Sporthelden als internationale Vagabunden?

Anfangs war die Nationalitätsfrage noch ohne zentrale Bedeutung. Heute ändern Athleten für sportliche Erfolge auch die Nationalität. Steht das IOC vor einen Problem, fragt sich Autor Hans-Jürgen Schulke.

Die Rennrodlerin Aileen Frisch wird künftig für Südkorea starten. Foto: picture-alliance
Die Rennrodlerin Aileen Frisch wird künftig für Südkorea starten. Foto: picture-alliance

Für die deutsche Rennrodlerin Aileen Frisch sei von Südkorea die Einbürgerung befürwortet, sie werde bei den Olympischen Spielen 2018 für den Gastgeber der Winterspiele starten. Keine Meldung, die Aufsehen erregen muss. Auch in der Vergangenheit hat es Spitzensportler gegeben, die ihre Nationalität gewechselt haben. Oft erfolgte das, wenn Aktive einen Lebenspartner anderer Nationalität fanden. Mit Heirat und gemeinsamem Wohnsitz waren formal Voraussetzungen für die neue sportliche Heimat gegeben. Andere Einzelfälle hatten sportliche oder auch finanzielle Gründe. So startete ein österreichischer Skirennläufer für das nicht gerade pistenreiche Luxemburg oder eine deutsche Reiterin für ein Nachbarland, um sich wegen zu großer landeseigener Konkurrenz den Traum von Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften zu erfüllen. Im Profifußball fragen sich in Deutschland geborene leistungsstarke Spieler mit (elterlichem) Migrationshintergrund, ob sie für die Türkei, Kamerun oder Aserbeidschan auflaufen wollen. Ob aus Heimatverbundenheit, Spiellust oder Erhöhung des Marktwerts, bleibt offen.

Ein Blick in die Historie zeigt, dass die Nationalitätsfrage zunächst ohne zentrale Bedeutung war. Von den ersten Olympischen Spielen der Moderne 1896 in Athen weiß man nicht mit letzter Sicherheit, wie viele Nationalitäten beim eher unorthodoxen Treffen jugendlicher Sportsmänner dabei waren. Im Tennis wurde krankheitsbedingt spontan ein deutsch-irisches Doppel zusammengestellt, das zur eigenen Überraschung Olympiasieger wurde – der deutsche Goldmedaillengewinner war Mittelstreckenläufer. 1904 gab es neben neun Nationen eine gemischte Mannschaft, beim Tauziehen soll nicht immer nach der Herkunft zugkräftiger Teamkollegen gefragt worden sein.

Mit Konstituierung und Festigung von Nationalstaaten wurden Olympische Spiele per Mitgliedschaft und Zulassung internationaler. Einmarsch der Nationen, Nationenwertung und Nationalflagge wie -hymne symbolisierten Identität und Leistungsstärke der jeweiligen Länder. Die wachsende, oft kriegerische Konkurrenz zwischen den Nationen fand im Sport eine friedliche Form, die durch Chancengleichheit und Fairness geregelt wurde – Basis des Olympischen Friedensfestes.

Sie hatte starke Wirkung nach innen: Die Jugend eines Landes identifizierte sich mit ihren Olympioniken, eiferte ihnen nach und verinnerlichte pädagogische und soziale Werte des Sports. Mitunter auch nationalistische und militärische, wie die Zeit vor den beiden Weltkriegen gerade Deutschland lehrte – überbordender Nationalismus ist dem Sport nicht fremd. Getrennte Nationen belasteten seit den 50-er Jahren das IOC. Letztlich gelang es ihm, das Feld der Nationen zu ordnen. Aktuell ist das großflächige Doping auch Ausdruck verschärfter internationaler Konflikte.

Die internationale Idee und Praxis Olympias steht vor neuer Bewährung. Nicht durch heimatlose Flüchtlinge, denen das IOC in Rio Mitgliedschaft in der Olympischen Familie ermöglichte. Einige Staaten ergänzen ihre Kader um herausragende Athleten anderer Nationalität durch Einbürgerung. Waren es zunächst Länder, die so in einzelnen Sportarten die Weltspitze erklommen, kaufte Katar kurzerhand eine Weltauswahl im Handball, die bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land unter Jubel der Einheimischen ins Endspiel gelangte. Sportliche Wanderarbeiter sucht das wenig wintersportliche Südkorea, um bei den Spielen 2018 nicht nur schöne Kulisse zu sein. Athleten aus sieben Nationen sollen schon eingebürgert sein.

Was können Folgen des Vagabundierens zwischen Nationen für die Olympische Bewegung sein - wird das sportliche Niveau weltweit erhöht oder die olympische Strahlkraft in bisher starken Ländern nachlassen? Wie wird die Zulassung geregelt und wer fördert noch eigenen Nachwuchs? Werden die Neubürger zu nationalen Idolen und gibt es ein Rückkehrrecht? Vor allem: Werden künftig nationale Oligarchen, rohstoffreiche Scheichtümer und globale Konzerne mit ihren Finanzmitteln kleine Länder für politische und werbliche Interessen nutzen? Es könnte sein, dass das ohnehin in schwerer See befindliche IOC demnächst ein weiteres Problem lösen muss.

(Autor: Prof. Dr. Hans-Jürgen Schulke)

In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier als DOSB-Blog veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.


  • Die Rennrodlerin Aileen Frisch wird künftig für Südkorea starten. Foto: picture-alliance
    Die Rennrodlerin Aileen Frisch wird künftig für Südkorea starten. Foto: picture-alliance