Sportlehrer-Präsidentin Elke Wittkowski: "Die Bedeutung des Schulsports wird sträflich negiert"

Die Präsidentin des Deutschen Sportlehrer-Verbandes (DLSV), Dr. Elke Wittkowski, kritisiert die Behandlung des Schulsports in Deutschland. Er bleibe weiterhin ein Stiefkind des Schule, zumindest in den oberen politischen Köpfen des Bildungsministeriums, sagte Elke Wittkowski in einem Interview mit der DSB-Presse. Das Interview im Wortlaut:

Die Präsidentin des Sportlehrer-Verbandes, Dr. Elke Wittkowski (Foto: DLSV)
Die Präsidentin des Sportlehrer-Verbandes, Dr. Elke Wittkowski (Foto: DLSV)

   Der DSLV hat in einem offenen Brief an Bundesbildungsministerin Bulmahn Kritik an den Muster-Stundenplänen für Ganztagsschulen geübt, die in einer Broschüre des Ministeriums aufgeführt sind. In diesen Beispielen ist der Sportunterricht nicht nur von drei auf zwei Stunden gekürzt, sondern auch noch ungünstig platziert. Ist das als Rückschlag für den Schulsport einzustufen?

 

Wittkowski: "Solche „Musterstundenpläne“ prägen sich in den Köpfen der Leser ein, obgleich sie in dieser Form keine Musterbeispiele sein dürfen. Mir scheint die Veröffentlichung derart unüberlegter, pädagogisch, medizinisch und biologisch unsinniger Beispiele ein Beleg dafür zu sein, dass der Schulsport trotz aller öffentlichen Aufschreie über den Gesundheitszustand der Kinder und Jugendlichen weiterhin häufig Stiefkind der Schule bleibt, jedenfalls in den obersten politischen Köpfen des Bildungsministeriums. Die Bedeutung des Faches im Fächerkanon der Schule und im Bildungsangebot von Ganztagsschulen wird sträflich negiert, seine pädagogischen Möglichkeiten bleiben unerkannt."

 

   Allerorten wird über Bewegungsmangel und die gesundheitlichen Folgen für Kinder diskutiert. Bundesverbraucherministerin  Renate Künast und Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt setzen sich für mehr  Bewegung und gesunde Ernährung der Kinder als Präventionsmaßnahmen ein? Wie passen da die Vorschläge des Bildungsministeriums ins Bild?

 

Wittkowski: "Überhaupt nicht. Hier fehlt offenbar jegliche Abstimmung der Ministerien untereinander, obgleich es doch allen um dieselbe Sache gehen sollte. Nämlich um die Gesundheit unserer Kinder. Verbraucher- und Gesundheitsministerium sind mit ihren Initiativen auf dem richtigen Weg, das Bildungsministerium hat die Chance bislang verpasst, auf den Zug aufzuspringen. Es verharrt darin, den Sportunterricht an den äußersten Rand der Schulwoche zu drängen, anstatt die immer wieder als Minimum geforderten drei Stunden als Einzelstunden über die Woche zu verteilen und dabei auch ihre Funktion als Unterbrechung der kognitiven Überfrachtung über den (Schul-)Tag zu berücksichtigen."

 

   Nicht erst seit der PISA-Studie ist bekannt, dass körperlich fitte Kinder auch im Kopf sehr fit sind - also eine ganzheitliche Bildung die optimale Bildung für Kinder ist. Sie haben PISA auch unter diesem Aspekt als Chance gesehen. Wird diese Chance denn genutzt?

Wittkowski: "Es ist erstaunlich, dass eigentlich schon ältere Hinweise aus der Neurobiologie über die Förderung des neuronalen Netzwerkes durch Bewegungsreize jetzt plötzlich solche Aufmerksamkeit erlangen. Sogar die Psychologen erkennen den engen Zusammenhang psychischer Zustände und körperlicher Aktivität. Ich hoffe, dass diese Erkenntnis in die Köpfe aller an der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen Beteiligten „eingebrannt“ und sportlicher Betätigung daher in der Schule endlich mehr Bedeutung beigemessen wird. Insofern ist die Broschüre der Bildungsministerin mehr als kontraproduktiv für die Vermittlung ganzheitlicher Bildung für Kinder, in der Bewegung vom Kleinkind bis zum Erwachsenen eine zentrale Rolle spielt."

 

   Es gibt immer mehr Bewegungskindergärten, weil da mittlerweile erkannt wurde, „ohne Sport keine ganzheitliche Entwicklung“. Eltern finden das auch gut. Aber beim Schulsport macht man doch immer noch die Erfahrung, wenn die Wahl ist zwischen dem Ausfall von Mathematik oder Sport, dann entscheiden sich noch immer (oder jetzt wieder) Eltern für die „Kopfarbeit“. Was kann der Sportlehrerverband tun, um da mehr Unterstützung  von Eltern zu bekommen?

 

Wittkowski: Seit vielen Jahren gibt es Schulsport-Initiativen in den Bundesländern in enger Kooperation des DSLV und der Landessportbünde. Zum Auftakt der Schulsport-Initiative des Landessportbundes Berlin z. B. wurden alle beteiligten Gruppen wie Schüler, Eltern, Sportlehrer, Kinder- und Schulpsychologen, Kinder- und Sportärzte, Vereinsvertreter, Ernährungsexperten eingeladen. Die einzigen, die nicht erschienen sind, waren die Vertreter der Schülerinnen und Schüler sowie der Eltern. Das war schon sehr ernüchternd. Der Sportlehrerverband mit seinen Mitgliedern in den Ländern lässt keine Gelegenheit aus, die Eltern mit ins gemeinsame Boot „zu zerren“. Er ermutigt und bestärkt seine Mitglieder darin, in der täglichen Arbeit an der Schule die unaustauschbare Rolle des Schulsports immer wieder darzustellen, in allen existierenden Gremien mit Eltern und Kollegien. Wir fordern die Sportlehrerinnen und Sportlehrer immer wieder auf, die Zusammenhänge von körperlicher Bewegung und Sport und der geistigen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen allen permanent zu verdeutlichen.

In der Tat macht uns die vorrangige Stellung der „Kopffächer“ in den Köpfen vieler Eltern Sorge, denn die Stellung wird durch die Ausweitung des Zentralabiturs nun eher noch verstärkt. Da wird es der Schulsport noch schwerer haben, seinen ihm gebührenden Platz zu behaupten. Vielleicht hilft es ja, wenn Eltern mitbekommen, wie positiv sich die vermehrte Bewegung in „Bewegungskindergärten“ auf die Entwicklung ihrer Zöglinge auswirkt. Dann tragen sie vielleicht die Idee der bewegte(re)n Schule weiter in die Grund- und Oberschulen. Ich wünsche es mir sehr für die nahe Zukunft.


  • Die Präsidentin des Sportlehrer-Verbandes, Dr. Elke Wittkowski (Foto: DLSV)
    Die Präsidentin des Sportlehrer-Verbandes, Dr. Elke Wittkowski (Foto: DLSV)