warmen Jahreszeit trainieren. Im Winter musste der dreimalige Olympiasieger von 1984 und 1988 nach nebenan, zum Beispiel ins „Tambour“-Bad am Bieberer Berg, ausweichen. Heute wäre das nicht mehr nötig. Alle anderen Becken sind längst geschlossen. Das Waldschwimmbad des EOSC blieb von der Welle der Schließungen verschont und kann dank einer großen Traglufthalle, die einem Ufo gleich über das 50-m-Becken gespannt ist, mittlerweile sogar in der kalten Jahreszeit genutzt werden. 

Normans Wechsel von Michael Groß zu Lukasz Wojt

Auf einer der weißen Bänke im Foyer sitzt Norman Geres und muss wegen einer Fußverletzung vom Training aussetzen. Den 13-Jährigen aus der 1. Männermannschaft, die in der 2. Bundesliga schwimmt, schmerzt die Pause sichtlich. „Schwimmen ist für mich mehr als ein Hobby. Ich versuche, jeden Tag zu kommen. Aber wegen der Hausaufgaben und der Schule wird es immer schwerer“, berichtet der Gymnasiast. Im Alter von sieben Jahren war er mit seinen Eltern aus Rumänien gekommen und hatte ein paar Monate später beim EOSC eine sportliche Heimat gefunden. Unter Schwimmbegeisterten ist der Verein bis heute eine bekannte Adresse. „Zuerst war natürlich Michael Groß mein großes Vorbild wie für fast alle hier. Leider habe ich ihn noch nie persönlich kennen gelernt“, sagt Norman und zeigt auf ein großes Foto an der Wand. Jetzt sei Lukasz Wojt sein Vorbild, der bei den Olympischen Spielen in Peking für Polens Nationalteam auf den Startblock kletterte. Wojt ging im Offenbacher Bad ein und aus, nach Olympia wechselte er vom EOSC zur SG Frankfurt. „Der bekam hier Einzeltraining“, weiß der Junge auf der Bank. „Da habe ich immer mal zugeguckt und habe versucht, etwas zu klauen.“

Michael Groß, der nach der aktiven Laufbahn Germanistik, politische Wissenschaften und Medienwissenschaften studierte, promovierte und heute jenseits des Mains in Frankfurt als Unternehmensberater tätig ist, unterhält nur noch wenig Kontakt mehr zu Jenen, die ihm nacheifern und manchmal voller Ehrfurcht zu dem ziemlich alten Foto im Foyer blicken, wenn sie Straßenschuhe gegen Badeschlappen tauschen. In seiner aktiven Zeit sei er zur Genüge in Schwimmhallen gewesen. Seit Jahren verfolge er das Geschehen im Schwimmsport nur noch via TV und anlässlich von Olympischen Spielen, sagt der 44-Jährige. „Trotzdem habe ich natürlich über die Medien mitbekommen, dass es beim EOSC einige Probleme gibt.“

Schwerer Wellengang im vergangenen Jahr

Aus dem 2.023 Mitglieder zählenden Verein mit seiner starken Basketball- und Triathlon-Abteilung ragen die 1.400 Schwimmer deutlich heraus. Auslöser für die schweren Turbulenzen in der jüngeren Vergangenheit waren Nachforderungen des Finanzamtes in Höhe von wahrscheinlich mehr als 30.000 Euro. Die Behörde mahnte im vorigen Jahr ausstehende Zahlungen für die bis dato vier Vereins-Trainer an, von denen sich Ex-Cheftrainer Mircea Hohoiu mittlerweile zum SC Wiesbaden verabschiedete. Verärgert über diese Entwicklung, warf anschließend der frühere Groß-Coach Hartmut Oeleker freiwillig das Handtuch. Als Schwimmwart des hessischen Verbandes ist er jedoch weiterhin eng mit dem Landesstützpunkt Offenbach verbunden und hofft auf wieder ruhigeres Wasser.

„Das hoffen wir alle“, unterstreicht Michael Laufenberg, der im Zuge der Querelen im Herbst die Schwimmabteilung übernahm. Der 44 Jahre alte Bankkaufmann ging früher bei den Wasserballern auf Torjagd und gehört dem EOSC seit fast 35 Jahren an, seine Töchter Ann-Kathrin und Lisa schwimmen im ersten Damen-Team. Der Ärger über den schweren Wellengang, der zugleich den Aderlass von zehn Talenten zur Folge hatte, ist ihm ins Gesicht geschrieben. Dass jüngst die Mitgliedsbeiträge um 10 Prozent erhöht wurden, habe mit der Nachforderung des Finanzamtes direkt nichts zu tun. „Nach 14 Jahren war eine kleine Erhöhung eben wieder einmal fällig. Das ist nichts Ungewöhnliches.“

Das Ärgste scheint überstanden, doch die Folgen sind spürbar. Einzig Maximilian Vater, der bei den deutschen Jahrgangsmeisterschaften 2008 über 100 m und 200 m Freistil Platz sechs belegte, wandelt derzeit unter leistungssportlichen Aspekten ernsthaft auf den Spuren von Vereinsehrenmitglied Michael Groß. Kein Wunder demzufolge, dass unter der großen Traglufthalle, die ihr riesiges weißes Zeltdach über das azurblaue Wasser breitet, das Wort vom „Neubeginn“ die Runde macht. Der achtköpfige Vorstand harmoniert, die Kurse in der großen, zusammen mit Offenbachs Kindergärten organisierten Schwimmschule sind bis Mai ausgebucht, die Leistungsschwimmer trainieren sechsmal pro Woche fleißig. Es sei nur eine Frage der Zeit, wann der Nachwuchs wieder auf ganzer Breite so gut aufgestellt sein wird wie die Oldies. Neulich bei den hessischen Senioren-Meisterschaften räumten sie 35 Titel für den EOSC ab.

