Sport bietet in jedem Alter einen Einstieg

Der ehemalige DOSB-Vizepräsident Kaweh Niroomand spricht im Interview mit Integration durch Sport (IdS) über den Breitensport vor, während und nach der Pandemie.

Foto: DOSB
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Es ist früh morgens, doch wir erwischen Kaweh Niroomand schon zwischen Tür und Angel. Der 69-Jährige ist seit vielen Jahren im Ruhestand, aber Ruhestand definiert eben jeder anders. Niroomand ist Manager des deutschen Volleyballseriensiegers Berlin Recycling Volleys, hat zahlreiche Ehrenämter und ist intensiv in der Berliner Stadtgesellschaft engagiert. Sport spielt beim ehemaligen Vizepräsidenten des DOSB eine herausragende Rolle. Auch privat.

Herr Niroomand, halte ich Sie auf?

Ich muss gestehen, dass ich eigentlich um 8 Uhr Sport machen wollte. Aber mir ist ein wichtiger Anruf dazwischengekommen. Nun telefoniere ich in Sportklamotten mit ihnen. Nachdem ich aufgelegt habe, geht es los.

Welcher Sport steht an?

Ich kann nicht mehr joggen, wegen meiner kaputten Knie. Jetzt mache ich das, worauf ich früher etwas despektierlich geschaut habe: walken. Ohne Stöcke, aber richtig schnell. Ich komme auf mehr als sieben Kilometer die Stunde.

Das klingt sehr ehrgeizig …

Ein bisschen schon, stimmt. Aber vor allem merke ich, dass es mir guttut, Sport zu machen. Ich walke in der Regel zwischen 60 und 90 Minuten, komme auf 30 bis 40 Kilometer die Woche. Einmal pro Woche fahre ich Rad, zweimal trainiere ich mit einem Coach, etwas für den Muskelaufbau und die Dehnung des Körpers. Alles Übungen, die man kennt, aber nie allein macht, weil man zu faul ist. Jetzt bezahle ich dafür.

Sie machen jeden Tag Sport?

Ich versuche es zumindest. Mindestens eine Stunde. Möglichst morgens, dann habe ich es hinter mir. Einmal geschwitzt zu haben, gibt mir viel Kraft für den Tag.

Wie war es während Ihres Berufslebens?

Wenn ich auswärtige Termine hatte, bin ich oft schon um 4.30 Uhr aufgestanden und 45 Minuten im naheliegenden Wald gelaufen. Meine Frau hat mir immer einen Vogel gezeigt, hat sich umgedreht und weitergeschlafen.

Mit Disziplin scheinen sie keine Probleme zu haben …

Es ist schwierig, so etwas über sich selbst zu sagen, aber irgendwie stimmt es wohl. Keine Ahnung, ob es an den Genen liegt, oder an der Erziehung.

Sie sind mit 12 Jahren aus dem Iran nach Deutschland gekommen, ohne Eltern.

Ja, und ich habe meine deutschen Zieheltern vor Augen, die bis spätabends irgendwo auf dem Acker gestanden haben und völlig erschöpft nach Hause kamen. Und dann trotzdem noch das Auto repariert oder die Wohnung geputzt haben. Das sind die Bilder, die mich geprägt haben. Einige iranische Freunde nennen mich auch den preußischen Iraner.

Wie hat sich ihr Sporttreiben mit dem Alter verändert?

Ich bin seit 2014 aus dem Beruf raus, aber meine sportlichen Betätigungen haben sich eigentlich vor allem wegen der kaputten Knie geändert. Und was noch anders ist: Das Athletiktraining, das ich seit zwei Jahren mache und das hilft, den körperlichen Schmerzen vorzubeugen, mit denen man in meinem Alter sonst in den Tag startet.

Wie war es während der Pandemie?

Mir hat der Sport geholfen, wieder auf die Beine zu kommen. Ich war einer der ersten, der Corona bekommen hat. Gleich im März 2020. Ich hatte zwar keine Atem- und Lungenprobleme, musste nicht ins Krankenhaus. Das Virus ist mir im wahrsten Sinne des Wortes im Hals steckengeblieben. Insofern hatte ich Glück. Trotzdem war ich sehr schwach. Ich bin die ersten Wochen nicht weiter als bis zum Briefkasten gekommen. Nachdem ich mich erholt hatte, habe ich normal Sport gemacht, auch mit meinem Athletiktrainer, bei Minusgraden draußen.

Wie bewerten Sie den politischen Umgang mit dem Sport während der Pandemie?

Man muss trennen: Der Profisport auf der einen Seite, der Breitensport auf der anderen. Der Profisport hat gute Lösungen gefunden, mit den Blasen, auch wenn die Politik nur zögerlich und uneinheitlich in den verschiedenen Bundesländern mitgegangen ist. Aber was im Fußball und Basketball erarbeitet wurde, war innovativ, um den professionellen Sport nicht zum Erliegen kommen zu lassen. Auch wenn die leeren Hallen, in denen man die quietschenden Turnschuhe hören konnte, kein Spaß waren.

