Spiele im Wandel

Was bedeutet der olympische Erfolg im Nachbarland nun für eine erneute Bewerbung Deutschlands, fragt Stephan Brause, Leiter der Stabsstelle Olympiabewerbung.

Die Spiele in Paris 2024 haben in vielen Bereichen neue Maßstäbe gesetzt. Foto: picture-alliance
Die Spiele in Paris 2024 haben in vielen Bereichen neue Maßstäbe gesetzt. Foto: picture-alliance

Keine Frage, es waren wahrlich beeindruckende und emotionale Momente und Bilder, die die Olympischen und Paralympischen Spiele von Paris in den zurückliegenden Wochen en masse kreiert haben. Egal ob glanzvolle Eröffnungs- und Abschlussfeiern, imponierende Sportstätten zwischen Eiffelturm, Grand Palais und Versailles oder die bei Zuschauenden, freiwilligen Helfer*innen und Athlet*innen stetig zu spürende Begeisterung: Paris 2024 hat in vielen Bereichen neue Maßstäbe gesetzt. Nicht wenige sprechen von den besten Spielen aller Zeiten, vom Beginn einer neuen Epoche der Olympischen und Paralympischen Spiele.  

Wirklich überraschen kann die positive Strahlkraft der „Games Wide Open“, die womöglich auch in vielen Köpfen hierzulande das kritische Verhältnis zu den Spielen etwas geradegerückt hat, indes nicht. Dass die „Stadt der Liebe“ mit ihrem einzigartigen Charme die perfekte Kulisse für ganz besondere Spiele liefern würde, war im Vorfeld abzusehen. Aber auch darüber hinaus konnte man erwarten oder zumindest erhoffen, dass mit Paris 2024 ein neues Kapitel in der Geschichte der Olympischen und Paralympischen Spiele beginnt. Nicht ohne Grund hat auch der DOSB in den Planungen seiner Olympiabewerbung für 2036 oder 2040 stetig darauf hingewiesen, dass sich die Spiele im Wandel befinden. Dass sich die Rahmenbedingungen seit der letzten, im November 2015 in Hamburg gescheiterten Bewerbung grundlegend verändert haben.  

Die Spiele von Paris waren die ersten, die die neuen Rahmenbedingungen, die das IOC durch einen permanenten Reformprozess seit 2014 geschaffen hat, voll ausnutzen konnten. Die vor allem auf Nachhaltigkeit, Kostenreduzierung und konzeptionelle Flexibilität ausgerichtete Agenda 2020+5 und die „New Norm“ erlauben es den Ausrichtern der Spiele mehr denn je neue Akzente zu setzen und sie so zu gestalten, dass sie perfekt zu den Bedingungen und Stärken des Gastgeberlandes passen. Den übergeordneten Leitsatz „Die Spiele passen sich dem Gastgeber an, nicht der Gastgeber den Spielen“ haben die Veranstalter*innen in Paris nahezu in Perfektion umgesetzt.  

Was aber bedeutet der olympische Erfolg im Nachbarland nun für eine erneute Bewerbung Deutschlands? Eine Frage, die wenige Tage nach der Abschlussfeier der Paralympischen Spiele sicher noch nicht vollumfänglich beantwortet werden kann. Hierfür bedarf es gerade in Bezug auf ökonomischen und nachhaltigen Erfolg tiefgreifender Evaluierungen, Umfragen und Analysen. Es besteht jedoch bereits jetzt berechtigte Hoffnung, dass die Zustimmung für die „neue Form“ der Spiele gestiegen ist. Zumindest lassen viele Aussagen aus Politik, Gesellschaft und Sport darauf schließen, dass es nach Paris ein Momentum für eine deutsche Olympiabewerbung gibt. Ein Momentum, das der DOSB gezielt und sinnhaft nutzen sollte.    

