Von Jessie Bohr
In verschiedenen afrikanischen Flüchtlingslagern findet man die gleichen Probleme wie in den Krisengebieten, aus denen die Flüchtlinge stammen. Dies liegt mitunter daran, dass sich häufig die gegnerischen Parteien im gleichen Flüchtlingslager wiederfinden. Daher wird dieser Artikel vor dem Hintergrund von Erfahrungen aus der Flüchtlingsarbeit geschrieben.
Das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) hat schon in den Neunziger Jahren die integrierende Funktion des Sports erkannt und eine Partnerschaft mit Olympic Aid geschlossen. Olympic Aid bzw. Right to Play entsendet seit Ende der Neunziger Jahre Freiwillige in UNHCR-Flüchtlingslager, die mit Hilfe von Sportmaßnahmen eine Kultur des friedlichen Zusammenlebens in den meist multinationalen Flüchtlingslagern schaffen sollen.
Im folgenden wird zunächst von zwei Methoden der sportlichen Flüchtlingsarbeit berichtet. Hierbei werden zwei Phasen unterschieden: Phase 1 Aufbau eines Sportprogramms am Beispiel des Flüchtlingslagers Nakivale/Uganda und Phase 2 Erhaltung einer nachhaltigen Sportstruktur am Beispiel des Flüchtlingslagers Kpomassè/Benin. Danach wird auf den Beitrag des Sports zu einer möglichen Völkerverständigung eingegangen.
Beispiel für Phase 1 Aufbau eines Sportprogramms am Beispiel des UNHCR Flüchtlingslagers Nakivale/Uganda (15.000 Flüchtlinge aus 7 Ländern):
Zusammen mit Flüchtlingen aus Rwanda und Burundi wurde ein Programm entwickelt, das ihren Bedürfnissen und Interessen entspricht. Das Programm umfasst neben der Übungsleiterausbildung zur Einrichtung von regelmäßigem Sportangeboten und -veranstaltungen, auch die Schaffung von Sportstätten sowie die sportliche Ausbildung von Lehrern bzw. Kindergärtnern. Bei der Übungsleiterausbildung und den Sportveranstaltungen wurden bewusst ostafrikanische Spiele und Kulturgut (z.B. Tänze, Trommelmusik) einbezogen. Damit sollte von Anfang an eine Identifikation der künftigen Übungsleiter mit dem Programm erreicht werden. Das übergeordnete Ziel der Schaffung einer nachhaltigen Sportstruktur umfasst auch den Bau von Sportstätten (Volleyball-, Fußballplätze, Kindergartenspielplätze) die in Co-Produktion von den Right to Play-Projektkoordinatoren mit den Flüchtlingen gebaut wurden. Hierbei wurde der „ownership“-Gedanke angewandt. Das bedeutet, dass die Verantwortung für Aktivitäten oder Sportstätten größer ist, wenn die Zielgruppe diese selbst mitgestaltet bzw. -aufbaut.
Der Erfolg all dieser Aktionen hing maßgeblich von der Akzeptanz der Zielgruppe ab. Neben der sportbegeisterten Flüchtlingsgemeinde musste z.B. auch der Dorfrat (community leader) in jede Entscheidung miteinbezogen werden. Darüber hinaus musste ein Sportrat eingerichtet werden.
Zur Akzeptanz des Programms in Nakivale hat dabei maßgeblich eine Sportgerätespende des Auswärtigen Amtes und des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland im Januar 2003 beigetragen. Mit der deutschen Spende ließ sich ein erster Grundbedarf zur Sportausübung der Mädchen und Jungen decken.
Durch die Einführung der oben genannten sportlichen Aktionen konnten Übungsleiter, Kinder und Jugendliche dem Flüchtlingsalltag für einige Stunden in der Woche entfliehen. In den Ausbildungsworkshops und Veranstaltungen kamen sie mit Vertriebenen anderer Nationen auf spielerische Weise in Kontakt.
Phase 2 Erhaltung einer nachhaltigen Sportstruktur am Beispiel des Flüchtlingslagers Kpomassè/Benin (1500 Flüchtlinge aus 14 Ländern):
Im Unterschied zu Nakivale gibt es im Flüchtlingslager Kpomassè bereits eine feste Sportstruktur, die von den Flüchtlingen selbst organisiert wird:
- Ein 12-köpfiger Sportrat – in dem alle Ethnien des Lagers repräsentiert werden – entscheidet über die sportlichen Aktivitäten im Lager und verwaltet das Sportbudget.
- 15 Übungsleiter bieten regelmäßiges Training in Fußball, Volleyball, Handball, Leichtathletik, Basketball und Kleinkinderturnen im Kpomassè Camp an.
- Angebot von Übungsleiterausbildungen – die größtenteils von Flüchtlingen geleitet werden – in den umliegenden einheimischen Gemeinden. Hiermit sollen die Sportbeziehungen mit der einheimischen Bevölkerung gefestigt werden.
- Ein Sportmanagement-Workshop gibt den Flüchtlingen das notwendige Handwerkszeug zur Durchführung eigener Kleinprojekte (Sport- und Kulturveranstaltungen). Diese Ausbildung wird auch genutzt, um bessere Chancen auf dem beninischen Arbeitsmarkt zu haben.
- Aufbau von Ligen mit Einbeziehung einheimischer Mannschaften
Aufgrund der Sportaktivitäten in Kpomassè seit dem Jahr 2001 kam es zu einer regen Zusammenarbeit der vorher sich kritisch gegenüber stehenden Flüchtlingsgruppen aus dem Togo, Kongo und Nigeria. Die Flüchtlingsgemeinde nahm auch mittels des Sports die Chance wahr, mit der einheimischen Bevölkerung zusammenzuwachsen.
Beitrag des Sports zum Versöhnungsprozess
Die Förderung des Sports in den Flüchtlingslagern erlaubt sowohl den Übungsleitern als auch den Kindern und Jugendlichen, den Flüchtlingsalltag für einige Stunden in der Woche zu vergessen - und auf spielerische Weise mit Vertriebenen anderer Nationen in Kontakt zu kommen. Darüber hinaus wird sportinteressierten Flüchtlingen eine Aufgabe gegeben, mit der sie sich sogar für ihr weiteres Berufsleben weiter qualifizieren können. In den Flüchtlingslagern, in denen Sport gefördert wird, berichten Flüchtlinge und Mitarbeiter der dort tätigen Organisationen von einer Abnahme der Aggressionsbereitschaft.
Beim Einsatz des Sports als integrierenden Faktor muss man in Afrika jedoch sehr behutsam vorgehen. Deswegen eignen sich als ersten Schritt Spielfeste, bei denen die verschiedenen Nationen ihren Beitrag durch Einbringen ihrer traditionellen Spielformen oder Musik leisten. Wenn die Bereitschaft unter der Zielgruppe dazu vorhanden ist, kann in einem zweiten Schritt an Training und Turniere mit gemischten „Länder-Mannschaften“ gedacht werden. Auf keinen Fall sollte versucht werden zwei Erzfeinde (z.B. Hutu und Tutsi) in einer Mannschaft zu vereinigen.
Diese Beispiele zeigen, dass mit Sport in Versöhnungsprozessen keine Wunder bewirkt werden können. Jedoch können sportliche Aktivitäten einen Beitrag zur Annäherung auf der zwischenmenschlichen Ebene bewirken und somit langfristig zum Versöhnungsprozess beitragen.