Sport im Koalitionsvertrag

Prof. Hans-Jürgen Schulke vermisst im Koalitionsvertrag die ressortübergreifende Sportpolitik. Der Autor ist Vizepräsident von Special Olympics.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel präsentieren den Koalitionsvertrag. Foto: picture-alliance
Bundeskanzlerin Angela Merkel und der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel präsentieren den Koalitionsvertrag. Foto: picture-alliance

Der organisierte Sport in Deutschland hat Ziele und Forderungen; jüngst hat die Konferenz der Landessportbünde diese noch zu den Koalitionsverhandlungen prägnant nominiert. Sie reichten vom Ausbau der Sportstätten bis zur Integration von Zuwanderern, umfassten unter anderem exklusiven Schulsport und inklusiven Behindertensport. Jetzt liegt der Koalitionsvertrag vor, prägt für Jahre die Politik.

Insofern lohnt sich die Inspektion seiner sportlichen Seiten. Strukturell ist der Sport Teilbereich eines Unterabschnitts „Kultur, Medien und Sport“. Quantitativ erhält Sport eine gute Seite oder 0.63 Prozent des Vertragswerkes. Mit vier Absätzen zeigt er gegenüber Medien (25) und Kultur (54) kein Übergewicht. Das schlanke Outfit gilt auch im Vergleich zu ähnlich bedeutsamen Themen wie Stadt- und Regionalentwicklung oder Umwelt, allein das Thema Digitalisierung umfasst über 20 Seiten.

Im knappen Text finden sich wichtige Felder wie Förderung der Trainer, duale Karrieren für Spitzensportler, Kampf gegen Doping, Erhalt der Infrastruktur für alle Bereiche des Sports, Berücksichtigung des Sports bei immissionsrechtlichen Konfliktlagen, Unterstützung von Ehrenamt und Integration. Michael Vesper, Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes, bedauert allerdings das Fehlen des Sports als Staatsziel und ungesicherte Quellen für die Finanzierung der Nationalen Anti-Doping-Agentur.

Bemerkenswert ist, dass die Themen leistungssportlastig und wenig konkret an Zielen sind. Am verbindlichsten ist die nachhaltige Finanzierung der NADA fixiert. Da geht beispielsweise die Kulturpolitik mit den Feiern zum 250. Geburtstag von Beethoven (wie wäre es mit dem 200. Geburtstag des ältesten Sportvereins der Welt?) oder bei den Medien mit dem deutschen Computerspielpreis (hat der Sport nicht seinen Trainerpreis?), der soziale Wohnungsbau mit 518 Millionen, die im IT-Bereich angestrebten 15.000 Neugründungen oder das Landesbasisfallwerk für die Krankenhäuser zum 1. Januar 2016 mehr ins Berechenbare – vom Mindestlohn ganz zu schweigen.

Die qualitative Seite des Vertrags beinhaltet den Schlüsselsatz: „Sport wollen wir in eine ressortübergreifende, bewegungsförderliche Gesamtpolitik einbinden.“ Wagt man den Orientierungslauf durch 185 Seiten Koalitionspapier von Infrastruktur (Sportstätten?), Gesundheit (Präventionssport?), Behindertenpolitik (Inklusionssport?), Bürgerschaftliches Engagement und lebendige Demokratie (Vereinssport in der Zivilgesellschaft?), Medien (Sportfernsehsender?), SED-Unrecht (Dopingopfer?), Finanzen (Besteuerung internationaler Großveranstaltungen?), Europa (Anerkennung gemeinnütziger Organisationen?) und Deutschland in der Welt (Nutzung der Organisationen des Weltsports?), so findet man keine Haltepunkte. Nirgends ist die größte zivilgesellschaftliche Organisation in Deutschland nominiert. Einmal werden die Sportvereine für soziale Aufgaben in den Kommunen neben Feuerwehren und Kirchengemeinden gelistet. Ressortübergreifende Sportpolitik ist das noch nicht.

Gleichwohl muss man nicht in Bewegunsstarre verfallen – im politischen Spiel ohnehin untaugliche Taktik. Im Kleingedruckten finden sich Ansatzpunkte. Beispiele sind die erneute Ankündigung des Präventionsgesetzes für 2014, die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen auf 5 Milliarden Euro oder verbesserte Rahmenbedingungen für ehrenamtliches Engagement. Beileibe kein sportpolitischer Durchbruch, sie verweisen den DOSB und seinen neuen Präsidenten auf die Mühen der Ebene.

Wie eine bis in Euro und Quadratmeter hinterlegte, alle Felder des heutigen Sports umfassende Sportpolitik aussieht, wurde gerade in der Hansestadt Hamburg demonstriert. Die Landesregierung, genauer die von ihr eingesetzte Zukunftskommission legte den zweiten Zwischenbericht zur Dekadenstrategie des Sports vor. In zehn prägnanten Feldern sind Ziele und Zwischenergebnisse formuliert, die Klarheit schaffen und nichts beschönigen. Der verantwortliche Senator legte nach und garantierte unter anderem 340 Millionen Euro für Sportstättenbau und –sanierung sowie Verdoppelung der Flächen mit bedachten Sportstätten. Dazu der Hinweis, dass irgendwelche Olympiapläne zunächst eine breite Grundlage in Schulen und Vereinen erfordern.

Pläne und Zielzahlen verblieben nicht kryptisch in Kabinetten und Klausuren. Unbeschadet von verfassungsrechtlichen Spitzfindigkeiten über Transparenz und Plebiszit in den Koalitionsverhandlungen hatten alle Akteure des Hamburger Sports Gelegenheit, eine vorläufige Fassung zu kommentieren und im großen Saal der Handelskammer die Endfassung ergebnisoffen zu diskutieren. Das wurde virtuell wie leibhaftig praktiziert – Sportpolitik als Mannschaftsspiel.

Die Sportstadt Hamburg hat Maßstäbe gesetzt. Sportentwicklung hätte neue Spielräume, wenn die Messlatte von anderen Ländern und dem Bund übernommen würde. Der neue DOSB-Präsident könnte sie auflegen und ihre Höhe exakt vermessen. Schließlich will auch der organisierte Sport entsprechend der Überschrift des Koalitionsvertrages „Deutschlands Zukunft gestalten“.


  • Bundeskanzlerin Angela Merkel und der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel präsentieren den Koalitionsvertrag. Foto: picture-alliance
    Bundeskanzlerin Angela Merkel und der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel präsentieren den Koalitionsvertrag. Foto: picture-alliance