Sportvereine brauchen interkulturelle Kompetenz – Interview mit Petra Gieß-Stüber, Professorin für Sportsoziologie an der Uni Freiburg

Integration durch Sport funktioniert. Sie funktioniert aber nicht von alleine, sagt die Sportsoziologin Petra Gieß-Stüber von der Universität Freiburg. Gefragt ist ihrer Auffassung nach interkulturelle Kompetenz in den Sportvereinen, damit die Einbindung und Eingliederung von Menschen mit Migrationshintergund richtig klappt.

Petra Gieß-Stüber: Integration ist kein Selbsläufer (alle Fotos: privat).
Petra Gieß-Stüber: Integration ist kein Selbsläufer (alle Fotos: privat).

   Welches Potential hat der Sport bei der Integration von Menschen?

 

Gieß-Stüber: Sport hat ganz viele und ganz besondere Potentiale, Menschen zu integrieren. Der Sport spricht besonders Kinder und Jugendliche an, so manche Schwierigkeit die sich aus der sprachlichen Verständigung ergibt, fällt im Sport weg. Der Sport bricht Hierarchien auf, so dass auch Menschen mit Migrationshintergrund, wenn sie sportlich besser sind, Oberwasser haben können. Man muss dabei aber bedenken: Das alles sind keine Selbstläufer.

 

Vortrag an der Uni über Sport und interkulturelle Kompetenz.

 

   Wie meinen Sie das?

 

Gieß-Stüber: Es braucht eine explizite Haltung und ein Problembewusstsein auf Vereinsseite, sich auch um Menschen mit Migrationshintergrund bemühen zu wollen. Es reicht nicht zu sagen: Bei uns kann ja jeder mitmachen. Damit wird diese Bevölkerungsgruppe nicht erreicht. Die Hürden müssen niedriger gemacht werden, um Zugang zu unserem Sportsystem zu bekommen. Die Menschen müssen gezielt angesprochen werden.

 

 

   Wie soll das genau aussehen?

 

Gieß-Stüber: Zum Beispiel bei muslimischen Frauen, einer besonders schwer zu erreichenden Gruppe, muss man den Weg über Schulen und soziale Einrichtungen gehen. Dort kann man die Menschen abholen. Manchmal müssen Vereine auch den kulturellen und religiösen Hintergrund der Angesprochenen berücksichtigen. Da kann es zum Beispiel um die Offenheit und Gestaltung der Umkleideräume gehen. Das sind aber eher Einzelfälle. Im Grunde geht es darum eine Offenheit zu entwickeln, die uns dazu bringt das Fremde, das Anderssein nicht als Bedrohung wahrzunehmen, sonders als Chance zu begreifen. Das ist alles eine Frage der Haltung. 

 

 

   Das bringt uns zum Stichwort interkulturelle Kompetenz. Wie wird ein Sportverein „interkulturell kompetent"?

 

Gieß-Stüber: Da geht es um ein Konzept aus der Erziehungswissenschaft. Im Prinzip heißt das nichts anderes, als zu lernen, dass Fremdes nicht immer gleich zu Ausschlussreflexen oder Anpassungsforderungen führen muss, sondern dass man diese anderen Erfahrungen versucht aufzunehmen und zu einem für alle verträglichen Ausgleich führt. Integration findet ja weniger im sportlichen Wettkampf statt, sondern Sport schafft eine wunderbare Gelegenheitsstruktur für persönliche Kontakte. Diese müssen aber gestaltet werden.

Ganz wichtig ist außerdem, dass Menschen mit Migrationshintergrund in die Strukturen des Sportvereins eingebunden werden und zwar auf allen Ebenen gleichberechtigt. In Gegenden, wo zum Beispiel viele türkischstämmige Menschen wohnen, da ist es wichtig, dass es auch türkische Übungsleiter gibt und türkische Mitglieder im Vorstand. Wir müssen uns diese karritative Haltung abgewöhnen, wo wir sagen: „Wir tun jetzt was für die Ausländer", sondern sollten sie aktiv einbeziehen.

 

 

   Wo und wie können Übungsleiter und Vereinsmitglieder diese kulturelle Kompetenz erwerben?

 

Gieß-Stüber: Da gibt es zum Beispiel Schulungen der Landessportverbände, wo man der Frage nachgeht, warum Fremdheit zu Bedrohungs- und Abwehrreflexen führt. Wenn man sich das erst einmal bewusst gemacht hat, dann wird man auf Fremdes auch anders reagieren. Außerdem müssen wir uns darüber im Klaren, sein, dass Integration nicht Assimilation, also Anpassung heißt. Wichtig ist auch eine Art Selbstrelativierung: Unsere Regeln im Sport erscheinen uns ja so selbstverständlich, dass wir uns gar nicht mehr vorstellen können, dass es anders sein könnte. Dabei muss uns bewusst werden, dass wir uns all diese Regeln ja selbst geschaffen haben und sie deshalb auch ändern können, wenn sie für bestimmte Menschen nicht passen.

 

 

   Sowohl die Aussiedlerzahlen als auch die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland gehen zurück. Im Bereich „Integration durch Sport" wird auf Bundesebene über Mittelkürzungen nachgedacht…Ist das Thema nicht mehr aktuell?

 

Gieß-Stüber: Nein im Gegenteil: Ich denke das wird immer aktueller. In unseren Schulen haben inzwischen 35 Prozent der Kinder Migrationshintergrund. Im Zuge von Internationalisierung und Globalisierung werden wir immer mehr eine multikulturelle Situation haben. Solange man dazu nicht steht und das verdrängt, solange ist das ein Problem. Mittelkürzung ist auf jeden Fall ein falscher Schritt. Auch wenn das Programm vielleicht an der einen oder anderen Stelle noch nicht die erwünschten Erfolge bringt. Es geht genau in die richtige Richtung und es wäre ein falscher Schritt und ein falsches Signal, dafür die Mittel zu kürzen.

 


  • Petra Gieß-Stüber: Integration ist kein Selbsläufer (alle Fotos: privat).
    Petra Gieß-Stüber: Integration ist kein Selbsläufer (alle Fotos: privat).