Sport und Wissenschaft digital

Schon länger geht es um die Frage der Grenzen zwischen leibhaftigem und digitalem Sport. Besonders augenfällig wird dies auf den zahlreichen Sportkongressen, findet Autor Hans-Jürgen Schulke.

Die Digitalisierung findet immer häufiger auch Einzug in den Sport. Foto: picture-alliance
Die Digitalisierung findet immer häufiger auch Einzug in den Sport. Foto: picture-alliance

1816 veröffentlichten die frühen Vorturner Jahn und Eiselen den ersten Managementklassiker des Vereinssports, die „Deutsche Turnkunst zur Errichtung der Turnplätze“. Er sollte mit analoger Kommunikation hunderte Nutzer finden und so das Tor für die Vereinssportbewegung öffnen. Der Titel war Provokation – stellte es doch das Turnen unbekümmert gleich neben die 7 universitären Künste – wie weitblickende Perspektive. Dauerte es noch hundert Jahre bis zu den ersten Wurzeln sportlicher Wissenschaft (pädagogisch und medizinisch befruchtet), so erhielt sie durch Hochschulreform, studentischen Protest und Impulse aus der Vorbereitung der Olympischen Spiele 1972 Ende der 60er Jahre institutionelle Verankerung und interdisziplinäres Profil.

Heute ist die Sportwissenschaft anerkannter, oft auch angesehener Bereich in der deutschen Hochschullandschaft. Rund 70 Hochschulen bieten sportrelevante Lehre an, längst sind die beiden Standbeine Pädagogik und Medizin um eine Vielzahl an Disziplinen erweitert, eine respektable Zahl an Publikationen und Kongressen ist zu registrieren, die bundesweite Organisation dvs erfasst über tausend Personen und diskutiert in rund 30 fachlichen Gremien. Mit dem organisierten Sport steht sie im guten Austausch, beforscht dessen Aktivitäten und geht auch mal in kritische Distanz.

Alle zwei Jahre findet mit dem sportwissenschaftlichen Hochschultag die Heerschau sportwissenschaftlichen Eifers statt. In dieser Woche kommt es in München zu seiner 23. Aufführung. Das Generalthema lautet „Innovation und Technologie im Sport“. Zweifellos zeitgemäß, denn das digitale Zeitalter verändert nicht nur die Rahmenbedingungen des Sports mit bewegungsarmer Arbeitsintensität und flexibler Freizeit, sondern durchdringt ihn auf nahezu allen Feldern. Darauf ist der Kongress allerdings nicht stringent ausgerichtet, was bei 330 thematisch disparaten Veranstaltungen und zahlreichen Fachgremien nicht erwartet werden darf. Nur sporadisch taucht der Begriff Digitalisierung auf (beim Vorwort des Sportministers wird er explizit benannt; alle großen Parteien haben ihn in ihrem Wahlprogramm aufgenommen), die medialen und ökonomischen Weiterentwicklungen von Sportgroßveranstaltungen sucht man ebenso wie eine Debatte um den rasanten Aufstieg des E-Sports (auch der wird in Regierungsprogrammen als „Kulturgut“ gefördert) oder die Drohnen-Technologie zur Wettkampfanalyse bzw. eigenständige Sportart (was in den USA weit entwickelt ist).

Hier wäre analog (!) zur breiten Diskussion um die Folgenabschätzung der Arbeitswelt 4.0 ein großes Forum zum Sport 4.0 mit allen Betroffenen und Berufenen hilfreich. Nicht zuletzt geht es um die Frage der Grenzen zwischen leibhaftigem und digitalem Sport, um Selbst- und Fremdsteuerung, um Sport als Wirtschafts- oder Kulturgut.

Diese Diskussion lässt sich nicht aufhalten. Schon lange wird die digitale Zukunft des Sports in der Presse qualifiziert erörtert, informative Fernsehsendungen zum virtuellen E-Sport oder Augmented-Trainingsformen im Profifußball häufen sich. In den Chefetagen globaler Kommunikationskonzerne wie bei Veranstaltungsagenturen oder innovativen Start-up-Unternehmen wird über Mach- und Verwertbarkeiten des neuen Sports intensiv beraten. Ingenieure, Elektroniker, Informatiker, Roboterexperten, Datenmanager u.v.a. tüfteln an neuen Konzepten.

