Sport bietet Chancen enger Zusammenarbeit

Jürgen Mittag, Leiter des Instituts für Europäische Sportentwicklung der Sporthochschule Köln, hat den ersten Jean-Monnet-Lehrstuhl für Sportwissenschaft erhalten.

Europa muss auch sportlich erst noch zusammenwachsen. Foto: picture-alliance
Europa muss auch sportlich erst noch zusammenwachsen. Foto: picture-alliance

Voraussetzung ist die starke europäische Ausrichtung seines Lehrstuhls. Bislang wurden Jean-Monnet-Lehrstühle vor allem für Europarecht, Politik und Wirtschaft vergeben. Die Einbindung der Sportwissenschaft ist neu. Der französische Politiker Jean Monnet (1888 – 1979) war einer der einflussreichsten Streiter für die Integration Europas und gilt als einer der Gründerväter der Europäischen Gemeinschaften und in deren Folge der EU. Verbunden mit der Zuerkennung des Jean-Monnet-Lehrstuhls ist eine finanzielle Zuwendung, mit der die Konzeption von Veranstaltungen, Forschungsvorhaben und Publikationen ermöglicht wird. 

Welche Bedeutung kommt einer Jean-Monnet-Professur zu?

PROF. JÜRGEN MITTAG: Der Lehrstuhl befasst sich im weitesten Sinne mit Sportpolitik in Europa. Wir forschen auf dem Sektor der Sportentwicklung. Dazu gehören etwa die vielen Einflüsse des immer wichtiger werdenden Europarechts auf den Profisport. Aber das ist nur die sichtbare Spitze eines Eisbergs. Weniger im Fokus der Öffentlichkeit steht die Entwicklung des Freizeitsports in Europa. Wir werden auch die immer stärkere Wechselbeziehung zwischen Sport als autonomem System und der Europapolitik im weitesten Sinne untersuchen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die breit gesteckten Kompetenzen der Sporthochschule in diesem Themenfeld zusammenzubringen: Die Analyse der Europäischen Union ist auch im Sport als Querschnittsthema politischer, ökonomischer, rechtlicher, sozialer und kultureller Belange zu sehen.

Europäische Sportpolitik: Was heißt das?

Seit dem 1. September 2009 besitzt der Sport eine rechtlich verbindliche Grundlage im Rahmen des Vertragswerks von Lissabon. Zuvor stand Sport außerhalb der EU-Verträge und wurde nur indirekt über andere Rechtsgrundlagen, zum Beispiel des Binnenmarktes oder des Wettbewerbsrechts – Stichwort: Bosman-Urteil – geregelt. Seit Lissabon kann die EU im Bereich des Sports aber auch selber aktiv werden, wenngleich die unmittelbaren Gestaltungsmöglichkeiten begrenzt sind. Es besteht indes ein wachsender Bedarf, nationale Regelungen abzustimmen, zu einem gewissen Grad zu harmonisieren und auch mit dem Europarecht abzugleichen. Nehmen wir den Fall eines jugendlichen deutschen Fußballtalents, das zunächst den deutschen Regeln untersteht. Will dieser junge Sportler sein Talent professionell im EU-Ausland entwickeln, wo andere Regeln zum Beispiel des Jugendschutzes, des Vertrag- oder des Transferrechts gelten, dann machen unterschiedliche nationale Regeln in Europa wenig Sinn. Hier müssen in mittelfristiger Perspektive europaweite Lösungen gefunden werden. Auf der anderen Seite ist aber auch zu analysieren, inwieweit Interventionen der EU sinnvoll sind: Ich erinnere daran, dass schon vor zehn Jahren der damalige EU-Wettbewerbs-Kommissar Mario Monti das Transfer-System in Frage gestellt hatte. Monti verfolgte zunächst das Ziel, Fußball-Profis wie reguläre Arbeitnehmer zu behandeln. Dieses Verfahren widersprach aber dem Wettbewerbs-Charakter vieler Sportarten. Montis Vorstoß hätte zur Konsequenz gehabt, dass Spieler im Rahmen üblicher Kündigungsfristen ihren Vertrag hätte kündigen können, mitten in der Saison! Ein im Profisport kaum tragfähiges Verfahren während einer laufenden Meisterschaft. In jüngster Zeit ist die Regelung des Glückspielmarktes wieder stark im Gespräch – für Deutschland mit Blick auf die Finanzierung des Sports ein ganz zentrales Thema. Hier sind Reformen von europäischer Seite angestoßen worden, da die Europäische Kommission bzw. der Europäische Gerichtshof signalisiert haben, dass die entsprechenden nationalen Regelungen nicht mit dem europäischen Recht vereinbar sind. Also alles Themenfelder, aus denen sehr deutlich werden sollte, dass Sport und Politik zunehmend interagieren, vielleicht auch angesichts divergierender Interessen in einem zunehmend konflikthaften Verhältnis zueinander stehen, sodass verstärkt politischer Klärungsbedarf entsteht. Je finanzintensiver die Situation ist, desto stärker zeichnet sich ein Regelungsbedarf ab, was dazu führt, dass der Sport nicht mehr nur autonom agiert in Bereichen, die selbst reguliert werden. Sport und Politik werden Interessen zunehmend miteinander teilen, was dann wiederum zu neuen Entscheidungen und Entwicklungen führt.