Die Organisator*innen von Paris 2024 haben eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass sich Mut, Standhaftigkeit und Innovationsgeist bei der Bewerbung und Planung auszeichnen. Die Umsetzung der Idee, die Spiele dank urbaner Sportstätten in oftmals historischen Kulissen wieder näher an die Menschen zu bringen, war sicher nicht immer ein Selbstläufer. Ebenso wie der Plan von Eröffnungsfeiern im öffentlichen Raum – kostenlos zugänglich für tausende Gäste aus aller Welt. Doch der Mut und die Standhaftigkeit von Sport und Politik wurden belohnt. Allein das sollte Motivation genug sein, auch eine deutsche Bewerbung weiterhin mit Mut, Zuversicht, einer gewissen Portion Innovationsgeist und vor allem gemeinsam voranzutreiben. Dass es zur Umsetzung dieser innovativen Ideen keineswegs einer Vielzahl an kostspieligen Neubauten bedarf, hat Paris ebenfalls unter Beweis gestellt. Gigantische Spiele gehen inzwischen eben auch ohne baulichen Gigantismus.  

Die ersten Spiele in unserem Nachbarland seit 1992 haben zudem deutlich vor Augen geführt, welche gesellschaftlichen und sportlichen Impulse vor, während und vermutlich auch nach Olympia gesetzt werden können. Dass Frankreich bei den Olympischen Spielen seine Medaillenausbeute im Vergleich zu Tokio nahezu verdoppeln (64:33 Medaillen) und auch bei den Paralympischen Spielen über ein Drittel mehr Plätze auf dem Siegerpodest bejubeln konnte (75:55), ist sicherlich nicht nur auf den Heimvorteil, sondern vielmehr auch auf eine veränderte Spitzensportförderung im Vorfeld der Spiele zurückzuführen. Und auch die Tatsache, dass sich im Medaillenspiegel nahezu alle Gastgebenden-Nationen der vergangenen Jahrzehnte in den Top Ten wiederfinden, mag ein Indiz auf eine durch die Spiele zielgerichtetere Förderung im Leistungssportbereich sein.  

Doch die Olympischen und Paralympischen Spiele von Paris wirken weit über die Grenzen des Leistungssports hinaus. Während wir hierzulande der Abschaffung der zweiten Sportstunde oftmals näher sind als der Einführung der dritten, wurden in Vorbereitung auf die Spiele in allen französischen Grundschulen 30 Minuten tägliche (!) Bewegung fest in den Lehrplan aufgenommen. 36.000 Kinder in ganz Frankreich bekamen dank der Spiele die Möglichkeit zu kostenlosem Schwimmunterricht. Wie gut, dass im Vorfeld der Spiele in Frankreich 275 Schwimmbäder in ländlichen Gegenden neu gebaut wurden.  Zudem wurden in ganz Frankreich 5.000 kommunale Sportanlagen neu eröffnet und durch das Programm Terre de Jeux 2024 4.500 Städte und Regionen inspiriert, über 50.000 sportbezogene Veranstaltungen durchzuführen, um so die Teilnahme am Sport im ganzen Land zu fördern. Und dass über 40.000 Teilnehmer*innen direkt im Anschluss an den Männer-Marathon die Strecke nutzen und sich somit für einige Stunden als echte Olympia-Teilnehmer*innen fühlen konnten, ist ein weiterer Beweis dafür, dass sich die neuen Spiele viel mehr an den Erwartungen der Menschen orientieren. 

Ohne detaillierten Analysen vorzugreifen, steht außer Frage: Eine deutsche Bewerbung kann eine Menge von den Spielen in Paris lernen. Aber wir sollten dennoch nicht blind versuchen, diese einfach zu kopieren oder das, was an der Seine besonders gut gewesen ist, noch besser, noch größer machen zu wollen. Das ist – in neuen olympischen Zeiten – nicht nötig. Die Spiele von Paris waren deshalb so erfolgreich, weil es Frankreich im Zusammenspiel mit dem IOC perfekt verstanden hat, die Stärken, Bedürfnisse und Gegebenheiten der französischen Hauptstadt und des Landes in Szene zu setzen. Damit haben die Olympischen und Paralympischen Spiele 2024 nicht nur die Menschen in ihrem Land, sondern überall auf der Welt begeistert. Und genau dies muss auch weiterhin Antrieb und Ziel eines deutschen Bewerbungskonzeptes sein. Dieses braucht ein besonderes Alleinstellungsmerkmal „Made in Germany“ – wir arbeiten daran… 

(Autor: Stephan Brause,  Leiter der Stabsstelle Olympiabewerbung im DOSB)


  • Die Spiele in Paris 2024 haben in vielen Bereichen neue Maßstäbe gesetzt. Foto: picture-alliance
    Abschlussfeier im Stade de France mit Feuerwerk Foto: picture-alliance