„Mit der SG Frankfurt können wir uns zur Zeit sportlich nicht messen“, räumt Laufenberg ein und fügt sofort hinzu, dass es die über Jahre gepflegte Konkurrenz mit den Nachbarn ohnehin nicht mehr gebe. Bei den Wasserballern, die neuerdings in der 2. Bundesliga als gemischtes Offenbach/Frankfurter Team antreten, ist die Rivalität bereits vollends verschwunden. Partnerschaft heißt die Devise auch bei den Schwimmern. Bereitwillig stellt der EOSC im Waldschwimmbad Trainingszeiten für aktuelle Spitzenschwimmer wie Helge Meeuw und andere Kader-Athleten des hessischen Verbandes zur Verfügung. Schon traditionell gilt dasselbe für die Mitglieder des TSV Heusenstamm und des Wassersportvereins Offenbach, die ohne den EOSC buchstäblich auf dem Trockenen sitzen würden.

Seit 20 Jahren bewährte Badbetreiber-Konstruktion

In der kalten Jahreszeit fällt die Kulanz relativ leicht, weil sich die Resonanz der normalen Badegäste bei 1.500 bis 2.000 Besuchern pro Monat in deutlichen Grenzen hält. Im Sommerhalbjahr jedoch, wenn das schöne Wetter zum Badevergnügen lockt, wird es eng und sind die Trainingszeiten in dem 50-Meter-Becken umkämpft, das dann selbstverständlich unverhüllt zwischen den schönen alten Bäumen steht. Seit rund 20 Jahren wird die Traglufthalle stets im April/Mai entfernt und im September/Oktober wieder montiert, nebenbei das Wasser komplett abgelassen, das Becken gereinigt und neues Wasser eingelassen. Ein Kraftakt, der stets zwischen drei und vier Wochen in Anspruch nimmt.

„Das ist zwar nicht optimal, aber insgesamt ist es die beste Lösung für die Stadt “, kommentiert Jürgen Weil vom städtischen Sportbüro die Offenbacher Variante des Hallenbads. Ohne das jahrelange Engagement des EOSC und seiner Mitglieder würde wahrscheinlich nicht einmal diese aus rein kommunalwirtschaftlichen Gründen geborene „Notlösung“ funktionieren. Rund 440.000 Euro überwies die Kommune im vorigen Jahr, um den Betrieb des Bades zu garantieren und die äußeren Voraussetzungen dafür zu gewährleisten. Bezahlt werden von der jährlichen Pauschale sämtliche Kosten von Technik bis Energie und natürlich die Aufwendungen für das Personal mit Geschäftsführer Stefan Schürmann, drei Schwimmmeistern, zwei Technikern sowie einer Reinigungskraft. Sämtliche Mitarbeiter sind beim Verein angestellt. Dessen Part besteht darin, das Haus mit Leben zu füllen und für eine ordentliche Auslastung zu sorgen.

Sobald der Sommerbetrieb beginnt, wird das Personal mit Saisonkräften aufgestockt. Ein Geschäft kann der EOSC mit diesem Modell nicht machen. Rein finanziell betrachtet, bleibt am Ende nichts für die Vereinskasse übrig. Im Gegenteil reiche der städtische Zuschuss „eigentlich nie aus“, wie Geschäftsführer Stefan Schürmann erklärt. „Wir bräuchten in jedem Jahr einen Jahrhundertsommer wie 2003.“ Damals waren 80.000 Gäste in das idyllisch gelegene Bad im äußersten Südwesten Offenbachs gekommen, das mit seiner großen Liegewiese unter den vielen Schatten spendenden Bäumen seinem Namen alle Ehre macht. Im vergangenen Sommer strömten 50.000 Besucher durch den Haupteingang, der nur in der Freiluftsaison sein blaues Gatter öffnet. In der kalten Jahreszeit müssen die Gäste des Waldschwimmbandes einen Nebeneingang benutzen. Glücklicherweise haben Verein und der von ihm betriebene „Zweckbetrieb“ getrennte Kassen. So wird vermieden, dass die Verluste nach einem verregneten Sommer auf den EOSC-Etat durchschlagen und der Ruin droht. „Bis jetzt haben wir uns mit der Stadt noch immer einigen können“, sagt Schürmann. Was die Betriebskosten für 2009 betrifft, herrscht dringend Gesprächsbedarf. Zum 1. Oktober hatte der örtliche Energieversorger seine Preise um fast 20 Prozent erhöht.