Sport und Patriotismus

Der Begriff „Patriotismus“ ist nicht immer gut beleumdet. Autor Prof. Hans-Jürgen Schulke setzt sich auch in Anbetracht möglicher Olympischer Spiele in Hamburg damit auseinander.

Die Ankunft der Deutschen Olympiamannschaft in Hamburg nach dem Olympischen Spielen 2012 in London. Foto: picture-alliance
Die Ankunft der Deutschen Olympiamannschaft in Hamburg nach dem Olympischen Spielen 2012 in London. Foto: picture-alliance

Kürzlich hat der Bundesinnen- und Sportminister Thomas de Maiziere in einem Interview so selbstverständlich wie für manchen provokativ erklärt, Spitzensportler seien Patrioten für Deutschland. In der Tat treten Spitzenathleten bei Länderkämpfen für ihr Land an, erfolgt bei Olympischen Spielen ein Einmarsch in Nationen, wird die Unterstützung der örtlichen Fußballmannschaft als Lokalpatriotismus bezeichnet. Und kürzlich wurde der „Turnvater Jahn“ – er gehörte zum engsten Kreis preußischer Patrioten, die für die Befreiung von der napoleonischen Besatzung und die Einheit Deutschlands kämpften – in die „Hall of Fame“ des Sports aufgenommen. Er gilt als ein Gründer des freiheitlichen Vereinswesens hierzulande.

Der Begriff „Patriotismus“ ist heute schillernd, nicht immer gut beleumdet. Der Lokalpatriotismus wird mitunter als geistige Begrenzung empfunden, der Hurrapatriotismus vor hundert Jahren im ersten Weltkrieg als verführend gesehen, die gegenseitige Anspruchnahme der Bezeichnung „Patriot“ in der Ukraine als nicht friedensstiftend, die selbsternannten „patriotischen Europäer“ in Dresden als fremdenfeindlich kritisiert. Die Grenzen zwischen aktivem Eintreten für die regionale Gemeinschaft und die kulturelle Identität, zwischen selbstbewusstem Miteinander und herrschsüchtigem Nationalismus sind nicht immer trennscharf. Was also ist Patriotismus in einer globalen Gesellschaft?

Der Sport liefert hier praktische Antworten. In seinem örtlichen Verein Aufgaben übernehmen, Schwächeren helfen und Neuen eine gesellige Heimat zu geben, gehört dazu. Auf nationaler Ebene seine Stadt, international sein Land im fairen Wettstreit zu vertreten, ebenso. Und vielleicht einmal im Olympischen Weltdorf ein Gleicher unter vielen zu sein, ohne seine Herkunft zu vergessen, ist das Größte.

Das Sommermärchen 2006 mit seinem fröhlichen Patriotismus, als Millionen mit schwarz-rot-goldenem Gesichtsschmuck – diese Farben wurden 1813 vom „Turnvater Jahn“ initiiert – gemeinsam feierten, war frei von Abgrenzung. Deshalb sind auch im Weltsport der Start für die eigene Nation, Flaggen und Hymnen kein Widerspruch – sie sind ein Symbol globaler Hoffnung.

In Hamburg wird der weite Horizont des Patriotismus gerade besonders deutlich. In diesen Tagen feiert die hiesige Patriotische Gesellschaft ihr 250jähriges Jubiläum. Sie hat sich von Anfang an als eine Gemeinschaft Gleicher gesehen, die durch Bildungseinrichtungen, Brandbekämpfung, kulturelle Initiativen und Verfassungsvorschläge das alltägliche Leben in der Hansestadt freier, gerechter und wohlständiger machen will. Das ist ihr nachvollziehbar gelungen, wenngleich es mitunter hartnäckig erstritten werden musste.

Im nächsten Jahr feiert die Hamburger Turnerschaft von 1816 ihr 200jähriges Bestehen. Es gibt in der Gründungs- und Konstituierungsphase der HT 1816 vielfältige personelle, ideelle und organisatorische Verbindungen zur Patriotischen Gesellschaft. Und auch im konkreten Einsatz für die Verbesserung der Lebenslage der Bevölkerung: Bau von Sportstätten, Förderung der körperlichen Kräftigung auch für Kinder und Frauen, Mitgestaltung des Vereinslebens von allen, Einführung neuer Sportarten und des Seniorensports, Initiierung des Koronarsports und des ersten Vereinsfitnessstudios, der erste Verein mit einem Öko-Audit und einem Auftritt der Turnerriege nach dem zweiten Weltkrieg in den USA. Die Nationalversammlung in Frankfurt haben seine Mitglieder 1848 gefeiert und an Olympischen Spielen teilgenommen.

Vor wenigen Wochen hat Hamburg in der Paulskirche von den Sportverbänden einmütig den Auftrag erhalten sich für Deutschland um die Olympischen Sommerspiele 2024 zu bewerben. Jetzt muss nur noch im Herbst ein Bürgerreferendum zustimmen. In seiner Festrede beim Jubiläum der Patriotischen Gesellschaft hat der stellvertretende Ministerpräsident Habeck aus dem benachbarten Schleswig-Holstein differenziert einen internationalen Patriotismus begründet, der sich aus Aufklärung und den Grundwerten der französischen Revolution speist.

Ist damit die Zustimmung zu Olympia 2024 patriotische Pflicht, müssen alle Hanseaten „Hurra“ für Olympia schreien?

Keinesfalls. Zum lokalen Patriotismus gehört bei allem Respekt vor der einzigartigen Gastgeberschaft für Olympische Spiele die intensive Prüfung der Frage, wodurch dieses größte Fest der Menschheit dem Gemeinwesen dient. Der Fragenkatalog ist nicht gering und reicht von Finanzen über Verkehr, von Sicherheit bis Sportentwicklung – Olympische Spiele stehen heute zwischen Markt und Tempel. Das Engagement der Bürger für ihre Gäste darf nicht leichtfertig verspielt oder missbraucht, nicht zur Last für die folgenden Generationen werden.

Im aktuellen Motto der Patriotischen Gesellschaft steht am Ende „Machen“. Hinsichtlich des Referendums also nicht von der Tribüne des Zweifels zuschauen, sondern kritisch-konstruktiv wie kreativ beim Gestaltungsprozess mitmachen: Das gilt auch nach dem Referendum und darf jederzeit ein energisches „So nicht!“ beinhalten. Auch das ist patriotische Pflicht, Ausgrenzung Andersdenkender oder Resignation passt hier nicht.

So darf man übrigens wohl auch die Agenda 2020 des IOC lesen.

In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier als DOSB-Blog veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.


  • Die Ankunft der Deutschen Olympiamannschaft in Hamburg nach dem Olympischen Spielen 2012 in London. Foto: picture-alliance
    Die Ankunft der Deutschen Olympiamannschaft in Hamburg nach dem Olympischen Spielen 2012 in London. Foto: picture-alliance