Und wie sieht es an der Basis, im Breiten- und Freizeitsport aus? Was muss europäisch reguliert werden, damit der Sport europäisch verbindet.

Zunächst geht es mal um die Frage: Was wissen wir überhaupt über die Sport-Partizipation in Europa? Wie stellt sie sich dar? Welche aktuellen Entwicklungen, welche Unterschiede gibt es? Hier brauchen wir zunächst einmal ganz systematisch eine weitreichendere Datengrundlage, als sie bisher besteht, aus der wir erkennen können, wie viele Prozent der Bevölkerung sich zum Beispiel in Finnland, in Griechenland, in Deutschland überhaupt sportlich betätigen. Wie viele Prozent das in einem Verein machen, wie viele das privat organisiert machen. Welche Rolle Fitness-Studios spielen. Welche Entwicklung sich hier abzeichnet. Und dann müssen wir entscheiden, wie dieses Material interpretiert werden kann. Nehmen wir etwa  Untersuchungen über den demographischen Wandel oder im Nachwuchsbereich über Veränderungen im Schulsystem. Diese Dinge haben eine enorme Auswirkung auf das Sportvereinswesen – auch auf den europäischen Schüler- oder Sportvereinsaustausch. Wir müssen europäische Vergleiche anstellen, um möglichst sinnvolle Lehren aus einer vergleichenden Betrachtung zu ziehen. Bezogen auf Deutschland müssen wir grundsätzliche Fragen im Hinblick auf die Perspektivhaftigkeit des deutschen Sportvereinswesens, auf die Strukturen des deutschen Sports und dies nicht nur im Fußball, sondern quer über die Disziplinen hinweg stellen und versuchen zu beantworten. Ganz wichtig ist die Gesundheitspolitik, wenn wir sehen, welche Entwicklungen sich hier in Europa mit unterschiedlicher Intensität gegenwärtig abzeichnen – mangelnde Bewegung, zunehmende Fettleibigkeit. Es spricht einiges dafür, dass die Staaten hier stärker präventiv oder sogar regulierend tätig werden, um Kosten, die in absehbarer Zeit anfallen, zu reduzieren. Zu einer aktiven Gesundheitspolitik gehören auch transnationale, europaweite Kampagnen. Zugleich ist auch auf gesellschaftliche Trends zu reagieren - etwa den, dass Menschen nicht mehr bereit sind, sich in einem Verein zu engagieren. Welche anderen Angebote müssen dann offeriert werden. Brauchen wir eine neue Trimm-Trab-Bewegung wie in den 70er Jahren? Bedarf es der Bereitstellung von mehr Sportstätten im öffentlichen Raum? All das sind Punkte, die von der kommunalen bis hin zur europäischen Politik- und Sport-Ebene zu behandeln und dann auch in konkrete Maßnahmen umzusetzen sind.

