Sportabzeichen ist ein wichtiges Element der Selbstbestätigung

Bernhard Conrads, Vizepräsident von Special Olympics Deutschland e.V., spricht im Interview über "Sportabzeichen für Menschen mit geistiger Behinderung".

Das Sportabzeichen für Menschen mit geistiger Behinderung gibt es erst seit 2000. Foto: picture-alliance
Das Sportabzeichen für Menschen mit geistiger Behinderung gibt es erst seit 2000. Foto: picture-alliance

Bernhard Conrads, Jahrgang 1944, war von 1989 bis 2009 Bundesgeschäftsführer der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V. Marburg und ist seit sechs Jahren Vizepräsident der Special Olympics Deutschland e.V. Beim Stopp der Sportabzeichen-Tour im hessischen Schwalmstadt-Treysa am 15.Juni 2011 ist er Teilnehmer der Podiumsdiskussion zum Thema „Behindertensport in unserer Gesellschaft“.

DOSB-PRESSE: Herr Conrads – für alle, die mit Special Olympics noch nichts zu tun hatten. Wofür steht Special Olympics Deutschland e.V.?

BERNHARD CONRADS: Special Olympics ist eine weltweite Sportorganisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Breitensport für Menschen mit einer geistigen Behinderung zu öffnen. Für diese Personen möchte Special Olympics Bewegung, Spiel und Sport attraktiv machen. Viele geistig behinderte Menschen sind Vorurteilen und Ängsten ausgesetzt. Hier wollen wir Aufklärung leisten und zeigen, dass Menschen mit einer geistigen Behinderung sehr wohl Spaß am Leben haben und das auch nicht zu verstecken brauchen. Voraussetzung ist allerdings, dass das Umfeld „mitspielt“.

Sport erhält die Gesundheit und bringt Freude an eigener Leistung. Dies gilt für uns alle. Und so ist Sport ein gutes Vehikel um zu demonstrieren, dass es viel gemeinsames gibt zwischen Menschen mit und ohne Behinderung. Die Rahmenbedingungen dafür bietet die Organisation Special Olympics, die seit 1991 ein in Deutschland eingetragener Verein ist.

DOSB-PRESSE: Die Sportabzeichen-Tour am 15. Juni in Schwalmstadt-Treysa setzt auch einen thematischen Schwerpunkt in Sachen „Sportabzeichen für Menschen mit geistiger Behinderung“. Was halten Sie davon?

BERNHARD CONRADS: Ich begrüße das ausdrücklich. Dass Menschen mit einer geistigen Behinderung das Sportabzeichen ablegen können und dass diese Möglichkeit auf der Sportabzeichen-Tour diskutiert wird, ist ein Weg hin zu gelungener Inklusion. Hinter diesem Stichwort verbirgt sich – kurz gesagt – unter anderem die Forderung, alle gesellschaftlichen Strukturen so zu schaffen, damit Menschen mit geistiger Behinderung an allen Lebensbereichen teilhaben können. Es diesen Menschen zu eröffnen, ihre sportliche Leistung und Fitness unter Beweis stellen zu können, ist nur konsequent. Zudem ist das Sportabzeichen ein wichtiges Element der Selbstbestätigung. Geistig behinderte Sportlerinnen und Sportler sind einfach stolz auf „ihr“ Sportabzeichen. Wie jeder andere auch, der es „im Schweiße seines Angesichts“ erworben hat.

DOSB-PRESSE: Mit welchen Erwartungen fahren Sie nach Schwalmstadt-Treysa?

BERNHARD CONRADS: Vor allem freue ich mich auf diesen großen Tag des Sports, weil hier für Breitensportler die Gelegenheit besteht, ihre Fitness unter Beweis zu stellen. Das gilt für alle, die Lust dazu haben, egal, ob sie behindert sind oder nicht. Außerdem erreicht ein solches Ereignis unsere Zielgruppe, nämlich Menschen mit einer intellektuellen Beeinträchtigung, ihre Eltern oder Betreuer. Viele der rund 450.000 in Deutschland lebenden geistig behinderten Menschen kennen das sportliche Angebot kaum. Bei Special Olympics treiben nur knapp 10 Prozent der Menschen mit geistiger Behinderung Sport. Wenn bekannter wird, welche sportlichen Möglichkeiten es für diesen Personenkreis gibt, werden es sicher viel mehr – und das ist unser Ziel. Da es ein Sportfest ist, das allen offen steht, können hier außerdem Sportler mit Behinderung denen ohne zeigen, wie viel Freude auch ihnen Bewegung bringen kann. 2013 feiert das Sportabzeichen seinen 100. Geburtstag. Allerdings gibt es das Sportabzeichen für Menschen mit geistiger Behinderung erst seit dem Jahr 2000.

DOSB-PRESSE: Warum wurde es erst so spät etabliert?

BERNHARD CONRADS: Wahrscheinlich musste die Zeit dafür erst reif sein. Die Geschichte der Menschen mit geistiger Behinderung ist eine Geschichte der Vorurteile, der Ab- und Aussonderung. Das Bild des geistig behinderten Menschen in der Bevölkerung und die gesellschaftlichen Strukturen haben sich zum Positiven geändert. Menschen mit geistiger Behinderung sind keine bemitleidenswerten Objekte wohlgemeinter Fürsorge mehr, sondern sie gehören zu unserer Gesellschaft dazu, haben Würde, Rechte und auch Pflichten und verdienen Respekt. Sie sind wie Menschen ohne Behinderung in der Lage, Freude am Leben zu haben. Dieser Paradigmenwechsel im Menschbild und in der öffentlichen Wahrnehmung von geistig behinderten Menschen ist die Voraussetzung dafür, dass diesen Personen alle Möglichkeiten, alle Institutionen und Angebote offen stehen. Ein Angebot davon ist der Sport. Ein Meilenstein war die Arbeit des Sportwissenschaftlers Prof. Dr. Manfred Wegner, der Ende der 90er-Jahre die Initiative ergriff, um den Erwerb des Sportabzeichens auch für Menschen mit geistiger Behinderung zu ermöglichen.

DOSB-PRESSE: Warum ist Sport für Menschen mit geistiger Behinderung ein Plus an Lebensqualität?

BERNHARD CONRADS: Sport ist für alle gut, egal, ob sie nun intellektuell beeinträchtigt sind oder nicht. Sport macht Spaß, man kann sich sportlich beweisen und an seine Grenzen gehen und sich am Erfolg freuen. Beim Sport findet man Gleichgesinnte und oft sogar Freunde. Sport bietet Potenziale, die allen offen stehen sollten, auch geistig behinderten Menschen.


  • Das Sportabzeichen für Menschen mit geistiger Behinderung gibt es erst seit 2000. Foto: picture-alliance
    Das Sportabzeichen für Menschen mit geistiger Behinderung gibt es erst seit 2000. Foto: picture-alliance