Das spiegelt sich in drei Kongressen wider, die allein in der vergangenen Woche in Hamburg, Chemnitz und Jena jeweils zum Thema „Digitaler Sport“ stattfanden. Im immerhin schon 17. Hamburger Kongress standen traditionell Sportgroßveranstaltungen als Treiber der Sportentwicklung im Mittelpunkt. Eingangs hob der Hamburger Staatsrat Holstein – Repräsentant einer Stadt mit jährlich zahlreichen internationalen Sportevents – die Bedeutung der Digitalisierung bei der Stadtentwicklung hervor und regte nachdrücklich die Sportverbände an, u.a. das Thema E-Sport zu diskutieren. Die internationalen Wissenschaftler gaben beeindruckende Blicke auf weltweite Tendenzen, von denen keineswegs alle schon Deutschland erreicht haben – Robotic ist eine davon.

Der Jenaer Sportmanagementkongress „Digitalisierung im Sport“ wurde seinem Untertitel „Bestandsaufnahme, Potentiale, Risiken“ vollauf gerecht. Gewohnt bildeten die Sportorganisationen die Referenz, und so zeigten die Referenten am Vereinssport wie Profisport, regionalen und nationalen Sportverbänden, bei Berichterstattung und Rechtefragen differenziert, wie produktiv die Digitalisierung bereits bearbeitet wird. Dass zugleich ein Nachwuchsstipendium von DOSB-Vizepräsidentin Doll-Tepper überreicht wurde, passte in die zukunftsorientierte Veranstaltung.

In Chemnitz fand der Kongress „SMART SPORT. Bewegung, Sport und Jugendkultur in Zeiten von Digitalisierung und dem Internet der Dinge“ (der Titel fast schon ein Einführungsstatement) der Deutschen Sportjugend statt. Er war in dreierlei Hinsicht bemerkenswert. Zunächst war es der erste Kongress, in dem sich ein bundesweiter Sportdachverband vielschichtig mit dem Thema auseinandersetzte. Zum anderen erfolgte das – wie teilweise auch in Hamburg – konsequent in Kooperation mit der Deutschen Forschungsstelle für künstliche Intelligenz (DFKI), schließlich wurden ausdrücklich die Lebenssituation und die Erwartungen der „digital natives“ angesprochen. Fachliche Schwerpunkte bildeten Blended Learning in der Bildungsarbeit und technologische Innovationen für die Sportpraxis.

Sind die vier Veranstaltungen nur Sternschnuppe am unendlichen Himmel der Wissenschaften? Keineswegs. Bereits im nächsten Monat findet der große Sportkongress des Deutschen und Schwäbischen Turnerbundes in Stuttgart statt. Weit über 20 Veranstaltungen beschäftigen sich unter professoraler Beteiligung anwendungsorientiert mit Digitalisierungsprozessen in der Welt der Vereine: Vereinsmanagement, Fitnessstudios, Trainingssteuerung, neue Wettkampfformen, Qualifizierung des Ehrenamts. Deutlich wird, dass die Organisationsform Verein – sie steht bei den Schwaben als DNA des Sports immer im Mittelpunkt – offen für neue Anforderungen ist, unbefahrene Wege zu gehen bereit ist, sich intern und extern die erforderliche Expertise zu holen vermag. Treffend dazu bezeichnet sich zum 125jährigen Jubiläum Hertha BSC Berlin als „erstes Start-up-Unternehmen der Stadt“.

Der Sportkongress befindet sich damit in guter Tradition mit seinen authentischen Vorfahren (so Bundeskanzlerin Merkel beim Deutschen Turnfest 2017) Jahn und Eiselen, die die kompetente Verbreitung ihrer Idee zum Ziel hatten. Nur eben nicht mehr analog, sondern digital, wie Anmeldeverfahren und Teilnehmermanagement selbstverständlich zeigen. Demnächst werden die Beiträge wohl in 3-D-Qualität gestreamt im Netz abrufbar sein.

(Autor: Prof. Hans-Jürgen Schulke)

In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier als DOSB-Blog veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.


  • Die Digitalisierung findet immer häufiger auch Einzug in den Sport. Foto: picture-alliance
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