Frisch zurück aus Rio passen die mitgebrachten persönlichen Eindrücke nicht so recht in das Bild, das mir die deutschen Zeitungen überwiegend zu übermitteln versuchen. Ich lese fast ausschließlich über Doping und Korruption, über ein kaputtes IOC und Brasilianer, die nun gar nichts mit den Olympischen Spielen in ihrem gleichermaßen geliebten, faszinierenden und gegensätzlichen Rio anfangen können. Und im Übrigen seien die Organisation, Infrastruktur und Verkehrslage unzumutbar.
Bei aller zum Teil berechtigter Kritik, insbesondere zu den ersten genannten Punkten, drängt sich mir das Bedürfnis auf, diese meist sehr pauschalen Urteile aus meinen persönlichen Erfahrungen der letzten 16 Tagen heraus differenzierter zu betrachten.
Ich habe mich mit vielen Brasilianern unterhalten in den vergangenen zwei Wochen: Mit Journalisten, Lehrern, Taxifahrern, guten Freunden und der alten Frau an der Kaffeebar. Alle habe ich sie gefragt, was sie denn so halten von diesen Spielen in ihrer Stadt. Die Antworten waren vielschichtig. So vielfältig die Stadt und ihre Bewohner, so vielfältig die Meinungen. Geprägt von der Begeisterung über die vielen Gäste, die spürbar verbesserte Infrastruktur an vielen Orten in der Stadt bis hin zu einer großen Angst darüber, wie sich die Sicherheitslage nach Abzug der zusätzlichen Kräfte nach der Schlussfeier entwickeln wird. Natürlich haben wir auch darüber diskutiert, wie man das viele Geld anders, vielleicht sinnvoller, hätte investieren können und wie viel durch Korruption verschluckt wurde. Viel haben wir tatsächlich auch über Sport geredet. Die Brasilianer lieben den Sport und leben ihn mit aller Leidenschaft. Auch das wurde oft in der Berichterstattung vernachlässigt.
Genauso wie die Tatsache, dass diese Olympischen Spiele erstmals in Südamerika und erstmals in einem Schwellenland stattfinden. Natürlich kann man sehr kontrovers darüber diskutieren, ob es richtig ist, die Spiele in solch ein Land zu vergeben. Dabei darf man jedoch nicht vergessen, dass zum Zeitpunkt der Vergabe die Gesamtsituation in Brasilien eine völlig andere war. In je-dem Fall finde ich es unfair, nachdem diese Entscheidung nun einmal gefallen war, Maßstäbe wie beispielsweise in London anzulegen. Dies wird dem Engagement der jederzeit begeisterten und unvergleichlich gastfreundlichen Cariocas einfach nicht gerecht. Nichtsdestotrotz ist es natürlich kaum akzeptabel, wenn den Athleten keine wettkampfwürdigen Rahmenbedingungen geboten werden.
Mit dem Deutschen Olympischen Jugendlager haben wir von Anfang an einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt: Wir haben mit unseren jugendlichen Teilnehmenden aktuelle sportpolitische Themen wie die Agenda 2020 oder auch die Russland-Entscheidung des IOC kontrovers diskutiert. Wir haben uns mit nachhaltigen Olympiakonzepten auseinandergesetzt – gemeinsam mit brasilianischen Jugendlichen, aus der gehobenen Schicht als auch aus sozial weniger begünstigten Familien. Diese waren bei uns zu Gast, und wir haben auch sie besucht, bei ihnen zu Hause in den Comunidades (Favelas). Vorhandene Sprachbarrieren wurden beim gemeinsamen Sporttreiben spielend überwunden.
Wir haben mit führenden (Sport-)Politikern diskutiert, über Doping, über deutsche Olympiabewer-bungen und Rahmenbedingungen für junge Leistungssportler. Wir haben Olympioniken getroffen, haben über Duale Karriere und Doping-Prävention gesprochen. Natürlich haben wir auch olympische Wettkämpfe besucht und die deutschen, aber auch alle anderen Sportler aus aller Welt angefeuert und dabei eine überragende Stimmung erlebt. Die Buh-Rufe des brasilianischen Publikums haben auch wir registriert und diskutiert – auch mit den Brasilianern.
Wir haben in den 16 Tagen krasse Gegensätze erlebt und unglaublich facettenreiche Eindrücke gesammelt. Wir haben uns auch die Zeit genommen, diese zu reflektieren. Ein Ergebnis: Wir vergessen viel zu häufig, wie gut es uns in Deutschland eigentlich geht.
Vor allem aber haben wir jederzeit, in den Stadien und Sporthallen, aber auch bei den Begeg-nungen mit den Brasilianern und Fans aus aller Welt einmal mehr erlebt, was der Sport imstande ist zu leisten und was über die großen Diskussionen um Doping, Korruption und Größenwahn-sinn beinahe völlig ins Hintertreffen geraten ist:
Sport verbindet über alle Grenzen hinweg.
(Autor: Benny Folkmann/Der Autor ist Vorstandsmitglied der Deutschen Sportjugend (dsj) und Leiter des Deutschen Olympischen Jugendlagers Rio 2016)
In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier als DOSB-Blog veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.