Es gibt ja in Europa einen immer intensiveren Schüleraustausch; Schüler, die auch engagiert Sport treiben. Wenn sie dann in einem anderen Land aktiv werden: Wie sieht es mit der Sport-Unfall-Versicherung aus? Können die Schüler von einem Sportverein ihres Gastlandes im Meisterschaftsbetrieb eingesetzt werden? 

Von der grundsätzlichen Handhabbarkeit her sind das zentrale Fragen, die europäisch beantwortet werden müssen. Dazu gehört aber auch Beispiel die gegenseitige europäische Anerkennung von Übungsleiterlizenzen und Trainer-Diplomen.

Konkret: Kann der jugendliche EU-Bürger aus Portugal während seines sechs-monatigen Austauschs im Team eines deutschen Vereins bei Meisterschaftsspielen mitspielen?

Im Prinzip könnte er das. Aber wenn es um flankierende Maßnahmen geht, etwa die Unfall- und Krankenversicherung, dann kann es schon technische Probleme geben. Das ist sehr spezifisch und entscheidet sich im Einzelfall sogar noch unterschiedlich nach den deutschen Bundesländern. Letztlich aber läuft die Gesamtentwicklung der europäischen Integration darauf hinaus, zu einer schrittweisen Harmonisierung zu kommen. Es gibt schon zahlreiche Beispiele für grenzüberschreitende Sport-Kooperationen und Wettbewerbe. Mit dem Sport bieten sich gute Chancen, dass Europa enger zusammenrückt und gewissermaßen zu einer Selbstverständlichkeit wird, ohne dass notwendigerweise aber schon alles glatt funktioniert. Im Sinne einer positiven Integration ist aber auch in den nächsten Jahren noch viel Arbeit zu leisten.

Versuchen Sie mit Ihren wissenschaftlichen Möglichkeiten vieles zu unternehmen, Europa noch enger zusammen rücken zu lassen?

Wir sind in erster Linie wissenschaftliche Beobachter und versuchen Entwicklungen aufzuzeigen und zu analysieren. Die Wissenschaft steckt mit Blick auf den Sport aber noch in den Kinderschuhen. Die Gesamtentwicklung ist zwar allgemein politisch ganz gut erforscht, aber unter dem speziellen Aspekt des Sports bedarf es durchaus noch einer intensiveren Analyse. Es ist schon ganz grundlegend zu fragen, wer alles auf europäischer Ebene mitspielt? Wir kennen die Kommissionen, den Rat, das Parlament. Welche Rolle spielen aber die einzelnen Sport-Dachverbände auf europäischer Ebene? Wir erleben momentan, dass sich immer mehr Sportarten auf europäischer Ebene organisieren, weil sie feststellen: Als nationaler Verband kann ich inzwischen nur noch relativ wenig erreichen. Aber als europäischer Verband mit Wirkung in gegenwärtig 27 EU-Staaten kann bisweilen größere Resonanz erzielt werden und der Einfluss wächst. Das sind Tendenzen, die sich abzeichnen, die aber auch von den europäischen Institutionen forciert werden, weil sie kein Interesse haben und auch nicht die Ressourcen besitzen, mit 27 nationalen Verbänden Kontakt aufzunehmen, sondern aus arbeitsökonomischen Gründen präferieren, mit nur einem europäisch organisierten Dachverband zusammenzuarbeiten. Diese Entwicklungen sind momentan stark im Fluss, aber noch nicht aufgearbeitet seitens der Wissenschaft. Das ist unsere Aufgabe zu zeigen, wie sich z.B. der Vertrag von Lissabon und anhaltende Europäisierungsprozesse der Nationalstaaten auf den Sport auswirken werden. Meiner Ansicht nach wird diese Tendenz auf absehbare Zeit prägend. Ungeachtet aller Euro-Krisen erscheint mir die europäische Gesamtentwicklung hin zu weiterer Integration letztlich jedoch nicht in Frage zu stehen.

(Quelle: DOSB/ Hanspeter Detmer)


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