Und im Breitensport?

Da hat man viel zu lange gezögert und völlig falsch eingeschätzt, wie wichtig in einer solchen Situation das Soziale und die Bewegung ist. Man hätte einfach viel mehr draußen organisieren und zulassen können, in Parks und Wäldern. Das hätte vielen Kindern und Jugendlichen geholfen, auch psychisch. Da hätte ich mir mehr Mut und Innovation erwartet.

Und dabei wird in jeder Festrede von der großen Bedeutung des Sports gesprochen; für die psychische und physische Gesundheit des einzelnen Menschen und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Ich denke, dass das Thema nach wie vor viel zu allgemein gesehen, und zu wenig seiner eigentlichen Bedeutung gemäß gehandelt wird. Der Sport ist nicht richtig in den Köpfen der Menschen und der Politiker verankert. Eher wird erzählt, dass das Kind Geige spielt als in der E-Jugend Basketball. Sport läuft so nebenbei, ist nichts zum Vorzeigen. Es gibt noch eine Menge zu tun, bis die Politik begreifen wird, dass der Sport ein elementarer Teil des Lebens ist.

Sollte man sich das Sporttreiben in der Kindheit beginnen, weil es später schwerer ist, sich das motorisch anzueignen und die Disziplin dafür aufzubringen?

Ich würde es anders sagen: Früh anzufangen schadet auf keinen Fall, aber Sport bietet in jedem Lebensabschnitt einen Einstieg. Ich zum Beispiel habe immer viel Sport konsumiert, auch getrieben, etwa in der Volleyball-Bundesliga. Aber die Erkenntnis, das und wie wichtig Sport für das eigene Leben und Wohlbefinden ist, ist mir eigentlich erst mit über 40 Jahren gekommen.

Welchen gesellschaftlichen Beitrag leistet der Sport außerdem?

Der Sinn des Sporttreibens ist unter anderem, verschiedene Menschen und Kulturen zusammenzubringen. Wir wollen für eine Minderheit etwas tun, damit aus dem vermeintlichen Unterschied, aus der Minderheit, beim Sport eine Gemeinsamkeit entsteht.

Ist das deutsche Sportsystem zu hermetisch für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte?

Ich denke, dass das deutsche Vereinsleben, um das uns viele beneiden, immer noch nicht genügend propagiert wird in Migranten-Communities.

Wie kommen Sie darauf?

Der Verein Berliner Kaufleute und Industrieller, bei dem ich im Präsidium sitze und für den Sport verantwortlich bin, hat ein Programm aufgelegt. Er ist damit an die Schulen gegangen, um Kinder und Jugendliche für den Sport zu begeistern. Das Programm übernimmt für ein Jahr die Kosten der Vereinsmitgliedschaft. Die Hoffnung ist natürlich, mehr Kinder ins Vereinsleben zu bekommen. Aber die Resonanz auf unsere Bemühungen ist sehr bescheiden, die Mitgliedschaften werden uns nicht aus der Hand gerissen. Gerade in den Vierteln, in denen der Migrationsanteil sehr hoch ist. Das hat auch damit zu tun, dass die Attraktion der Vereine nicht deutlich genug herausgearbeitet wurde.

Ist mehr interkulturelle Kompetenz nötig?

Sie wollen ja Menschen aus einer Umgebung holen, in der sie sich sicher und wohlfühlen. Damit tun sich alle Menschen schwer. Aber diese Schwelle müssen wir alle überschreiten, weg von: meine Sprache, meine Herkunft.

Wie vielfältig ist denn Ihr Verein?

Na ja, Volleyball ist kein Massensport, deshalb ist es mit der Vielfalt nicht ganz so weit fortgeschritten. Außer in unserer ersten Mannschaft, da sind viele Menschen mit nichtdeutschen Wurzeln. Aber das hat im Profisport spezielle Gründe. In der Jugendabteilung machen sich immerhin unsere Jugendkonzepte der vergangenen fünf Jahr bemerkbar, auch sportlich: zweimal waren wir Deutscher Meister.

Was ist die größte Baustelle für den organisierten Sport?

Es sind mindestens zwei Baustellen: Die dezentrale Steuerung des deutschen Spitzensportsystems. Und das Traineramt. Es erhält weder die nötige Anerkennung noch die angemessene Bezahlung. Ein Riesenproblem. Vor allem vor dem Hintergrund, dass die Anzahl der Menschen, die außerhalb des Vereins Sport treiben, immer größer wird. Dabei gehen die sozialen und gesellschaftlichen Stärken des Vereins verloren. Größere Vereine können dem durch ihr Angebot noch entgegensteuern, aber es darf nicht sein, dass die kleinen Vereine verschwinden. Dadurch würde das deutsche Sportsystem seines Charmes und seiner Stärken beraubt.

(Interview: Marcus Meyer)


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